cash: Xenia Tchoumitcheva, seit fast drei Jahren moderieren Sie im italienischen Fernsehen die Sendung 'L’Italia che funziona' ('Das Italien, das funktioniert'). Nach den Wahlen vor einer Woche funktioniert Italien aber nicht mehr wirklich.

Xenia Tchoumitcheva: Es ist momentan ein totales Chaos im Land. Es gibt bei der Regierungsbildung keine Fortschritte, und seit ein paar Tagen ist auch der Papst gegangen. Sogar die Italiener lachen darüber und sagen, dass in ihrem Land nichts mehr funktioniert. Aber das stimmt natürlich nicht. Ausserhalb der Politik läuft doch alles wie zuvor. 

Es waren doch die Wähler, die diesen Zustand herbeigeführt haben?

Die Hauptschuld sehe ich bei den veralteten Wahlgesetzen, die den Gewinnern einen zusätzlichen Sitz-Bonus zuspricht. Das politische System führt auch heute nicht zu stabilen Regierungen. Diese Gesetze müssen geändert werden, wenn man nicht solche Zustände möchte, wie sie jetzt herrschen.

Wie gehen die Italiener damit um?

Sie nehmen die Politik schon länger nicht mehr ernst. Wenn Italiener über Politik sprechen, dann meistens mit ironischem oder gar sarkastischem Unterton.

Ein Grund, wieso gerade ein Komiker wie Beppe Grillo die Massen vereinnahmen kann?

Klar, aber das ist nicht der Einzige. In meinen Augen braucht Italien eine starke Macht, einen wirklichen Leader. Es muss eine charismatische Persönlichkeit sein, wie es eben auch Grillo ist. Es liegt im Blut der Italiener, Chaos und Leidenschaft zu vereinen. Regeln kümmern sie wenig. Jedes Land und jede Kultur benötigt eine passende Regierung. 

Kehrte deshalb Silvio Berlusconi mit Erfolg ins Rennen um den Ministerpräsidenten zurück?

Ja, er verkörpert diese starke und mächtige Person. Berlusconi hat ohne Zweifel Fehler gemacht, aber man darf auch nicht vergessen, dass er auch Gutes hinterlassen hat.

Zum Beispiel?

Er hat Industrien aufgebaut und viele Jobs geschaffen. Damit hat er sich bei den Wählerinnen und Wählern Goodwill erarbeitet.

Sie verteidigen Silvio Berlusconi, weil Ihre Wirtschaftssendung auf einem Sender ausgestrahlt wird, die seiner Firma Mediaset gehören.

Nein, ich bin Schweizerin, deswegen muss ich natürlich neutral bleiben. Meine Sendung wird nicht von Mediaset, sondern von einer externen Produktionsfirma hergestellt. Diese bietet das Format allen Fernsehstationen an. Aber ich hätte auch kein Problem damit, wenn ich für Mediaset arbeiten würde, solange ich Sendungen moderieren kann, die zu mir passen.

Aber seine Bunga-Bunga-Parties und die Prozesse, die gegen ihn wegen Steuervorwürfen und Amtsmissbrauchs geführt wurden, sprechen eine andere Sprache?

Sein Image ist angekratzt, das stimmt. Das sind diese Fehler, die ich meine. Allerdings kommt darin auch ein Defizit der Italiener zum Ausdruck. Indem sie solche Dinge der Weltöffentlichkeit publik machen, geben sie sich weltweit der Lächerlichkeit preis, und das wirkt sich schliesslich auch auf die Wirtschaft aus. Sie wären besser beraten, gewisse Konflikte im kleinen und geschützten Rahmen zu lösen.

Wie nehmen Sie die Stimmung im Land wahr?

Sie ist sehr desillusioniert, nicht nur wegen der Politik. Das Land kritisiert sich derzeit nur noch. Deswegen machen wir auch die Sendung 'L’Italia che funziona'. Wir wollen die positiven Aspekte des Landes und der Wirtschaft hervorheben. Die Sendung steht für eine positive Message, und deshalb macht es mir Spass, diese Sendung zu moderieren. Ich will nicht nur die erfolgreichen Unternehmen zeigen, sondern auch den Weg, wie sie dazu gekommen sind.

Im April startet die dritte Staffel Ihrer Sendung. Hat das Format also Erfolg?

Ich bin zufrieden mit unserer Zuschauerquote. Im Durchschnitt schauen 1,2 Millionen Zuschauer die Sendung an. Das ist gut für eine solche Sparten-Sendung.

Sie sind im Tessin aufgewachsen. War eine ähnliche Sendung beim Tessiner Fernsehen TSI nie ein Thema?

Nein, ich bin mit italienischen Fernsehsendern gross geworden. Aber bis zu 'L’Italia che funziona' gab es keine Sendung, die mich angesprochen hätte. Die meisten Sendungen sind mir zu sexy und inhaltlos. Ich wollte nie als halbnackte Tänzerin im italienischen Fernsehen auftreten.

Sie wurden bekannt als Vize-Miss Schweiz 2006 und bezeichnen sich heute als Unternehmerin. Ist Ihnen dieser Etikettenwechsel wirklich gelungen?

Ich muss nicht wahrgenommen werden, bloss um wahrgenommen zu werden. Ich lasse lieber meine Arbeit für mich sprechen. So lange ich das, was ich mache, gut mache, und ich mit meiner Qualität Erfolg habe, ist mir der Gossip egal.

Sie jetten in der ganzen Welt herum und bauen sich ein Standbein im Social-Media-Marketing auf. Wie bringen Sie alles unter einen Hut?

90 Prozent aller Aufträge kommen über meine Webseite direkt auf mein Smartphone. Eigentlich habe ich einen Traumjob. Ich kann von überall her arbeiten, solange ich eine Internetverbindung habe. In Italien, Frankreich, und Spanien delegiere ich gewisse administrative Angelegenheiten. In Russland, der Ukraine und der Schweiz mache ich alles selber. Ich bin ein richtiger Kontroll-Freak.  


Im Video-Interview äussert sich Xenia Tchoumitcheva zur Bedeutung von Social-Media-Marketing und ihrem neuesten Online-Projekt.

Bekannt wurde Xenia Tchoumitcheva erstmals 2006, als sie hinter Christa Rigozzi bei den Miss-Schweiz-Wahlen Zweite wurde. Nach einem Praktikum bei JP Morgan in London startete die 25-jährige Tessinerin mit russischen Wurzeln ihre Karriere als Unternehmerin. Seither pendelt Tchoumitcheva, die unter anderem als Model, Moderatorin und Markenbotschafterin arbeitet, zwischen England, der Schweiz und Italien. Weitere Informationen: www.xeniaonline.com

Das Interview wurde am Rande der Pressekonferenz zum 25-Jahr-Jubiläum des Brillenfachgeschäfts Visilab in Zürich geführt.