Boeing gerät immer tiefer in den Strudel des Skandals um das Unglücksmodell 737 Max. Weil die US-Luftfahrtbehörde FAA eine Wiederzulassung des Fliegers für dieses Jahr ausschliesst, stoppt Boeing die Fertigung der 737 Max ab Januar vorübergehend komplett. Für den Airbus-Rivalen ist es die grösste Produktionsunterbrechung seit mehr als 20 Jahren.

Die Entscheidung dürfte auch Auswirkungen auf Zulieferer und Fluggesellschaften sowie die US-Wirtschaft haben. Der Kongressabgeordnete Rick Larsen, der den Bundesstaat Washington im US-Repräsentantenhaus vertritt, sprach von einem schweren Schlag für die Mitarbeiter von Boeing und die Wirtschaft in der Region. "Die einzige Rettung ist, dass die Führungsmannschaft von Boeing versprochen hat, keine Mitarbeiter zu entlassen", sagte er.

Auslieferungen liegen auf Eis

In der 737-Max-Produktion in Renton in der Nähe von Washingtons grösster Stadt Seattle beschäftigt der Flugzeugbauer rund 12.000 Mitarbeiter. Die 737 Max ist seit März aus dem Verkehr gezogen, nachdem bei zwei Abstürzen in Indonesien und Äthiopien 346 Menschen innerhalb von fünf Monaten ums Leben kamen. Boeing kosteten die Folgen der Tragödie bisher mehr als neun Milliarden Dollar.

Trotz des Startverbots hatte Boeing die Fertigungsrate nur leicht auf 42 von zuvor 52 Flugzeuge des Typs monatlich gedrosselt. Die Auslieferungen liegen auf Eis, bis der einstige Boeing-Kassenschlager wieder eine Starterlaubnis erhält. Etwa 400 Maschinen sind derzeit auf Lager.

"Flugzeuge, die kein Zuhause haben"

Boeing-Aktien notierten am Dienstag vorbörslich 1,3 Prozent schwächer. Die Anteilsscheine der grössten europäischen Zulieferer Safran und Senior brachen dagegen in der Spitze um vier beziehungsweise um rund neun Prozent ein, während Airbus-Aktien leicht zulegten.

Die Analysten der Credit Suisse erklärten, es sei schwer, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Entscheidung von Boeing einzuschätzen, ohne mehr über die Dauer des Produktionsstopps und die Lieferbedingungen zu wissen. Andere Experten sagten, dieser Schritt sei unvermeidlich gewesen. "Es ist keine Überraschung, dass sie keine Flugzeuge mehr herstellen, die kein Zuhause haben", sagte Adam Pilarski von der US-Beratungsfirma Avitas.

Auch die Fluggesellschaften stehen teils vor grossen Herausforderungen. Immer wieder müssen sie ihre Flugpläne wegen der fehlenden Maschinen umstellen und ihre Wachstumsziele verschieben.

Fluggesellschaften mit Gewinneinbrüchen

Der irische Billigflieger Ryanair etwa schliesst deshalb Basen, kappt sein Flugangebot für den Sommer 2020 und streicht Jobs. Southwest Airlines, der grösste Kunde der 737 Max, vereinbarte jüngst eine Entschädigungsvereinbarung mit Boeing für einen Teil der Ergebnisbelastungen, die die Fluggesellschaft durch die Probleme in diesem Jahr verdauen muss. Dem weltgrössten Reisekonzern TUI brockte das Flugverbot für die 737 Max im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Gewinneinbruch um rund ein Viertel ein.

Boeing machte am Montag weder Angaben zu den finanziellen Auswirkungen noch zur Dauer des geplanten Produktionsstopps. Der Konzern betonte, letzteres sei Sache der FAA. Frühere Aussagen des Unternehmen, wann die 737 Max wieder in Betrieb genommen werden könnte, hatten scharfe Kritik der US-Aufsichtsbehörde nach sich gezogen.

Viele Fragen rund um den einstigen Hoffnungsträger 

Die US-Luftfahrtbehörde FAA hatte vergangene Woche die Hoffnungen Boeings zunichte gemacht, bald wieder mit den Jets starten zu können. Vor einer erneuten Zulassung seien fast ein Dutzend Punkte zu bearbeiten, hiess es. Boeing drohten zudem Strafzahlungen, falls Informationen über Probleme nicht rechtzeitig weitergegeben worden seien. Zum Produktionsstopp bei Boeing wollte sich die Behörde nicht äussern.

Die FAA arbeite weiter mit den weltweiten Regulierungsbehörden zusammen, um die vorgeschlagenen Änderungen an der 737 Max zu überprüfen. "Sicherheit ist unsere oberste Priorität und wir haben keinen Zeitrahmen für das Ende der Arbeiten festgelegt", hiess es von der FAA. Eine erneute Zulassung wird nicht vor Februar erwartet und könnte sich bis in den März hinziehen.

Nach bisherigen Erkenntnissen waren die beiden Maschinen vor allem wegen der fehlerhaften Steuer-Software MCAS abgestürzt, die einen Sturzflug automatisch verhindern soll. Auch in China äusserte die dortige Behörde Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Sicherheit des Flugzeugs auf der Grundlage der vorgeschlagenen Änderungen an Software und Flugsteuerungssystemen.

Die 737 MAX war der Hoffnungsträger für Boeing. Die Stilllegung und der Produktionsstopp sind ein Desaster für den Konzern. Zum ersten Mal seit über 20 Jahren muss der Flugzeugbauer die Arbeiten in den Fertigungshallen der Modellreihe ruhen lassen. 1997 hatten Probleme bei Lieferketten einen Produktionsstopp der 737 und der 747 zur Folge.

(Reuters)