Für einige personifiziert der Rechtspopulist mit seiner Fundamentalopposition gegen Migration und eine engere EU-Integration die Spaltung, die seit der Flüchtlingskrise durch Europa geht. Es sei ein trauriger Tag für Europa, sagte etwa Ska Keller, Co-Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament. Andere Europa-Politiker wie der CSU-Abgeordnete Markus Ferber plädieren mit Verweis auf das "fulminante Ergebnis" von Orbans Fidesz-Partei gegen eine Ausgrenzung: "Er ist der demokratisch legitimierte Anführer Ungarns."

Orban sicherte sich bei der Parlamentswahl vor einer Woche eine dritte Amtszeit mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Der Erfolg hat Strahlkraft weit über Ungarn hinaus. Denn Orban ist der erfolgreichste der Staats- und Regierungschefs der europakritischen Visegrad-Staaten - einer losen Organisation von Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Aus Warschau gab es dementsprechend Lob. Der Sieg Orbans sei eine Bestätigung der Emanzipationspolitik Osteuropas in der EU, sagt Vizeaussenminister Konrad Szymanski, der auch EU-Botschafter seines Landes ist. Auch der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis gratulierte Orban zum "überzeugenden" Wahlergebnis.

Die Visegrad-Staaten eint die strikte Ablehnung der EU-Flüchtlingspolitik und des Quotensystems zur Verteilung der Menschen auf die Mitgliedstaaten. Auch ein Urteil des höchsten europäischen Gerichts änderte an der Blockade kaum etwas. Gleichzeitig stehen besonders Ungarn und Polen wegen ihres Vorgehens gegen die Medien und die Justiz in der Kritik aus Brüssel.

Gegen Polen leitete die EU-Kommission deshalb ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags ein, nach dem ein Land seine Stimmrechte im Ministerrat verlieren kann. Es ist die härteste Sanktion der Kommission gegen einen Staat und wurde bislang nie angewandt. Nach Aussagen eines EU-Diplomaten bereuen einige EU-Politiker nun, den gleichen Schritt nicht schon früher gegen Ungarn unternommen zu haben.

Schliesslich sei Orban seit seinem Amtsantritt 2010 mit seinen umstrittenen Reformen ein Dauerärgernis für die EU-Kommission. Die Hüterin der EU-verträge mahnte nach der Wahl die Einhaltung ihrer Werte und demokratischer Prinzipien an. Die Verteidigung dieser Grundsätze sei Aufgabe ausnahmslos aller Mitgliedstaaten, sagt ein Behördensprecher.

Wohl kein Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn

Die Lage in Ungarn wird nächste Woche Donnerstag im Innenausschuss des Parlaments diskutiert. Sollten sich schwerwiegende Verstösse Orbans gegen europäische Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie herausstellen, könnte das Plenum die Mitgliedstaaten auffordern, auch gegen Ungarn ein Artikel-7-Verfahren einzuleiten, sagt SPD-Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann.

Die Chancen dafür sind nach Aussagen von Parlamentariern wegen der Mehrheitsverhältnisse aber gering. Denn die ungarische Fidesz gehört zur grössten Fraktion im EU-Parlament, der konservativen EVP.

Ferber, dessen CSU auch zur EVP gehört, plädiert für einen neuen Ansatz in der Ungarn-Politik der EU. "Wir müssen uns schon mal etwas tiefer mit den Problemen Mittel- und Osteuropas beschäftigen und nicht immer vom hohen Ross herunter sagen: 'Wir im Westen wissen alles besser'", sagte er im "Deutschlandfunk". Es gebe in Osteuropa eine Vielzahl von Problemen, die auch durch die EU geschaffen wurden, die man nicht allein auf die Person Orban projizieren könne.

(Reuters)