Auf den dritten Platz schaffte es zum ersten Mal in der Geschichte Israels ein rechtsextremes Bündnis. Die Religiös-Zionistische Partei von Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir kommt laut den Prognosen auf 14 bis 15 Sitze und gilt als möglicher Königsmacher für Netanjahu.
Bis zum Abend zeichnete sich bei der Wahl eine aussergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung ab. Nach Angaben des Zentralen Wahlkomitees lag die Beteiligung der 6,8 Millionen Wahlberechtigten bis 1900 Uhr (MEZ) bei 66,3 Prozent - die bisher höchste seit 1999.
Zwei grosse Lager - Ja-Bibi vs. Nein-Bibi
Für Netanjahu mit dem Spitzenamen "Bibi" war es politisch und persönlich eine Schicksalswahl: Eine rechtsreligiöse Regierung könnte ihm durch Gesetzesänderungen dabei helfen, seinem derzeit laufenden Korruptionsprozess zu entkommen. Der 73-Jährige hatte das Bündnis von Smotrich und Ben-Gvir gezielt vermittelt und den Rechtsextremen damit zum Aufstieg verholfen. Ben-Gvir bekräftigte bei der Stimmabgabe am Dienstag, er wolle Minister für Innere Sicherheit werden.
Der 46-jährige Rechtsanwalt wurde in der Vergangenheit wegen rassistischer Hetze verurteilt und spricht sich unter anderem für die Deportation von Arabern aus, "die gegen den Staat Israel sind". Ihm wurde auch immer wieder vorgeworfen, den Konflikt mit den Palästinensern gezielt anzuheizen. Zuletzt zog er bei Konfrontationen in Ost-Jerusalem selbst eine Waffe.
Regierungsbildung könnte dauern
Das Anti-Bibi-Lager um Lapid kam den Prognosen zufolge auf 54 bis 55 Sitze. Es umfasst Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum - es eint vor allem der Wille, eine Rückkehr Netanjahus zu verhindern. Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass es Lapid - wie im vergangenen Jahr - gelingt, eine Koalition zu schmieden.
In seiner Regierung war erstmals auch eine arabische Partei vertreten. Die arabische Minderheit macht etwa 20 Prozent der rund 9,4 Millionen Bürger Israels aus. Ihr wurde vor der Wahl ein grosser Einfluss auf das Endergebnis zugerechnet. Der 58-jährige Lapid hatte sich zuletzt deutlich für die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates ausgesprochen. Den Prognosen zufolge knackten mindestens zwei der drei arabischen Parteien die 3,25 Prozent-Hürde.
Nach der Wahl bestimmt Präsident Izchak Herzog, wer den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Der Kandidat hat dann vier Wochen Zeit, eine Koalition zu bilden. Wie nach der Wahl im letzten Jahr könnte es Wochen oder Monate dauern, bis eine Regierung steht. Solange bleibt Lapid im Amt. Sollte eine Regierungsbildung scheitern, könnte eine weitere Neuwahl im nächsten Jahr anstehen.
Die Parteienlandschaft in Israel ist stark zersplittert und interessengeleitet. Auch Parteien aus ähnlichen Lagern sind oft nicht bündnisfähig. Neben inhaltlichen Differenzen liegt dies auch an persönlichen Streitigkeiten. So gilt etwa Netanjahus Verhältnis zu anderen Hauptfiguren des rechten Lagers als extrem schlecht.
Lapid und Netanjahu mobilisieren Wähler
Die beiden politischen Hauptrivalen - Lapid und Netanjahu - kämpften am Tag der Wahl noch um jede Stimme. Bibi zeigte sich bei seiner Stimmabgabe noch "etwas besorgt", ob ihm ein Comeback gelingen wird. Auch sein Kontrahent Lapid rief vor Abgabe seiner Stimme zum Wählen auf. Zuvor hatte er das Grab seines Vaters Josef (Tommy) Lapid besucht, eines Holocaust-Überlebenden, der als Journalist und Politiker bekannt geworden war.
Israel befindet sich seit 2019 in einer Dauerkrise. Die vergangenen Wahlen hatten oft zu unklaren Mehrheitsverhältnissen geführt. Die aktuelle Acht-Parteien-Koalition unter Ministerpräsident Naftali Bennett war im Juni zerbrochen, nachdem sie nach nur zwölf Monaten ihre Mehrheit verloren hatte. Im Anschluss übernahm Aussenminister Lapid den Posten des Regierungschefs./stz/le/DP/he
(AWP)