cash: Herr Preissler, am letzte Donnerstag tauchten die Börsen bis zu 2 Prozent, weil Konjunkturdaten schlechter als erwartet ausfielen. Ein Zeichen, dass die Börsen wieder nervöser geworden sind?

Harald Preissler: Das ist typisch für die gegenwärtige Situation. Die Rally war bislang rein auf Liquidität gebaut, ihr fehlt das konjunkturelle Fundament. Das entsteht nach einem fast zweijährigen Abschwung aber nur langsam, weswegen die Anleger starken Stimmungsschwankungen unterliegen. Das macht die Märkte anfällig. Solange der wirtschaftliche Aufschwung nicht wirklich greifbar ist, kommt es daher immer wieder zu Rücksetzern.

Haben die jüngsten Enttäuschungen ihre Einschätzungen verändert?

Wir bleiben optimistisch. Die Lage ist zwar auf den ersten Blick schlecht, aber die Perspektiven haben sich deutlich verbessert. Das neue Rollenverständnis der Europäischen Zentralbank verschafft nicht nur den Finanzmärkten, sondern auch der Realwirtschaft Planungssicherheit. Es wird wieder in Lagerbestände investiert, und die Bereitschaft zu Ersatzinvestition nimmt zu. Das ist die Basis für die Wiederbelebung. Auch die Schwellenländer sind aus ihrem Dornröschenschlaf aufgewacht. Einzig aus Europa kommen noch vereinzelte Störfeuer, aber die bringen die konjunkturelle Wiederbelebung nicht zu Fall.

Was heisst das für den Anleger?

Seine Devise muss lauten: Kontrollierte Offensive – wie im Fussball. Wir haben für dieses Jahr Aktien, konjunktursensible Rohstoffe übergewichtet. Im Anleihebereich setzen wir – mit Augenmass – auf Unternehmens- und Hochzinsanleihen.

Anlageberater empfehlen derzeit Aktien zu kaufen. Was spricht im aktuellen Umfeld für Anleihen?

Hochqualitative Staatsobligationen sind der Stabilitätsfaktor in jedem Portfolio. Sie wirken gewissermassen als Put gegen Kursverluste bei Aktien. Wir empfehlen derzeit, rund 50 Prozent des Portfolios in hochqualitativen Anleihen zu halten. Zum Vergleich: Anfang 2012 lag unsere empfohlene Quote noch über 70 Prozent. Im Herbst diesen Jahres, wenn die Zinsen gestiegen sein werden und die Aktienmärkte heissgelaufen sind, würde ich die Quote wieder erhöhen und damit das Depot etwas wasserfester machen. Nach der kontrollierten Offensive folgt im zweiten Halbjahr der kontrollierte Rückzug.

Sie erwarten ein turbulenteres zweites Halbjahr?

Ja, weil die Konjunkturstimmung dann wieder so gut sein dürfte, dass sie kaum mehr getoppt werden kann. Die Wahrscheinlichkeit für Enttäuschungen steigt und spätestens dann beginnen die Anleger, die Krisen-Zustände in Südeuropa wieder stärker wahrzunehmen. Das verspricht Volatilität und schwächere Kurse.

Was dürfen Anleger dieses Jahr vom Anleihemarkt erwarten?

Die Anleihen kommen aus einem Partyjahr, das eine sensationelle Performance gebracht hat. Die Kursgewinne fielen deutlich höher aus als die Coupons. Das passiert höchst selten. Wenn man nur 2012 als Massstab nimmt, wird dieses Jahr enttäuschend ausfallen. Wer hingegen auf die nächsten Jahre vorausblickt, wird 2013 als durchschnittliches Anleihe-Jahr erleben. Die Erträge werden sich wohl auf tiefem Niveau etablieren. Wir rechnen bei erfolgreicher aktiver Bewirtschaftung mit einem Ertrag von ein bis zwei Prozent.

Das klingt aus Investorensicht nicht wirklich spannend.

Verständlich. Der Investor erinnert sich daran, dass es früher deutlich höhere Renditen gab. Wir müssen uns aber umorientieren. Das gilt übrigens für alle Anlageklassen. Wenn sich das wirtschaftliche Umfeld so entwickelt, dass sich in allen Märkten und Regionen der Erde das Wachstum allein schon aus demographischen Gründen abschwächt, müssen Anleger überall Abstriche machen.   

2012 waren Unternehmensanleihen gefragt. Und dieses Jahr?

Anleihen von guten Schuldnern sind weitgehend ausgereizt. Grosse Kursgewinne sind hier nicht mehr zu erwarten, zumal sich die Renditen bereits auf historischen Tiefständen befinden. Unternehmensanleihen aus Euro-Kernländern bieten zum Teil nur noch ein bis eineinhalb Prozent Rendite. Anlegern bleibt da nach Abzug von Steuern und Transaktionskosten praktisch nichts mehr übrig. Wer noch etwas herausholen will, muss Perlen finden.

Bieten Unternehmensanleihen aus Peripherieländern eine Alternative?

Das ist eine interessante Möglichkeit – mit den entsprechenden Risiken. In diesen Ländern erhält der Anleger noch Coupons, von denen viele träumen. Man muss sich aber der höheren Volatilität bewusst sein, und diese auch ertragen können. Sollte es zu einer neuen Eskalation der Schuldenkrise kommen, drohen Zinsanstiege und damit kräftige Kursverluste. Anleihen aus Peripherieländern sollten daher im Depot nicht fehlen, dürfen aber  kein Schwerpunkt sein.  

Wo findet der Anleger noch ansprechende Renditen?

Wer drei Prozent oder mehr will, findet kaum noch Gelegenheiten, höchstens vielleicht noch bei Peripherieanleihen oder bei Unternehmensanleihen mit langer Laufzeit. Da sprechen wir aber von 12 Jahren und mehr. Ebenfalls höhere Renditen bringen Schwellenländeranleihen. Die sind aber mit dem Währungsrisiko gekoppelt, und dieses wird mit dem Zinscoupon in der Regel nicht mehr abgegolten.

Wie gross stehen 2013 die Chancen auf weitere Kursgewinne?

Die sind nicht mehr gross. In einer Phase der wirtschaftlichen Belebung tun sich Anleihemärkte in der Regel schwer, vor allem die 'sicheren Häfen'. Es gibt keine Immunabwehr mehr, sprich Coupons, die von ihrer Höhe her Schutz bieten. Einzig Unternehmens- und Hochzinsanleihen bieten noch die Möglichkeit von Kursgewinnen. Bei den übrigen Anleihen heisst die Strategie Risikobeschränkung. Denn ein Zinsanstieg bei zehnjährigen Bundesanleihen von 1,5 auf 2,5 Prozent verursacht einen Kursverlust von rund 8 Prozent.

Haben die Anleger das im Kopf?

Wahrscheinlich nicht. Viele Anleger stürzen sich auf die Rendite. Vor einem Jahr wurde die Bonität noch besonders gross geschrieben. Deshalb haben sich die sicheren Häfen so gut entwickelt. Seit Mitte Jahr hat sich die Sicht gewandelt. Bonität ist zweitrangig geworden, es zählt nur noch die Rendite. Die Anleger gehen davon aus, dass im Zweifelsfall die EZB einspringt.

Wie gross ist die Gefahr einer baldigen Zinswende?

Auf die Zinswende  warten viele Experten schon seit Jahren. Alleine dies zeigt, wie kompliziert der Sachverhalt ist. Nach meinem Dafürhalten sprechen gewichtige Gründe dafür, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren keine massive Zinswende droht. Elementare Strukturfaktoren wie die ungünstige demographische Entwicklung, die stagnierende Produktivität und und die niedrige Inflation sind in absehbarer Zukunft sogar eher positiv für den Anleihemarkt, Wir bleiben daher bei der Prognose, dass wir uns in einer lang anhaltenden Niedrigzinsphase befinden. Eine Entwicklung, die durch die Finanzkrise nur verstärkt wurde.

Der Geldzufluss im Anleihemarkt hält an. Droht eine Blasenbildung?

Viele Anleger orientieren sich an historischen Performances. Entsprechend fliesst weiterhin viel Geld in die Obligationen. Das ist normal, reicht aber für die Diagnose einer Blasenbildung nicht aus. Im Gegenteil, man darf nicht vergessen, dass wir uns in einer Phase extremer wirtschaftlicher Schwäche und Verunsicherung befinden. Deswegen haben die Notenbanken die Zinsen massiv gesenkt und das beschert den Obligationenmärkten unweigerlich hohe Kursgewinne. Wenn die Zinsen nicht nicht mehr weiter fallen, wovon ich ausgehe, wird der Run in die Anleihen von ganz alleine auslaufen. Eine Blase, die platzen müsste, sehe ich daher nicht.


Im Video-Interview sagt Preissler zudem, wieso eine Dividendenrenditen-Strategie eine schlechte Alternative zu Anleihen ist und warum die "Grosse Rotation" ein überwertetes Schlagwort ist. 

Harald Preissler ist Chefökonom der in Zug niedergelassenen Bantleon Bank, die sich auf Anleihen spezialisiert hat. Preissler hatte im Frühsommer 2011 den folgenden Börsencrash vorausgesagt und Anlegern zur Flucht in sichere Häfen geraten. Im letzten Herbst riet er, aus sicheren Staatsanleihen in risikobehaftetere Anlagen wie Aktien zu gehen.