Bis Ende dieser Woche veröffentlicht cash jeden Tag ein Interview mit jungen Frauen in der Schweiz. Heute: Karin Bertschi (24). Sie leitet seit vier Jahren das Recycling-Paradies in Reinach AG und eröffnete dieses Jahr ihre erste Filiale in Hunzenschwil AG. Sie gewann 2014 mit dem Recycling-Paradies den Aargauer Unternehmerpreis in der Kategorie Kleinstunternehmen. Bertschi hat eine kaufmännische Lehre mit Berufsmaturität abgeschlossen.

 

 
 

cash: Ursprünglich wollten Sie Helikopter-Pilotin in der Schweizer Armee werden und haben dafür auch die RS und die Unteroffiziersschule abgeschlossen. Nun führen Sie ein Recycling-Unternehmen. Dies ist ein krasser Sinneswandel. Wie kam es dazu?

Karin Bertschi: Unverhofft kommt oft. Wenn sich ein Türchen schliesst, öffnet sich wieder eine anderes. So hab ich mit 19 Jahren ganz unerwartet die Möglichkeit erhalten, die Idee einer schönen, kindergerechten Sammelstelle, das 'Recycling-Paradies', von Beginn an als Projekt zu verwirklichen.

Sie haben kürzlich in Hunzenschwil die erste Recycling-Paradies-Filiale eröffnet. Wie viele Zweigstellen wollen Sie in den kommenden Jahren zusätzlich eröffnen?

Wir möchten gerne expandieren, denn oft fahren Recyclingfreunde dutzende Kilometer, um bei uns entsorgen zu können. Nebst den grossen Investitionen bedarf es aber auch einem geeigneten Landstück, Baubewilligung, Absprachen mit den Gemeinde und so weiter. Wenn all diese Faktoren passen, wird ein neues Recycling-Paradies eröffnet. Das gesteckte Ziel ist ehrgeizig: Die nächsten zehn Jahre soll alle zwei bis drei Jahre eine weitere Filiale eröffnet werden.

Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in fünf Jahren?

In der kurzlebigen Recycling-Branche sind bereits fünf Jahre eine lange Zeit. Ich gehe davon aus, dass die Sekundärrohstoffe und das so genannte Urban-Mining weiter an Bedeutung gewinnen werden. Ich hoffe, dass wir rund die doppelte Menge Recyclingmaterial in den Kreislauf zurückgeben können. Bei uns zählt nicht jeder Rappen, sondern jedes Kilo.

Die Schweiz gilt als Weltmeister in Sachen Recycling. Dennoch gibts sicher noch Verbesserungspotenzial. Wo genau?

Das schweizweite einheitliche Sammelsystem für Kunststoffe fehlt. Die bisherigen Sammelsysteme sind mangelhaft, und meist wird über die Hälfte des Materials trotz aufwendigem Aussortieren verbrannt. Wir arbeiten aktiv in der Arbeitsgruppe vom Verband für Stahl-, Metall- und Papierrecycling, um hoffentlich bald ein sinnvolles Rückgabe-System aufbauen zu können, welches ökologisch und auch ökonomisch sinnvoll ist.

Beim Recycling-Paradies kann man neben herkömmlichem Abfall auch Elektroschrott, Altmetalle, Autos, Möbel oder Spielsachen abgeben. Sind Sie teilweise geschockt, was die Leute alles wegwerfen?

Natürlich macht es mich teilweise nachdenklich, in welchem Überfluss wir hier leben und wie leichtsinnig hier alles weggeworfen wird. Geschockt war ich, als ich bei einem Entwicklungsprojekt in diesem Frühling in Haiti realisierte, wie es aussieht, wenn die Leute ihren Abfall nicht entsorgen können. Die Umstände und Folgen daraus sind unvorstellbar.

Sie sind erst 24, aber bereits Chefin von 8 Mitarbeitenden. Macht Ihnen das manchmal Angst?

Nein, Angst nicht. In der Armee habe ich gelernt, Gruppen auch unter erschwerten Umständen, sprich Müdigkeit, Kälte und Regen, zu führen. Im Vergleich dazu sind die Arbeitsbedingungen bei uns direkt paradiesisch. Aber ich habe Respekt vor der Tatsache, dass hinter den acht Mitarbeitenden auch Familien mit Kindern stehen oder Menschen, welche schwierige Schicksale erlebt haben und zum Beispiel körperlich oder geistig eingeschränkt sind. Das ist für mich persönlich eine grosse Verantwortung.

Welchen Führungsstil pflegen Sie?

Ich denke, die Kommunikation untereinander ist sehr entscheidend. Wir kommunizieren offen, direkt und ehrlich. Wenn ein Mensch versucht, sich in die Situation des anderen zu versetzen, führt er aus meiner Sicht automatisch gut. Unser Team arbeitet sehr selbständig. Das geht Hand in Hand und jeder übernimmt Verantwortung, denkt und hilft mit. So macht es für mich täglich Spass, in diesem Team mitzuarbeiten.

Es gibt hierzulande wenig junge erfolgreiche Schweizer Unternehmer/innen wie Sie. Ist die jüngere Generation schlicht zu bequem oder zu risikoscheu dazu?

Ich finde es vermessen, eine Generation als bequem oder risikoscheu zu verurteilen. Es gibt in meinem Umfeld etliche junge Leute, welche ein grosses Engagement zeigen für ein Unternehmen oder auch sozial Grossartiges leisten. Es ist doch nicht entscheidend, wie viele junge Schweizer Unternehmer selbstständig sind, sondern dass sich jeder sinnvoll im Arbeitsleben einbringen kann, wo seine eigene Stärke liegt. Dies gilt sowohl für Jung und Alt.

Wie finanzieren Sie Ihr Unternehmen?

Bei unserer Aktiengesellschaft sind meine Geschwister und ich alle zu je einem Viertel beteiligt. Wir alle sind uns bewusst, dass besonders die Startphase grosse finanzielle Mittel nach sich zieht ohne viel abzuwerfen. So gibt jedes der Geschwister privat dazu, was es kann. Der allfällige Gewinn wird später zur Rückzahlung der Darlehen verwendet oder neu investiert.

Sie verdienen Geld durch den Verkauf von Rohstoffen wie Metalle oder Glas. Derzeit sind die Preise für Metalle wie Kupfer, Blei, Nickel oder Stahl unter Druck. Macht Ihnen diese Entwicklung Sorgen?

Stahl und Metalle machen prozentual rund fünf Prozent vom Gesamtvolumen aus, welches bei uns gesammelt wird. Aber natürlich machen mir diese Börsenentwicklungen teilweise sorgen. Wir sind froh um die relativ fixen Entschädigungen, welche wir aus der vorgezogenen Entsorgungsgebühr erhalten. Das funktioniert bei jeder Büchse, Batterie, PET-Flasche ebenfalls so. Der Konsument bezahlt beim Kauf eine Gebühr für die spätere Entsorgung. Wir als Sammelstelle erhalten später einen Anteil dieses Geldes. Für das Sammeln, Vorsortieren und Handling von PET-Flaschen bekommen wir beispielsweise 200 Franken pro Tonne. Das entspricht rund 40 Kubikmetern Material.

Wie sind Sie privat investiert? Halten Sie auch Aktien oder andere Vermögenswerte?

Mein Geld steckt vor allem im Unternehmen.

Welche politischen Themen brennen Ihnen persönlich unter den Nägeln?

Ich habe das Gefühl, dass zum Teil der Wille des Volkes nicht mehr ernst genommen wird. Volksentscheide, unabhängig von links und rechts, müssen umgesetzt werden. In Bern wird aus meiner Sicht immer mehr Parteipolitik betrieben als sachdienliche Lösungen zu finden.

Der Bundesrat will eine Frauenquote von 30 Prozent für wirtschaftlich bedeutende, börsenkotierte Gesellschaften. Befürworten Sie diesen Vorstoss?

Ich bin klar gegen Frauenquoten. Ich finde es aber richtig, dass auch Kaderleute unabhängig vom Geschlecht beurteilt werden und alle die gleichen Chancen haben.

Angenommen Sie kriegen eine Million Franken zu Weihnachten. Was würden Sie mit dem Geld machen?

Das wäre doch ein geniales Startpaket für ein neues Recycling-Paradies! Ich würde mich ganz herzlich bedanken und eine bereits heute angedachte Parzelle anzahlen.

Was nervt Sie an der Schweiz und was schätzen Sie?

In der Schweiz ist das 'Gartenhagdenken' manchmal schon noch verbreitet. Ausserdem mag ich den nebligen Herbst gar nicht! Ganz nachdenklich machen mich aber die aktuellen Weltgeschehnisse, die uns indirekt auch in der Schweiz betreffen: der Religionskrieg, Hunger, die Unterdrückung. Was ich schätze: Ich liebe unsere Berge, die Landschaft und frische Luft. In keinem anderen Land fühle ich mich so sicher wie in unserer Schweiz. Und mit meinem eher lockeren Mundwerk schätze ich die Meinungsfreiheit hierzulande unheimlich (schmunzelt).

Ihr Wunsch für das kommende Jahr?

Ich würde mir wünschen, dass unsere eigenen Bedürfnisse weniger im Vordergrund stehen und das Wohl des Ganzen mehr Gewicht bekommt. Dies führt für alle zum Wohlstand.