Für den Schweizerischen Arbeitgeberverband wird das ursprüngliche Reformziel einer nachhaltigen Sicherung der AHV klar verfehlt. Die Wirtschaft werde ihre Position demnächst festlegen: Es sei aber nicht absehbar, dass sie eine Reform mittrage, die einen AHV-Ausbau von 70 CHF für Neurentner ohne die Einführung einer Schuldenbremse für die AHV vorsehe.

Ein AHV-Ausbau mit der Giesskanne für Arm und Reich werde die AHV ohne eine Schuldenbremse innert weniger Jahre in den Ruin treiben. Der Druck auf eine zügige Erhöhung des Rentenalters spätestens ab 2030 werde drastisch steigen. Selbst ein Rentenalter von 67 Jahren für Männer und Frauen werde nicht ausreichen, um das jährliche Finanzloch Mitte der 2030-er Jahre zu stopfen, schreibt der Arbeitgeberverband.

Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) sieht in der Reform keine Lösung mit Bestand. Statt die Altersvorsorge langfristig auf gesunden Boden zu stellen, belaste die viel zu teure Reform die finanziell angeschlagene AHV über Jahrzehnte mit jährlichen Mehrausgaben in Milliardenhöhe. Die Zeche für die Scheinreform zahlten die jungen Generationen, die Konsumenten und die KMU mit höheren Lohn- und Mehrwertsteuerabgaben. Es sei fraglich, ob diese Vorlage vor dem Volk bestehen könne.

CHANCE FÜR DIE 2. SÄULE

Der Schweizerische Pensionskassenverband ASIP beurteilt die Altersreform hingegen als Chance, um die Altersvorsorge als Ganzes und insbesondere die berufliche Vorsorge zu sichern. Die Stellschrauben in der zweiten Säule würden neu so justiert, dass sie eher der wirtschaftlichen Realität entsprächen.

Es sei nun notwendig, der Bevölkerung zu erklären, dass nur dank dieser Reform das heutige Rentenniveau in der Zweiten Säule beibehalten werden könne. Die unbestritten notwendige Reform zur langfristigen Sicherung der Altersvorsorge und des heutigen Rentenniveaus und der Zweiten Säule im Speziellen dürfe jetzt nicht Opfer ideologischer Auseinandersetzungen werden.

REFORMBLOCKADE DURCHBROCHEN

Der Arbeitnehmerverband Travail.Suisse äussert sich erleichtert über die Annahme der Reform. Damit stünden die Chancen gut, dass in der Altersvorsorge eine über 20-jährige Reformblockade durchbrochen werden könne. Mit dem Reformpaket sei das AHV-Vermögen auch 2030 noch genügend hoch, um eine Jahresausgabe zu decken.

Das Tabu, dass bei der AHV keine Verbesserungen mehr eingeführt werden könnten, sei mit dem Entscheid des Parlaments nun gebrochen, sagte Ewald Ackermann, Sprecher des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) auf Anfrage. Dies sei sehr positiv zu werten.

Auch seien weitere Fortschritte in der Vorlage enthalten, etwa die Stärkung der Stellung von Teilzeitbeschäftigten oder von älteren Arbeitslosen. Auf der anderen Seite sei natürlich die Erhöhung des Frauenrentenalters sehr umstritten, eine "bittere Pille", wie SGB-Präsident und St. Galler SP-Ständerat Paul Rechsteiner sagte. Das letzte Worte zur Haltung des SGB zur Altersreform werde die Delegiertenversammlung nächste Woche in Bern haben.

Die Gewerkschaft Unia und der Verband des Personals Oeffentlicher Dienste (VPOD) entscheiden am Samstag anlässlich ihrer Delegiertenversammlungen über ein allfälliges Referendum. Ein solches bringe Klarheit, sagte VPOD-Generalsekretär Agostino Soldini. Sie kritisieren vor allem das höhere Frauenrentenalter.

Auch wenn das Referendum nicht ergriffen wird, muss das Volk über die Reform der Altersvorsorge abstimmen. Für die Mehrwertsteuer-Erhöhung ist die Zustimmung von Volk und Ständen nötig, weil die Verfassung geändert werden muss. Da die Räte Verfassungs- und Gesetzesänderung verknüpft haben, gilt der Urnengang für das gesamte Reformpaket.

SCHARFE KRITIK AUS DER WESTSCHWEIZ

Druck kommt von der Gruppierung "Les Assises sur les retraites", einer Koalition von Gewerkschaftern, Politikern und verschiedenen Verbänden aus der Westschweiz. Sie wollen das Referendum ergreifen, wenn der SGB das Frauenrentenalter kampflos aufgibt. Ihrer Meinung nach stellt die Reform zudem nur eine Etappe dar: Das Ziel der Arbeitgeber sei Rentenalter 67 für alle.

Das Reformpaket bringe keine einzige Verbesserung für die aktuellen Rentnerinnen und Rentner. Angesichts der anhaltenden Explosion der Krankenkassenprämien werde letztlich die Kaufkraft der Betroffenen vermindert. Akzentuiert werde dies durch die Erhöhung der "unsozialen Mehrwertsteuer".

Die Linksgruppierung solidaritéS bezeichnet die Reform als verheerend für die Renten, vor allem für jene der Frauen, und dies auch noch unter dem Deckmantel der Gleichheit. Die Erhöhungen der AHV-Renten würden die Verschlechterungen durch die Reform bei weitem nicht kompensieren und böten keinen Ausweg für ein bankrottes System.

(AWP)