Nur Stunden vor dem Anschlag in London am Mittwoch warnte der Chef der europäischen Polizeibehörde Europol vor der anhaltend hohen Gefahr durch Islamisten. Grossbritannien und Europa seien weiterhin mit einer hohen Zahl von radikalisierten Personen konfrontiert, schrieb der Brite Rob Wainwright in einem Blog-Beitrag zum Gedenken an die 32 Todesopfer der Brüsseler Anschläge vor einem Jahr. "Einige von ihnen werden ihre Pläne wahrscheinlich in die Tat umsetzen."

Zwar hat sich ein Jahr nach den Brüsseler Anschlägen europäischen Sicherheitskreisen zufolge der Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden um das Zehnfache erhöht. Datenbanken werden demnach besser abgeglichen, gegen Passfälschung wird härter vorgegangen, der grenzübergreifende Informationsaustausch läuft flüssiger. Grossbritannien zählt zu den grössten Nutzern von Europol-Daten.

Allerdings wachsen mit dem geplanten EU-Austritt die Sorgen, dass das Königreich künftig vor höheren Hürden beim Informationsaustausch steht. Damit könnte die Gefahr von islamistischen Anschlägen, bei denen in den vergangenen beiden Jahren mehr als 280 Menschen in Europa starben, steigen. Auch wenn der Attentäter von London britischer Staatsbürger war und Grossbritannien nicht Teil des Schengen-Raums ist, bleibt die Geheimdienstkooperation für die Briten angesichts der hochmobilen Dschihadisten von entscheidender Bedeutung.

5000 Ausweisungen mit europäischem Haftbefehl

Die Sicherheitsbehörden hatten das britische Parlament bereits im vergangenen Jahr davor gewarnt, Europol zu verlassen und die Vereinbarung über den Europäischen Haftbefehl (EuHB) aufzukündigen. Diese verpflichtet alle EU-Regierungen, mit Haftbefehl gesuchte Verdächtige aus anderen Mitgliedsstaaten festzunehmen.

Ebenfalls vor einem Jahr erklärte die britische Regierungschefin Theresa May, damals noch Innenministerin, die enge Geheimdienst-Partnerschaft mit den USA bedeute nicht, "dass man ausserhalb der EU sicherer ist, als wenn wir drin bleiben". May zufolge hat der Europäische Haftbefehl dem Land bis dato die Auslieferung von 5000 Personen erlaubt.

Nach Angaben von ehemaligen Beamten wäre das Vereinigte Königreich bei einem Europol-Austritt auf den Aufbau von individuellen Sicherheitsbeziehungen zu jedem der 27 EU-Staaten angewiesen. Bill Hughes, ehemaliger Direktor der mittlerweile aufgelösten Polizeibehörde Serious Organised Crime Agency, sagt: "Bevor Europol ins Leben gerufen wurde, kam es darauf an wen man kannte und anrufen konnte." Vor dem Parlament sprach er von einer "verworrenen Angelegenheit".

Neben Europol ist Grossbritannien auch Teil der Schengen-Vereinbarung zum Geheimdienstaustausch und einer gemeinsamen EU-Datenbank über Flugpassagiere. EU-Diplomaten verweigern sich bislang der Neuverhandlung der britisch-europäischen Sicherheitsbeziehungen, solange Mays Regierung den formalen Austrittsantrag nicht gestellt hat. Ein altgedienter britischer Diplomat geht aber davon aus, dass das Königreich eine "spezielle Beziehung" zur EU anstrebt. "Die EU ist nicht gut darin, dritte Parteien einzubeziehen", sagt er. "Wir müssen in der Lage sein, uns auf vertrauensvoller Basis auszutauschen."

Sicherheit versus Handelsbarrieren

Obwohl auch die EU weiterhin eine enge Sicherheitskooperation mit den Briten anstrebt, sind die Spannungen nicht zu übersehen. Der Brexit-Unterhändler der EU, Michel Barnier, hat kühl auf Mays Einschätzung reagiert, wonach die "in Europa einzigartigen Fähigkeiten" der britischen Geheimdienste dem Land zu einer besseren Verhandlungsbasis verhelfen würden. "Sicherheit kann nicht gegen Wirtschafts- und Handelsinteressen abgewogen werden", sagte er.

Unter den geltenden EU-Regelungen ist der Austausch von Fingerabdrücken und DNA-Daten zwischen den nationalen Behörden eine Sache von Minuten. Nach Einschätzung der Denkfabrik Global Risk Insights könnte dies nach dem EU-Austritt Monate dauern. Der britische Labour-Abgeordnete Claude Moraes, Vorsitzender des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres im Europaparlament, sagt: "Wir brauchen eine viel härtere Diskussion über das, was wir verlieren werden."

(Reuters)