Unsicherheit ist Gift für Investoren. Und die Türkei steht derzeit als Symbol für ungewisse politische und wirtschaftliche Aussichten. Das Regime unter Präsident Recep Tayyip Erdogan wird zusehends autoritärer, was sich in wachsender Willkür gegenüber Andersdenkenden äussert. Ein zusätzliches Risiko stellen die verschiedenen Terrorakte der jüngsten Vergangenheit dar. Dass sich die Türkei zudem am Syrien-Konflikt beteiligt, mindert die Verunsicherung nicht.

Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes: Der Tourismus ist eingebrochen, der Privatkonsum rückläufig und langfristige Investoren haben sich zurückgezogen. Von der wirtschaftlichen Aufbruchstimmung der letzten Jahre ist nicht mehr viel übrig geblieben: Anstatt um 6,1 Prozent wie im Vorjahr wuchs die türkische Wirtschaft 2016 nur noch um 2,9 Prozent. Die türkische Lira hat gegenüber dem Dollar in den letzten zwölf Monaten 30 Prozent an Wert eingebüsst, wie der folgende Chart zeigt:

Der Dollar-Lira-Kurs im Verlauf der letzten zwölf Monate, Quelle: cash.ch

Auch Schweizer Unternehmen sind betroffen. Zum Beispiel der Textilmaschinen-Hersteller Rieter. Die Türkei ist einer der grössten Textilmärkte der Welt und hinter China und Indien das Land mit dem drittgrössten Anteil am Rieter-Umsatz. 2016 schrumpften die dortigen Einnahmen um 17 Prozent auf 119 Millionen Franken. Unter anderem aufgrund "zunehmender politischer Unwägbarkeiten", wie es im Geschäftsbericht hiess.

Rieter und andere Firmen haben in der Vergangenheit stark von staatlichen Programmen zur Förderung der Textilindustrie profitiert – nicht nur in der Türkei, auch in China und Indien. Solche Subventionen sind mitverantwortlich für die hohe Zyklizität der Umsätze. Im Fall der Türkei ist diese künstlich erzeugte Nachfrage wegen der politischen Wirren nun aber weggefallen. Das ist "dementsprechend schmerzhaft", wie Armin Rechberger, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank, sagt. Er erwartet zwar unabhängig davon in der Türkei eine allmähliche Erholung der Situation. "Aber mit einer Rückkehr in vergangene Boom-Zeiten ist kaum zu rechnen", so Rechberger.

Doch Rieter verringert seine Präsenz in der Türkei nicht – im Gegenteil: Am Donnerstag wurde im Südosten des Landes eine Service-Niederlassung inklusive Ersatzteillager in Betrieb genommen. Der Experte der Bank Vontobel wertet diesen Schritt als positiv, erkennt aber, dass "die Marktlage in der Türkei schwierig ist und bleibt". Rieter selber wollte auf Anfrage von cash keine Stellung nehmen zur Marktlage in der Türkei.

Rieter-Aktie signalisiert Zuversicht 

Anleger sehen die Zukunft von Rieter übrigens wieder positiver: Nachdem der Aktienkurs im zweiten Halbjahr 2016 stark unter Druck kam, ist er seit Anfang Jahr um knapp 20 Prozent gestiegen. Der nächste Impulsgeber für den Titel dürfte das türkische Verfassungsreferendum vom 16. April sein. Dann entscheidet die Stimmbevölkerung über die Einführung eines Präsidialsystems, welches Erdogan mehr Macht einbringen soll. Stabilisieren sich die politischen Verhältnisse, dürften auch Subventionsprogramme zum Thema werden, so die Meinung von Beobachtern.

Auch der Rheintaler Metallverarbeiter SFS ist in der Türkei mit einer Produktionsanlage präsent. 2015 wurde der Standort in Torbali (in der Nähe von Izmir), wo vor allem Produkte für den lokalen Markt hergestellt werden, gar noch erweitert.

Bei SFS sieht man trotz der derzeitigen Situation keinen Handlungsbedarf, wie Unternehmenssprecher Claude Stadler auf Anfrage schreibt: "Wir sind mit der Geschäftsentwicklung in der Türkei zufrieden und beabsichtigen, an der definierten Strategie festzuhalten." Die SFS-Aktie erlitt jüngst keinen Türkei-Dämpfer, eilt der Kurs doch seit Monaten von Allzeithoch zu Allzeithoch.

GF-Mitarbeiter können wieder frei reisen

Leichte Bremsspuren spürt auch der Industriekonzern Georg Fischer (GF). In der Türkei werden mittlerweile rund 700 Mitarbeitende beschäftigt, was fast 5 Prozent der gesamten Belegschaft ist. Rund ein Drittel der dortigen Produktion geht in den Export – mit steigender Tendenz. "Derzeit sehen wir eine gewisse Zurückhaltung in den Bereichen Haustechnik sowie Versorgung, was wir jedoch mit stärkeren Exporten kompensieren können", schreibt GF-Sprecherin Ute Schnier auf Anfrage. Die schwache türkische Lira und die damit gestiegenen Rohstoffpreise würden zudem auf die Margen drücken, was aber mit Effizienzsteigerungen und teilweisen Preiserhöhungen aufgefangen werde.

Kurz nach dem Putschversuch im Juli 2016 war auch der Arbeitsalltag von GF-Angestellten in der Türkei beeinträchtigt, wie der Konzern damals gegenüber SRF sagte. Lastwagen gerieten in Polizeikontrollen und Geschäftsreisen waren nur eingeschränkt möglich. Das hat sich laut Sprecherin Ute Schnier wieder normalisiert: "Bezüglich Reisetätigkeit beziehungsweise Bewegungsfreiheit der Mitarbeitenden gibt es derzeit keine nennenswerten Einschränkungen."

ABB hingegen spürte eine Verlangsamung im Türkei-Geschäft, wie der Konzern anlässlich der letzten Ergebnispräsentation mitteilte. Die Nachfrage nach Basisaufträgen sei in der Türkei verhalten, hiess es dort. Desweiteren sind auch der Industriekonzern Oerlikon mit seinem Fasergeschäft, die medizinischen Zulieferer Coltene und Lifewatch sowie Komax in der Türkei aktiv.

Referendum: Lage bleibt so oder so schwierig

Auf die veränderte Lage hat die Fluggesellschaft Swiss reagiert. Sie bietet derzeit keine Flüge in die Türkei an. Die gesunkene Nachfrage nach Tourismus-Angeboten spürt auch Dufry. Der Detailhändler betreibt Flughafenshops auf der ganzen Welt. Nach einem schwierigen Jahr in der Türkei könne 2017 mit "signifikanten Verbesserungen" gerechnet werden, so die Einschätzung von Dufry.

Auch wenn sich Schweizer Unternehmen mit der Situation in der Türkei offenbar gut arrangieren konnten, bleibt die Zukunft herausfordernd. Anders als viele Schwellenländer konnte sich die türkische Wirtschaft noch nicht aus ihrem Stimmungstief befreien. Eine Studie von Credit-Suisse-Ökonomen kommt zum Schluss, dass die Perspektiven für das türkische Konsumentenvertrauen schlecht bleiben. Die schwache Währung, geopolitische Risiken und politische Unsicherheiten seien die Hauptgründe dafür.

Was die Perspektiven nach der kommenden Abstimmung betrifft, sind sich die meisten Prognosen einig: Die Lage bleibt so oder so schwierig. Ein Nein schürt weitere Unsicherheit, und ein Ja könnte zu einem Ein-Mann-Staat führen, was als Rückschritt gewertet und Investoren noch mehr abschrecken dürfte.