cash: Herr Professor Mettler, wie ist die Stimmung in den USA gegenüber der Schweiz in Sachen Steuerstreit?

Prof. Alfred Mettler: Im Gegensatz zur Schweizer Bevölkerung ist in der breiten US-Bevölkerung der Steuerstreit kein Thema. Aus amerikanischer Sicht handelt es sich um ein reines Justizverfahren, welches nur die Behörden interessiert. Ich sehe absolut keine Stimmungsmache in den USA gegen die Schweiz.

Der Steuerstreit hat somit nicht negativ auf das Schweizer Image abgefärbt?

Nein, nicht mal bei den US-Behörden hat sich das Schweiz-Bild eingetrübt. Die Schweizer sehen diesbezüglich viel zu schwarz. Wenn uns die US-Justiz anklagt, dann ist dies ein Rechtsprozess, den die USA gegen jede Person und Unternehmung anwenden würden, die mutmasslich US-Recht verletzt haben. Die Schweiz hat insgesamt ein super Image in den USA.

Also reagieren die Schweizer zu sensibel, was das Image der Schweiz angeht?

Ja, das sehe ich eindeutig so. Wobei zu sagen ist, dass natürlich das juristische Vorgehen der USA gegen die Schweiz die Schweizer Seele schmerzt, auch meine.

Laut Finanzprofessor Martin Janssen könnte der Steuerstreit den Schweizer Finanzplatz gegen 10 Milliarden Franken kosten. Eine realistische Grösse?

Ich halte jede Angabe von Zahlen für gefährlich. Der Bussenrahmen für die Banken in der Gruppe 1 ist mit den beiden Fällen UBS und Wegelin abgesteckt. Für die 2. Gruppe gelten als Richtmass für die Bussenhöhe gestaffelte Sätze zwischen 20 bis 50 Prozent der unversteuerten Vermögen von US-Bürgern. Diesbezüglich ist aber noch vieles unklar, vor allem was die Höhe dieser Vermögen betrifft.

In den Medien liest man vereinzelt, die USA wollen die Schweizer Banken ausknipsen. Was halten Sie von solchen Statements?

Gar nichts. Das ist eindeutig nicht der Fall. Die Amerikaner wollen bloss, dass jeder Bürger seine Vermögens- und Einkommenswerte korrekt versteuert. Und in der Anwendung des Steuergesetzes sind die Amerikaner knallhart. Wer kontrolliert wird und Steuern hinterzogen hat, wird kräftig zur Kasse gebeten oder muss allenfalls sogar hinter Gitter. Die Strafe ist in den USA in Sachen Steuerhinterziehung um ein Vielfaches höher als in der Schweiz, wo man Steuererklärungen flächendeckend kontrolliert.

Die Amerikaner mögen das Steuergesetz zwar bei ausländischen Bankhäusern knallhart anwenden, aber bei den eigenen Finanzplätzen Miami und Delaware drücken sie beide Augen zu – da ist doch ein Widerspruch.

Das ist in der Tat ein Widerspruch. Und es ist auch nicht unbedingt gerecht, wenn man mit unterschiedlichen Ellen misst. Aber in der Schweiz sollten wir uns nicht damit beschäftigen. Es bringt nichts, auf das Fehlverhalten anderer zu zeigen, um die eigenen Fehler zu rechtfertigen. Weder Miami oder Delaware werden ihre Steuergesetze ändern. Und Amerika wird ohnehin nicht auf Druck seitens anderer Länder seine Steuergesetzte anpassen.

Jedes Land reguliert seine Banken auf seine Weise. Welche Variante bevorzugen Sie?

Ich glaube aus verschiedenen Gründen nicht, dass das Trennbankensystem in den USA oder Europa politisch mehrheitsfähig ist. Meiner Meinung nach ist der richtige Weg, von den Banken mehr Eigenkapital zu verlangen.

Folglich sind Sie mit der Forderung von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf einverstanden?

Es war richtig von der Finanzministerin, die Debatte bezüglich Eigenmittelunterlegung wieder zu lancieren. Jede Bank, die mehr Eigenkapital hat, ist per se sicherer und besser. Aufgrund des zusätzlich geforderten Eigenkapitals reduziert sich die Profitmarge etwas, aber dies ist nicht weiter tragisch. Denn auf mittlere und lange Sicht werden die Banken dadurch attraktiver für Kundeneinlagen, was sich positiv auf das Geschäft auswirkt.

Wie viel Eigenkapital ist denn sinnvoll? Widmer-Schlumpf sprach von einem Leverage Ratio zwischen 6 bis 10 Prozent.

Wenn man sagt, die UBS und die Credit Suisse müssen ihr Leverage Ratio auf 10 Prozent hochschrauben, dann ist dies kaum realistisch. Aber 6 Prozent scheint mir eine mögliche und vernünftige Grösse zu sein. Auch in den USA wird eine Leverage Ratio in dieser Höhe diskutiert.

Sie fürchten somit keinen Wettbewerbsnachteil für die Schweizer Banken aufgrund schärferer Eigenkapitalvorschriften?

Wirklichen internationalen Wettbewerb gibt es nur bei bestimmten globalen Geschäftsfeldern. Für einzelne Investmentbanking-Aktivitäten gelten vielleicht in einem anderen Land weniger strenge Eigenkapitalunterlegungsvorschriften als in der Schweiz, wodurch entsprechende Wettbewerbsnachteile entstehen können. Aber die Schweizer Banken wollen ja ohnehin weg vom Investmentbanking. Als reine Vermögensverwaltungsbank hingegen ist man nicht im Nachteil, bloss weil man mehr Eigenkapital halten muss.

Wie siehts im Kreditgeschäft aus? Hier brauchen die Banken mehr Eigenkapital, falls sie das Geschäft künftig weiter betreiben wollen.

Es entstünde ein Wettbewerbsnachteil, wenn die Kunden einer Schweizer Kreditbank ohne weiteres Kapital bei ausländischen Banken aufnehmen könnten. Aber als Schweizer Unternehmer bekommt man nicht auf die Schnelle Kredit bei einer ausländischen Bank, wenn man nicht bereits vor Ort ist. Das Argument des Wettbewerbsnachteils wegen strengerer Eigenkapitalvorschriften ist deshalb in diesem Bereich nicht stichhaltig.

Was halten Sie von der diskutierten Weissgeldstrategie oder dem automatischen Informationsaustausch?

Ich glaube, die Schweizer Banken können mit allem Leben, sei es die Weissgeldstrategie oder der automatische Informationsaustausch. Wichtig ist aber, dass es für alle gilt, dass es von allen eingehalten und dass es überwacht wird. Wir müssen unbedingt auf einen Weltstandard bei den Eigenkapitalvorschriften und bei der Steuerdeklaration hinarbeiten.

Aber nochmals: Die Finanzzentren Miami und Delaware sowie gewisse andere Finanzzentren foutieren sich doch um solche Standards.

Miami und Delaware kann man nicht mit anderen Finanzzentren in denselben Topf werfen. Miami ist attraktiv für gewisse südamerikanische Kunden. Delaware erlaubt, relativ anonym Firmenstandorte zu eröffnen. Das sind unterschiedliche Sachen, die zwar rechtlich fragwürdig sind, aber dem Schweizer Finanzplatz nicht das Wasser abgraben werden.

Wie schätzen Sie die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Banken ein auf einer Skala von 1 bis 5, wobei 5 die beste Wertung ist?

Sicher bei mindestens 4.5. Das Know-how, das die Schweizer Banken sich in den letzten 50 Jahren auch dank des Bankgeheimnisses erarbeiten konnten, ist immens. Hier sind wir wirklich Spitze und absolut wettbewerbsfähig.

Und wenn das Bankgeheimnis nun ganz wegfällt?

Es ist ohnehin nur noch eine Frage der Zeit, bis das Bankgeheimnis Geschichte ist, und zwar auch für Schweizer Bürger im Inland. Die Schweizer Banken können ihren Erfolg nicht mehr auf dem Bankgeheimnis fussen. Das ist zwar ein schmerzhafter Anpassungsprozess, aber er ist machbar. Viel wichtiger ist der Schutz der Privatsphäre. Die Daten zwischen Banken, Steuerämtern und Steuerpflichtigen müssen geschützt werden.

Sie sind somit kein Befürworter des 'gläsernen Bürgers'?

Gegenüber dem Steueramt schon, aber nicht gegenüber der Bevölkerung.

Was halten Sie von der expansiven Geldpolitik der Notenbanken weltweit?

Wir haben keinen Präzedenzfall dafür. Alle Notenbanken pumpen wie wild Geld ins System und drücken sich so gegenseitig die Zinsen runter. Wir wissen aber alle, dass es so nicht auf Dauer weitergehen kann. Niemand weiss aber, welche Notenbank als erste eine Reduktion beschliessen wird. So wartet jeder auf jeden. Für mich ist aber klar, dass die Augen auf die USA gerichtet sind und bleiben.

Wann wird die amerikanischen Notenbank Fed mit der Straffung ihrer Geldpolitik beginnen?

Dies einzuschätzen ist sehr schwierig. Solange die Zielwerte Inflation beziehungsweise Arbeitslosigkeit nicht erreicht sind, wird die Fed das System weiter mit Geld fluten. Diese Politik wird auch von der künftigen Fed-Chefin Janet Yellen fortgesetzt, und das ist meines Erachtens gut so. Ein schneller Kurswechsel würde das in den letzten vier Jahren Erreichte in Frage stellen. Ich denke, im kommenden Jahr wird man langsam mit einer Reduktion der Anleihenkäufe beginnen.

Die US-Wirtschaft hat sich im dritten Quartal überraschend stark entwickelt. Geht’s weiter so?

Ich bin optimistisch für Amerika, weil es nach wie vor ein sehr agiles Land ist. Die USA packen Chancen, wenn sie sich anbieten. Denken Sie an die Förderung fossiler Energien mittels der Cracking- und Fracking Methode. Dies schafft günstige Energie und sehr viele Arbeitsplätze, allerdings wird dabei auf die Ökologie kaum Rücksicht genommen. Die US-Wirtschaft wird als erste spürbar anziehen, stärker als Gesamteuropa.

Die Zinsen haben jüngst deutlich angezogen. Wird sich der Aufwärtstrend forsetzen?

Die Zinsen werden weiter steigen. Dies ist sicher. Und auch die Inflation wird zunehmen. Nicht heute oder morgen, aber ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass all das Geld von den Notenbanken unbemerkt abgeschöpft werden kann.

Sie leben seit 15 Jahren in den USA. Spüren Sie Inflation im täglichen Leben?

Gefühlsmässig ja. Im Gegensatz zu Massenwaren sind vor allem Qualitätsprodukte und Qualitätsnahrung deutlich teurer geworden. Im Index spiegelt sich dies aber noch nicht wider.

 

Der Schweizer Professor Alfred Mettler lehrt und forscht seit 15 Jahren an der Georgia State University in Atlanta (USA). Seine Forschungsschwerpunkte liegen im internationalen Banking und Finance, dem Risikomanagement von Finanzinstitutionen und der globalen Finanzarchitektur. Er befasst sich auch seit langem mit wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen. Zudem ist Mettler Adjunct Professor am Swiss Finance Institute.

Im Video-Interview äussert sich Professor Mettler zum politischen Hickhack im US-Finanzstreit und wie sich der Streit auf die kommenden Wahlen im November 2014 auswirken könnte.

Das Interview wurde am Montag am Rande des Europa Forums in Luzern geführt.