Über den Verfassungsartikel über die Mehrwertsteuer muss ohnehin abgestimmt werden, über die Anpassungen im AHV-Gesetz wegen des Referendums. Bei der Doppelvorlage geht es um alles oder nichts: Die Reform kann nur umgesetzt werden, wenn beide Teile angenommen werden. Bei der Mehrwertsteuer ist zusätzlich das Ständemehr nötig.

Letzte Reform 1997

Die letzte grosse Reform der AHV gelang 1997. Seither sind sämtliche Bemühungen gescheitert, das in Schieflage gekommene Sozialwerk finanziell zu sichern. Mehrere Anläufe, das Frauenrentenalter zu erhöhen, scheiterten. Eine Atempause verschaffte der AHV die 2019 vom Volk angenommene Steuerreform und AHV-Finanzierung (Staf).

Die AHV erhält seither jährlich über zwei Milliarden Franken zusätzlich. Schon damals war aber klar, dass diese Finanzspritze nicht ausreicht. Die AHV-Reform (AHV 21) soll dafür sorgen, dass die Einnahmen der AHV die Ausgaben für weitere zehn Jahre decken. Einen wesentlichen Beitrag dazu sollen die Frauen leisten: Ihr Rentenalter soll in schrittweise von 64 auf 65 Jahre erhöht werden.

Neun Übergangsjahrgänge

Tritt die Reform Anfang 2024 in Kraft, werden Frauen mit Jahrgang 1964 als erste mit 65 Jahren pensioniert. Das Referenzalter gilt auch für die Pensionskasse. Für die Frauen jener neun Jahrgänge, die nach dem Inkrafttreten der Reform als erste pensioniert werden, ist bei der AHV ein Ausgleich vorgesehen.

Gehen sie nicht vorzeitig in Rente, erhalten Frauen dieser neun Jahrgänge lebenslang einen Zuschlag auf ihre Rente. Vorzeitig pensionierten Frauen der neun Jahrgänge wird die Rente weniger stark gekürzt. Tritt die Reform 2024 in Kraft, erhalten die Jahrgänge 1961 bis 1969 den Ausgleich.

Bis 2032 würde die AHV bei einem Ja nach Berechnungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) durch die spätere Pensionierung der Frauen rund 9 Milliarden Franken sparen. Der Ausgleich für die am stärksten betroffenen Frauen kostet demgegenüber rund 2,8 Milliarden Franken.

Die Vorlage bringt zudem eine flexible Pensionierung zwischen 63 und 70 Jahren. Auch hier gilt eine Sonderregelung für Frauen der neun Übergangsjahrgänge: Sie können die Rente ab dem 62. Geburtstag vorbeziehen. Bundesrat und Parlament wollen zudem mehr Anreize setzen, damit auch über 65-Jährige einer bezahlten Arbeit nachgehen.

Stabilisierung für zehn Jahre

Zweites Element der Vorlage ist eine Zusatzfinanzierung der AHV aus der Mehrwertsteuer. Der Normalsatz soll deswegen um 0,4 Prozentpunkte auf 8,1 Prozent angehoben werden. Beim reduzierten Satz und beim Sondersatz für die Hotellerie sind es je 0,1 Prozentpunkte. Die Sätze lägen neu bei 2,6 respektive 3,8 Prozent.

Die Massnahmen bei der AHV und die Erhöhung der Mehrwertsteuer entlasten die AHV bis 2032 um rund 17,3 Milliarden Franken. Der Bund hat errechnet, dass dann noch eine Finanzierungslücke von rund 1,2 Milliarden Franken bleibt. Dieses Loch soll eine nächste AHV-Revision stopfen.

Für Sozialminister Alain Berset ist die Vorlage "ein Kompromiss aus Mehreinnahmen und Einsparungen". Die Reform sei nötig und dringend, damit sich die finanzielle Situation der AHV nicht verschlechtere. Der Sozialminister muss beim Urnengang gegen seine eigene Partei antreten.

Zulasten der Frauen

Gegen die AHV-Reform kämpft ein linkes Bündnis mit dem Referendum. Es werde zulasten der Frauen gespart, argumentieren SP, Grüne und Gewerkschaften. Allein in den nächsten zehn Jahren müssten die Frauen, die ohnehin tiefere Renten hätten, auf AHV-Renten im Umfang von sieben Milliarden Franken verzichten.

Das Ja zum höheren Frauenrentenalter öffnet nach Ansicht der Gegner die Tür für das Rentenalter 67 für alle, und Ältere hätten im Arbeitsmarkt schlechte Karten. Auch die Mehrwertsteuererhöhung empfehlen die Referendumsführer zur Ablehnung. Die Erhöhung falle in eine Zeit, in der die Preise explodierten und steigende Prämien der Krankenkassen angekündigt worden seien.

In den Umfragen im Auftrag von SRG und Tamedia wird die Vorlage gemischt aufgenommen. Bei den Männern ist die Zustimmung klar. Frauen sagten in der SRG-Umfrage knapp Ja; in der Tamedia-Umfrage äusserten sie sich mehrheitlich dagegen. Die AHV-Zusatzfinanzierung aus der Mehrwertsteuer fand eine klare Mehrheit.

mk/

(AWP)