May hatte Ende März offiziell den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union beantragt und damit das zweijährige Scheidungsverfahren gestartet. Bis Ende März 2019 soll ein Austrittsabkommen unter Dach und Fach sein, das auch den Weg für die künftige Partnerschaft weist. Gelingt dies nicht, scheidet Grossbritannien abrupt aus, alle Beziehungen wären vorerst ohne Anschlussregelung gekappt. Das fürchtet vor allem die Wirtschaft.

EU-LEITLINIEN FÜR GESPRÄCHE

Die 27 bleibenden EU-Länder hatten sich bei dem Brüsseler Gipfel am Samstag binnen weniger Minuten und einstimmig auf Leitlinien für die Gespräche geeinigt. Man wolle mit einer Stimme sprechen, sagte Kanzlerin Merkel anschliessend.

Die EU fordert, in einer ersten Phase zunächst nur die Bedingungen der Trennung zu klären. Dazu zählen für die EU vor allem die künftigen Rechte der EU-Bürger in Grossbritannien und die finanziellen Verpflichtungen Londons gegenüber der EU, die auf bis zu 60 Milliarden Euro geschätzt werden. Erst wenn alle bleibenden 27 EU-Länder einstimmig ausreichende Fortschritte feststellen, soll das von May gewünschte Freihandelsabkommen auf die Tagesordnung kommen.

MAY LEHNT ZWEI-PHASEN-VERHANDLUNGEN AB

Die Abfolge gäbe der EU einen Hebel, vor allem die finanziellen Forderungen durchzusetzen. Und sie ist nicht nur bei den Staats- und Regierungschefs Konsens. Auch die Grünen-Europapolitikerin Ska Keller sagte der Deutschen Presse-Agentur, gemeinsame Finanzentscheidungen der Vergangenheit müssten erfüllt werden. "Der Brexit wird nicht billig für Grossbritannien", meinte sie.

May lehnte Verhandlungen in zwei Phasen jedoch am Sonntag in der BBC erneut ab und bekräftige die Forderung, den EU-Austritt und das Handelsabkommen gleichzeitig zu klären. Zudem stellte sie nochmals klar, dass sie lieber kein Austrittsabkommen mit der EU schliesse als ein schlechtes.

EU-KOMMISSION WARNT VOR SCHEITERN DER GESPRÄCHE

Aus der EU-Kommission kommen deshalb Warnungen vor einem Scheitern der Brexit-Gespräche. Die Brüsseler Behörde schätze die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios auf mehr als 50 Prozent, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Hintergrund der düsteren Prognose ist ein Gespräch von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit May am vergangenen Mittwoch.

EU-Kreise bestätigten der Deutschen Presse-Agentur, dass Juncker anschliessend sagte: "Ich verlasse die Downing Street zehnmal skeptischer, als ich vorher war." May habe unter anderem die Auffassung vertreten, dass Grossbritannien den EU-Partnern kein Geld schulde. Juncker habe Merkel informiert, die daraufhin vor "Illusionen" in Grossbritannien gewarnt habe. May bezeichnete den Bericht bei einem Wahlkampfauftritt am Montag als "Brüsseler Geschwätz".

In der BBC hatte sie zuvor Hoffnung auf eine rasche Einigung in der Frage der künftigen Rechte für 3,2 Millionen EU-Bürger in Grossbritannien und 1,2 Millionen Briten in der EU gemacht. Das ist auch für die EU das erste Topthema, wie Ratspräsident Donald Tusk sagte: "Sobald Grossbritannien echte Garantien für unsere Bürger abgibt, werden wir rasch eine Lösung finden."/vsr/DP/he

(AWP)