Als Privatkläger trat der schweizerische Apothekerverband PharmaSuisse auf. Er erhebt einerseits Vorwürfe, weil Zur Rose zwischen 2011 und 2015 Medikamente verschickt habe, ohne die rechtlichen Anforderungen dafür vollumfänglich zu erfüllen. Laut Anklageschrift geht es um rund 143'000 Bestellungen im Umfang von mindestens 7,15 Millionen Franken.

Andererseits soll Zur Rose gegen das Heilmittelgesetz verstossen haben, indem zwischen 2010 und 2014 an rund 6400 Ärzte insgesamt 8 Millionen Franken an Vergütungen ausbezahlt worden seien.

CEO Walter Oberhänsli räumte vor Gericht ein, dass er die genauen Zahlen in beiden Anklagepunkten nicht kenne, dass die Grössenordnung aber durchaus stimmen könnte. Hingegen habe er nicht gegen geltendes Recht verstossen.

Der Versand rezeptfreier Medikamente ist gemäss Heilmittelgesetz nur unter der Ausnahme erlaubt, dass ein ärztliches Rezept vorliegt. Kunden mussten zwar gemäss Anklage vor der Bestellung einen Gesundheits-Fragebogen ausfüllen. Die Angaben seien aber ungenügend überprüft worden. Ein persönlicher Kontakt zwischen Patienten und Ärzten habe gefehlt.

Aggressive Werbung

In Werbebriefen soll Zur Rose suggeriert haben, ihr Vorgehen sei zulässig und stelle keine Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Zur Rose verletze laut Anklage ihre Sorgfaltspflicht, verleite mit Mengenrabatten und Versandkostenbefreiung bei Mindestbestellmengen zu übermässigem Arzneimittelkonsum und verschaffe sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den in direkter Konkurrenz stehenden Offizinapotheken.

Diesen Vorwürfen widersprach der angeklagte Walter Oberhänsli vor Gericht. Man habe vor Einführung des Onlineversandhandels mehrfach abgeklärt, ob ein solcher rechtens sei. Diese Haltung sei vom damaligen Kantonsapotheker ebenso wie über rund zehn Jahre auch vom schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic gestützt worden.

Erst 2012 habe Swissmedic diese Position widerrufen. Allerdings habe das Bundesgericht erst 2015 letztinstanzlich entschieden, dass die Geschäftstätigkeit widerrechtlich war, weshalb Oberhänslis Ansicht nach bis zu diesem Zeitpunkt auch kein Anlass bestand, die Geschäftstätigkeit zu sistieren. Nach dem Bundesgerichtsentscheid stellte Zur Rose den Versand rezeptfreier Medikamente ein.

Weiter führte Obarhänsli aus, dass die Thurgauer Staatsanwaltschaft nach der Hausdurchsuchung 2012 festgestellt habe, dass für sämtliche bei Zur Rose online bestellten rezeptfreien Medikamente die dafür dennoch notwendigen Rezepte vorlagen. Der zuständige Staatsanwalt habe sich dann bei ihm für die Umstände entschuldigt und sei davon ausgegangen, dass das Verfahren eingestellt werde. Die Zuständigkeit hierfür habe immer beim Kanton und nicht bei Swissmedic gelegen.

Umstrittene Abgeltungen

Der zweite Anklagepunkt betrifft die Abgeltung ärztlicher Leistungen, die gemäss Klägerschaft unzulässig war. Ärzte, die für ihre Patienten Medikamente via Zur Rose bestellten und hierfür eine Software von Zur Rose benutzten, wurden für administrative Aufwände entschädigt. Pro Rezeptzeile erhielten sie 1 Franken, für die Erfassung der Personalien jedes Neukunden 40 Franken. Sogenannte Dossierchecks wurden pro Jahr und Patient mit 12 Franken entschädigt.

Insgesamt hat Zur Rose zwischen 2010 und 2014 an insgesamt 6400 Ärzte über 8 Millionen Franken ausbezahlt. Diese Leistungen hätten laut Anklage nicht abgegolten werden dürfen, weil sie über den Ärztetarif TARMED bereits abgedeckt seien.

Der Staatsanwalt stellte klar: "In diesem Verfahren geht es wohl primär nicht um die Volksgesundheit, sondern um geschäftliche Interessen. Zur Rose ist keine Non-Profit-Organisation und PharmaSuisse ist keine Kundenschutz-Organisation." Die Beweisaufnahme im juristisch komplexen Spezialgebiet sei schwierig gewesen. Man habe sie schlank gehalten, um das Verfahren nicht aufzublähen. Man solle sich aber keine Illusionen machen, ein teilweiser oder vollständiger Freispruch seien möglich.

Der Versandhandel sei für Zur Rose nicht überlebensnotwendig gewesen. Der Umsatz aus dem Onlineversand betrage in der Regel weniger als 1 Prozent des Gesamtumsatzes der Gruppe. Man hätte die Klärung strittiger juristischer Punkte problemlos abwarten können. Man habe es aber darauf ankommen lassen und ungeachtet ungeklärter Fragen weiter geschäftet. Laut Anklage durfte Zur Rose bis zum Bundesgerichtsentscheid nicht davon ausgehen, dass ihr Geschäftsmodell rechtens sei.

Verteidigung fordert Freispruch

Die Verteidigung wird auf vollumfänglichen Freispruch plädieren und dies im Januar detailliert erläutern. Sie stellte am Dienstag ausserdem den Antrag, zwei nachträglich erstellte juristische Gutachten als Beweismittel in die Verfahrensakten aufzunehmen. Sie gehen der Frage nach, welche strafrechtliche Bedeutung der Bundesgerichtsentscheid von 2015 für die vorangegangene Geschäftstätigkeit von Zur Rose hat und welche Leistungen der Ärzte, die für ihre Patienten Medikamente bei Zur Rose bestellten, tatsächlich durch TARMED abgegolten sind.

Zu Beginn des Prozesses entschieden die Richter, das Verfahren zu teilen. Sollte es im ersten Teil zum Schuldspruch kommen, könnten im zweiten Teil bei der Schuldzumessung weitere Abklärungen über die Person und das Vermögen des Beschuldigten gemacht werden.

Das Heilmittelinstitut Swissmedic, das zunächst als zweite Privatklägerin auftrat, hat sich vom Verfahren zurückgezogen, weil die Kompetenzen zum Bundesamt für Gesundheit (BAG) übergegangen sind. Das BAG verzichtete an einer Teilnahme am Prozess, um dessen reibungslosen Ablauf nicht zu gefährden.

(AWP)