Als der australische Ministerpräsident Scott Morrison am Dienstag in Paris und Berlin anrief, holte er sich eine freundliche Abfuhr. Weder Präsident Emmanuel Macron noch Kanzlerin Angela Merkel wollten den konservativen Politiker dabei unterstützen, jetzt sofort eine internationale Untersuchung über den Ausbruch des Corona-Virus in der chinesischen Stadt Wuhan auf den Weg zu bringen.

Zwar gibt es auch in Europa Zweifel an der Offenheit der kommunistischen Führung in Peking im Umgang mit der Corona-Krise. Aber nach Angaben von EU-Diplomaten steht der Kampf zur Eindämmung des todbringenden Virus derzeit im Vordergrund. Die Frage des Ausbruchs könne man "zum gegebenen Zeitpunkt" klären, sagte auch Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch.

Die in Canberra öffentlich bekanntgemachten Telefonate von Morrison zeigen allerdings, dass bewusst Druck auf China ausgeübt werden soll. Und der kommt vor allem aus den USA. Je höher die Zahlen der Infizierten und Toten dort sind, desto lauter kritisiert US-Präsident Donald Trump die Regierung in Peking, der er die Verantwortung für die Krise zuweist. Der republikanisch regierte US-Bundesstaat Missouri hat China sogar auf Schadensersatz für die Verluste in der Wirtschaft verklagt.

Europäer stehen lieber abseits

Die Erfolgschancen gelten zwar bei US-Rechtsgelehrten als gering. Aber EU-Diplomaten sehen darin den Versuch Trumps, in der Öffentlichkeit das sogenannte Narrativ der Corona-Krise zu ändern - also die Frage, wer Schuld an der Krise hat und wer sich bewährt. So sprach Trump öffentlich wiederholt nicht vom Coronavirus, sondern vom "China-Virus". Immerhin will er im November als US-Präsident wiedergewählt werden.

"Die Europäer haben eigentlich kein Interesse daran, in diese neue amerikanisch-chinesische Auseinandersetzung hineingezogen zu werden", sagt ein EU-Diplomat. Denn parallel zu den vor allem in den USA kursierenden Gerüchten, dass das Virus aus Unachtsamkeit aus einem Regierungs-Labor in Wuhan entwichen sein könnte, wird auf chinesischer Seite die Spekulation genährt, ein US-Soldat habe das Virus bei einem Besuch in Wuhan eingeschleppt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht derzeit keine Beweise für die eine oder die andere Spekulation.

Zu der US-chinesischen Auseinandersetzung kommt aber auch der seit Trumps Amtsantritt schwelende Streit mit den EU-Staaten über multilaterale Organisationen hinzu. Geschürt wurde die Auseinandersetzung in der Corona-Krise durch Trump, der die WHO zunächst kritisierte und dann kurzerhand die US-Zahlungen an die Organisation aussetzte. Deutschland und Frankreich reagierten mit Unverständnis.

Trump wirft der WHO vor allem Hörigkeit gegenüber Peking vor. Aussenminister Heiko Maas warnt die USA indes davor, dass der Rückzug aus der WHO der völlig falsche Schritt sei - nicht nur, weil die Pandemie nur weltweit gemeinsam bekämpft werden könne. Jeder Fussbreit, den sich die USA aus internationalen Organisationen zurückzögen, werde von Ländern besetzt, die nicht die liberalen und demokratischen Werte teilten, argumentiert Maas.

Misstrauen gegenüber China auch in Europa

Allerdings wird in europäischen Hauptstädten auch betont, dass es derzeit vor allem um den Zeitpunkt einer Aufklärung geht, weniger um diese an sich. Auch Merkels Sprecher sagte, dass sich zum "gegebenen Zeitpunkt" alle Akteure weltweit fragen müssten, was sie in der Pandemie zu jedem Zeitpunkt gemacht hätten. Dazu gehört auch die Frage nach der Ursache. Seibert forderte eine "transparente Informationspolitik".

Denn das Misstrauen ist auch in der EU gross, dass die autoritäre Regierung in Peking in der Corona-Krise keineswegs mit offenen Karten spielte und spielt. "Wenn China die Aufklärung der Herkunft des Virus verhindert, stellt sich Peking einer effizienten Bekämpfung der Pandemie in den Weg", kritisiert auch der aussenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour.

Die G7-Staaten und die EU-Regierungen hatten sich in den vergangenen Wochen wiederholt mit "Desinformations-Kampagnen" in der Corona-Krise befasst, die man sowohl Moskau als auch Peking vorwirft. Stein des Anstosses sind vor allem die gross gefeierten Hilfslieferungen mit medizinischer Schutzausrüstung an Staaten weltweit, mit denen China Sympathiepunkte sammeln will.

Immer wieder gibt es Berichte, dass chinesische Diplomaten im Gegenzug zu den Hilfen eine freundlichere China-Berichterstattung einforderten - und dass keine Fragen mehr nach Wuhan gestellt werden sollten. Nur sieht man dies etwa in Berlin nicht als Grund, nach Sanktionen oder Schadensersatzleistungen zu rufen.

(Reuters)