Seit Anfang Juni ist der rekordtiefe Referenzzinssatz von 1,5 Prozent in Kraft. Das heisst: Die über zwei Millionen Mieterhaushalte in der Schweiz könnten eine Mietreduktion von rund 2 Prozent einfordern. Denn das Mietrecht sieht vor, dass die Mieten an den tieferen Referenzzins angepasst werden. In vielen Fällen würden so die jährlichen Mietkosten um hunderte Franken sinken.

Das ist die Theorie. Die Praxis sieht indes anders aus. Wie eine Berechnung von Raiffeisen zeigt, müssten die Mieten in der Schweiz aktuell um 40 Prozent tiefer sein. Dies, weil die Vermieter die Gesuche zur Mietzinssenkung ablehnen, weil die Verwaltungen von sich aus keine Mitzinssenkungen vornehmen müssen - und weil viele Mieter gar kein Begehren stellen.

Das wird sich heuer ändern. Die aktuellen Erfahrungen grosser Verwaltungen zeigen, dass seit der Senkung des Referenzzinssatzes eine Steigerung der Anfragen registriert wird. Wincasa zum Beispiel verzeichnet "einen spürbaren Anstieg an Anfragen", wie die Tochtergesellschaft von Swiss Prime Site auf Anfrage von cash mitteilt. 

Ähnliches berichtet die Verwaltung Livit, die 150'000 Mietobjekte bewirtschaftet. "In den meisten Fällen können wir unseren Mietern eine positive Rückmeldung geben", schreibt Livit auf Anfrage von cash. Ab und zu komme es aber auch vor, dass der Marktzins erst kürzlich angepasst oder eine umfangreiche Sanierung durchgeführt worden sie. Bei solchen Fällen könne man dem Begehren nicht nachkommen.

Gefragte Ratgeber

Im Vergleich zu 2015, als der Referenzzinssatz zum letzten Mal gesenkt wurde, haben sich auch mehr Personen auf der Homepage des Mieterverbands über einen tieferen Mietzins informiert. Hier zeigt sich das Ausmass des gestiegenen Interesses gegenüber der letzten Senkung des Referenzzinssatzes 2015 besonders deutlich. Die entsprechende Ratgeberseite des Mieterverbandes wurde seit Bekanntgabe der neuen Senkung fast doppelt so oft angeklickt wie noch vor zwei Jahren, wie Generalsekretär Michael Töngi auf Anfrage schreibt.

Zudem wurde der Musterbrief für eine Mietzinssenkung des Mieterverbands zwischen Anfang und Mitte Juni 24'000 mal heruntergeladen. Damit können sich Mieter an ihre Verwaltung wenden und auf den nächsten Kündigungstermin eine Senkung des Mietzinses verlangen. Mit einem Online-Mietrechner kann vorab abgeklärt werden, wie hoch die Reduktion in etwa sein sollte.

Der Vermieter seinerseits muss der Forderung nicht oder nur teilweise stattgeben. Und er kann den Senkungsanspruch mit verschiedenen Einwänden wieder kompensieren: Teuerung, gestiegene Unterhaltskosten, Investitionen, Orts- und Quartierüblichkeit. Allerdings ist hier kritisches Hinschauen angebracht. Die Teuerung beispielsweise ist in den letzten zwei Jahren kaum vom Fleck gekommen (+0,08 Prozent). Wer schliesslich nicht einverstanden ist mit dem Entscheid des Vermieters, kann sich an die kostenlose Schlichtungsbehörde wenden.

Proaktive Vermieter

Der Auslöser für die gestiegene Zahl an Senkungsbegehren könnte sein, dass künftig von eher steigenden Zinsen ausgegangen wird. Es könnte also für lange Zeit die letzte Chance auf eine Mietzinsreduktion sein. Kommt hinzu: Bei Erhöhungen des Referenzzinses sind die Vermieter häufig schnell zur Stelle und erhöhen die Mieten.

Es gibt allerdings auch Verwaltungen, die proaktiv die Mieten senken. Der Tages-Anzeiger berichtete kürzlich, die Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich senke die Mieten bei ihren 9200 Wohnungen freiwillig um 1,8 Prozent. Auch die Freilager AG und die BVK passten ihre Mieten automatisch an den neuen Referenzzins an.