Der seit 26 Jahren mit harter Hand regierende Lukaschenko hatte sich bei seiner inzwischen sechsten Wahl mit gut 80 Prozent der Stimmen zum Sieger erklären lassen. Seine Gegner, die im ganzen Land demonstrieren, fragen seit Tagen, wo diese 80 Prozent seien und warum niemand für Lukaschenko auf die Strasse gehe.

Die Opposition wiederum erwartet Zehntausende Menschen allein im Zentrum der Hauptstadt. Auch in anderen Städten sind den achten Tag in Folge neue Aktionen geplant.

Gegen Mittag wird ein zweites Todesopfer zu Grabe getragen - in der Stadt Gomel. Die Mutter des 25-Jährigen hatte den Sicherheitskräften Willkür vorgeworfen und sie für den Tod ihres Sohnes verantwortlich gemacht. Der junge Mann, der eine Herzkrankheit gehabt habe, sei am Wahlsonntag auf dem Weg zu seiner Freundin festgenommen worden und in Polizeigewahrsam im Krankenhaus gestorben. Die Polizei bestätigte dies erst am Mittwoch und teilte mit, dass die Gerichtsmedizin die Todesursache klären müsse.

Der als "letzter Diktator Europas" kritisierte Lukaschenko zeigt sich bisher weitgehend unbeeindruckt von den Protesten. Er lehnt einen Dialog mit der Opposition oder eine Vermittlung aus dem Ausland ab. Den Sieg bei der Wahl beansprucht die 37 Jahre Swetlana Tichanowskaja für sich. Ihre Unterstützer fordern einen Rücktritt Lukaschenkos, die Freilassung aller Gefangenen und Neuwahlen.

Der 65-jährige Lukaschenko hatte die Demonstranten als vom Ausland manipuliert und bezahlt sowie als Menschen mit krimineller Vergangenheit und als Arbeitslose bezeichnet. Danach gingen auch Arbeitskollektive in vielen Staatsbetrieben in den Streik. Lukaschenko spricht immer wieder auch von einer Gefahr aus dem Ausland, ohne Details zu nennen.

Am Samstagabend ordnete er die Verlegung von Fallschirmjägern nach Grodno im Westen des Landes an. In der Region sei die Lage gespannt, sagte er bei einer vom Staatsfernsehen übertragenen Sitzung des Generalstabs. Lukaschenko wies zudem das Verteidigungs- und das Innenministerium sowie den Geheimdienst KGB an, keine "ungesetzlichen Aktionen" im Land zuzulassen. Konkret planten seine Gegner eine Menschenkette vom EU-Land Litauen durch Belarus in die Ukraine. Diese Solidaritätsaktion für die Proteste müsse verhindert werden.

"Ich habe keine anderen Ziele, als einen unabhängigen und stabilen Staat zu erhalten", sagte Lukaschenko. Er hatte auch Kremlchef Wladimir Putin in einem Telefonat um Hilfe gebeten. Staatsmedien korrigierten am Samstagabend Aussagen Lukaschenkos, wonach Russland militärisch einschreiten könnte. In einer Mitteilung des Kreml zu dem Telefonat war keine Rede von irgendeiner Hilfe in der jetzigen Situation.

Der belarussische Analyst Artjom Schraibman hält eine russische Militärintervention zur Unterstützung Lukaschenkos für äusserst unwahrscheinlich. "Russland rettet keine stürzenden Regimes mit Streitkräften", teilte er mit. Möglich sei, dass ein Präsident herausgeholt werde aus dem Land. "Aber ein Regime retten, das keine Basis an Unterstützern mehr hat - Nein." Schraibman meinte auch, Russland sei schon jetzt wegen des Ukraine-Konflikts mit Sanktionen belegt und habe kein Interesse an einer weiteren Eskalation auf internationaler Bühne.

Ähnlich sieht das die belarussische Oppositionelle Maria Kalesnikava. "Ich glaube nicht, dass Putin eingreift, es wäre auch ein dummer Schritt", sagte sie der "Bild am Sonntag". "Die Unterstützung in Belarus ist gross, wir wollen in einem freien und europäischen Land leben." EU-Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die Misshandlung von Demonstranten lehnt die Oppositionelle indes ab. Die Betreffenden müssten "nach belarussischem Recht" bestraft werden, sagte die Oppositionelle der Zeitung. "Die Bestrafung muss hier stattfinden."

Die EU hatte am Freitag wegen der Polizeigewalt in Belarus (Weissrussland) neue Sanktionen gegen Unterstützer des Staatschefs Alexander Lukaschenko auf den Weg gebracht. Es soll auch Strafmassnahmen gegen Personen geben, die für eine Fälschung der Präsidentenwahl verantwortlich gemacht werden.

(AWP)