Es sei ein "spezielles Vorgehen", gestand Sozialminister Alain Berset vor den Bundeshausmedien ein. Andererseits sei es auch sehr selten, dass sich die Sozialpartner in der Altersvorsorge auf eine Reform einigen könnten. Ausserdem werde der Bundesrat die Lösung im Licht der Vernehmlassungsergebnisse noch einmal genau analysieren. "Es ist keine Pro-Forma-Vernehmlassung", sagte Berset.

Kern des Sozialpartner-Kompromisses ist eine Kürzung der Renten, die durch verschiedene Ausgleichsmassnahmen abgefedert wird. Der Mindestumwandlungssatz, mit dem das angesparte Kapital in eine Rente umgerechnet wird, soll von 6,8 auf 6,0 Prozent sinken. Dadurch würden auf einen Schlag 12 Prozent der Rente verloren gehen.

Laut Berset entspricht der geltende Umwandlungssatz nicht mehr der Realität. Dafür seien 5 Prozent Rendite nötig, das lasse sich angesichts der tiefen Zinsen und Erträge langfristig nicht erreichen. Heute werden deshalb jährlich rund 7 Milliarden Franken von der aktiven Generation zu den Rentnerinnen und Rentnern verschoben - in der 2. Säule eine systemfremde Umlagerung.

"Eine Anpassung des Umwandlungssatzes ist zwingend", sagte Berset. Trotz dieser weit herum anerkannten Notwendigkeit ist die Senkung des Umwandlungssatzes mehrmals an der Urne gescheitert. Der Slogan "Rentenklau", mit dem die Linke das Vorhaben 2010 versenkte, dürfte auch ein Jahrzehnt später noch funktionieren.

Für ihr Einlenken rangen die am Kompromiss beteiligten Gewerkschafts-Dachverbände SGB und Travail.Suisse dem Arbeitgeberverband ein Bündel von Begleitmassnahmen ab. Dazu gehört die Anpassung der Altersgutschriften. Heute gibt es vier Sätze. Jener für 45- bis 54-Jährige beträgt 15 Prozent, für ältere Arbeitnehmende sind es 18 Prozent.

Künftig sollen sie sich für beide Altersgruppen auf 14 Prozent des versicherten Lohns belaufen. Für Arbeitnehmende zwischen 25 und 44 Jahren werden die Beiträge einheitlich auf 9 Prozent festgelegt, was tendenziell eine Erhöhung bedeutet. Damit steigen die Lohnnebenkosten für ältere Arbeitnehmende weniger stark an als heute, diese werden für Arbeitgeber attraktiver.

Weiter sieht der Kompromiss Verbesserungen für Teilzeitangestellte, Arbeitnehmende mit tiefen Einkommen und damit insbesondere für Frauen vor: Der Bundesrat schlägt vor, den Koordinationsabzug, der den versicherten Lohn bestimmt, auf 12'443 Franken zu halbieren.

Das bedeutet einen höheren versicherten Lohn und höhere Beiträge, aber auch mehr Rente. Vom tieferen Koordinationsabzug profitieren insbesondere Teilzeitbeschäftigte. Für Arbeitnehmende mit mehreren Einkommen hingegen ändert sich nichts, weil die Eintrittschwelle bei 21'330 Franken bleibt.

Diese Massnahmen reichen aber nicht aus, um die Rentenausfälle für jene Arbeitnehmende zu kompensieren, die schon länger im Arbeitsleben stehen. Getreu dem Sozialpartner-Kompromiss schlägt der Bundesrat daher einen lebenslangen monatlichen Rentenzuschlag für Bezügerinnen und Bezüger von BVG-Renten vor.

Für die ersten fünf Neurentner-Jahrgänge nach Inkrafttreten soll dieser Zuschlag 200 Franken, betragen, für die folgenden fünf Jahrgänge 150 Franken und dann 100 Franken. Davon profitieren tiefere Einkommen und Teilzeitbeschäftigte sofort. Zudem wird damit das Rentenniveau einer Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen erhalten. Danach soll der Bundesrat den Betrag jährlich neu festlegen.

Finanziert wird der Zuschlag über einen Lohnbeitrag von 0,5 Prozent auf einem AHV-pflichtigen Jahreseinkommen bis 853'200 Franken. Eine Umlagefinanzierung ist in de 2. Säule nicht vorgesehen. Das sei die Theorie, sagte Berset. Tatsächlich gebe es die Umlagerung aufgrund der ungenügenden Finanzierung längst.

Die Kosten für die Versicherten belaufen sich nach Angaben des Bundesrats auf über 3 Milliarden Franken. Mit 1,4 Milliarden schlagen die Halbierung des Koordinationsabzugs und die Anpassung der Altersgutschriftensätze zu Buche, mit 1,85 Milliarden die Finanzierung des Rentenzuschlags. Um 200 Millionen Franken entlastet wird die Rechnung durch die Aufhebung der Zuschüsse für Vorsorgeeinrichtungen mit einer ungünstigen Altersstruktur.

Die Vernehmlassung dauert bis zum 27. März 2020. Schon jetzt ist klar, dass es Kritik hageln wird. Der Schweizerische Gewerbeverband zum Beispiel trägt den Sozialpartner-Kompromiss nicht mit. Er schlug dem Bundesrat vor, den Umwandlungssatz ohne Rentenzuschlag und zusätzliche Lohnprozente zu senken. Andernfalls werde das 3-Säulen-Prinzip zerstört, heisst es in einer Stellungnahme.

Auch der Pensionskassenverband Asip schlägt eine Alternative vor: Künftig soll schon mit 20 mit dem Alterssparen begonnen werden. Der Koordinationsabzug soll leicht gesenkt, der Anstieg der Altersgutschriften abgeflacht werden. Für eine Übergangsgeneration von zehn Jahrgängen schlägt der Asip eine Übergangslösung vor.

Auch er hätte sich eine andere Reform ausdenken können, sagte Berset. "Aber am Ende brauchen wir eine mehrheitsfähige Vorlage." Dafür sei die breite Unterstützung jener nötig, die das Thema gut kennen.

Der Sozialminister ist sich aber bewusst, dass die Reform kein Spaziergang wird. Für die Diskussion im Parlament veranschlagt er zwei Jahre, womit die Reform 2025 oder 2026 in Kraft treten könnte, falls das Referendum ergriffen wird. Parallel dazu läuft eine AHV-Reform. Diese liegt bereits beim Parlament.

(SDA)