Am Mittwoch letzter Woche platzte dem sonst so beherrschten deutschen Aussenminister Heiko Maas der Kragen. Der Politiker warf im Bundestag den Grünen "ein scheinheiliges Spektakel" vor, weil diese Finanzminister Olaf Scholz aus den Bund-Länder-Corona-Gesprächen heraus in die so genannte "Aktuelle Stunde" des deutschen Parlaments zitierten.

Grund der gemeinsamen Forderung von Grünen, AfD, FDP und Linken: Am Vortag war der Scholz-Brief vom August 2020 veröffentlicht geworden, in dem er der Trump-Regierung die Investition von einer Milliarde Euro in Flüssiggas-Infrastruktur in Deutschland für den Import auch amerikanischen Flüssiggases angeboten hatte - wenn denn die USA auf Sanktionen gegen die Fertigstellung und den Betrieb der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 verzichteten.

Die Auseinandersetzung zeigt, was bei der Entscheidung über die Zukunft des milliardenschweren Infrastrukturprojekts auf dem Spiel steht: Zum einen muss die Regierung klären, ob sie an dem Projekt auch angesichts einer neuen US-Regierung festhält, mit der man eigentlich eng zusammenarbeiten will. Zum anderen ist Nord Stream 2 längst zum Wahlkampfthema im deutschen Superwahljahr geworden.

Vor allem die Grünen greifen SPD und Union scharf an. Grünen-Chefin Annalena Baerbock fordert ein sofortiges Aus für Nord Stream 2 schon wegen der Verurteilung des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny. In den Reihen der Union gibt es vereinzelte Stimmen wie Norbert Röttgen, die zumindest ein Moratorium für das Projekt fordern, das der russische Konzern Gazprom in diesem Jahr vollenden will.

Es wird gebaut

Die deutsche Regierung, die sie tragenden Parteien von CDU, CSU und SPD sowie die meisten Regierungen der deutschen Bundesländer haben aber längst entschieden, an dem Projekt festzuhalten. Das haben Kanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Aussenminister Maas in den vergangenen Tagen betont.

Zentrales Argument ist, die Versorgungssicherheit für den Industriestandort Deutschland beim gleichzeitigen Ausstieg aus Kohle und Atom zu sichern. "Wir werden für eine Übergangszeit Gas brauchen, das in Deutschland nicht gefördert wird. Wir müssen die geopolitischen Interessen der Ukraine garantieren und unsere Energieversorgung durch dieses privatwirtschaftliche Projekt sichern", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet zu Reuters.

Seine Kollegen im Osten, in Niedersachsen und auch in Bayern denken nach Angaben aus Länderkreisen parteiübergreifend genauso. Sowohl Laschet als auch Maas weisen zudem darauf hin, dass die USA selbst Rohöl in Russland einkaufen - die Kritik Washingtons also nicht ganz konsistent sei.

Deutschland sieht sich nicht alleine in Europa

Nach dem deutsch-französischen Verteidigungsrat stellte sich auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hinter das Projekt - und beendete damit tagelange Spekulationen, dass Deutschland in Europa alleine dastehen könnte. Auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz unterstützt den Bau der Pipeline. Zwar räumt man auch in Berlin ein, dass es erheblichen Widerstand vor allem in Osteuropa und Skandinavien gebe.

Aber entscheidend sei, dass Deutschland in der EU keinesfalls so isoliert sei, wie die Gegner der Pipeline dies immer darstellten, heisst es in der Bundesregierung. Deshalb seien auch die politischen Kosten für Deutschland nicht so hoch. In der Allianz mit Frankreich stelle man sicher, dass die Pipeline nicht unter das Paket neuer EU-Sanktionen gegen Russland fallen werde.

Mit US-Verstimmung wird nicht gerechnet

Ein entscheidender Punkt ist, dass nach Informationen von Reuters aus verschiedenen Teilen der Bundesregierung nicht mehr damit gerechnet wird, dass sich US-Präsident Joe Biden frontal gegen Deutschland stellen werde. Die US-Regierung sei zwar noch in einer "Findungsphase", heisst es. In Washington werde aber überlegt, ob ein weiterer Sanktionsweg es Wert sei, mit einem der wichtigsten Verbündeten in Europa einen Konflikt einzugehen. Ohnehin lehnten alle EU-Staaten es prinzipiell ab, dass die USA exterritoriale Sanktionen in anderen Erdteilen verhängen.

In Berlin erwartet man dennoch baldige Gesprächen mit der US-Regierung über Nord Stream 2. Dann müsse man klären, was Deutschland tun könne, um US-Vorbehalte zu entkräften. Prinzipiell werden in der Bundesregierung dafür drei Wege gesehen: erstens weitere Zusicherungen an die Ukraine, dass sie ihren Status als Transitland für russisches Gas nach Westen nicht verliert - obwohl die EU und Deutschland bereits einen neuen Gasvertrag des Landes mit Gazprom mit ausgehandelt haben.

Zweitens könnte es um gesichtswahrende Vorkehrungen gehen, dass man im Konfliktfall nicht auf russisches Gas angewiesen sei. So wurde schon die Idee eines möglichen Stopps der Lieferungen im Krisenfall diskutiert. Drittens könnte die Bundesregierung theoretisch aber auch zusätzliche deutsche Anstrengungen auf ganz anderen Gebieten anbieten. Denn US-Präsident Biden sei darauf angewiesen, dass Deutschland sich in anderen Krisenherden stärker engagiere. Dass der Scholz-Vorschlag mit verstärkten LNG-Investitionen Biden einlenken lässt, wird dagegen als unwahrscheinlich angesehen. In der demokratisch geführten neuen Administration gebe es selbst erhebliche Vorbehalte gegen Fracking-Gas, heisst es in Regierungskreisen. 

(Reuters/cash)