Kann es gelingen, 14 Marken auf zwei Kontinenten mit so unterschiedlichen Kulturen zusammenzuführen - und das mitten in der Pandemie?, fragten damals mehrere Experten. Da war das ganze Ausmaß der Chipknappheit für die Branche noch gar nicht abzusehen. Doch Konzernchef Carlos Tavares hat die Zweifler überzeugt: "Er schafft es immer wieder, gute Erträge zu erzielen", sagt Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler. Das habe der gebürtige Portugiese schon bei der Sanierung von Peugeot und der Übernahme von Opel bewiesen. "Es ist immer wieder erstaunlich, was dabei herauskommt."

Überrascht zeigten sich Börsianer, als Tavares bereits nach wenigen Monaten Erfolge vorweisen konnte. Zur Jahresmitte glänzte Stellantis - dessen Name für den Wunsch steht, nach den Sternen zu greifen - mit einer operativen Marge von 11,4 Prozent. Für einen Massenhersteller ist das ein sehr hoher Wert. Zum Vergleich: Der deutlich größere VW-Konzern kam nach einem ähnlich starken ersten Halbjahr auf eine Rendite von 8,8 Prozent. Dabei spielten beiden Autobauern die durch den Halbleitermangel stark gestiegenen Autopreise in die Hände. "Man verkauft zwar weniger Autos, hat aber trotzdem höhere Gewinne", sagte Frank Schwope von der NordLB. "Das ist das, wonach sich die Autohersteller jahrzehntelang gesehnt haben."

Auch Opel profitiert davon. Dank der geschickten Verteilung elektronischer Bauteile in dem Großkonzern konnte die Rüsselsheimer Stellantis-Tochter ihren Absatz im vergangenen Jahr gegen den Trend in der EU leicht steigern. Das Werk in Eisenach, über dessen Ausgliederung spekuliert worden war, bekam den Zuschlag für das Modell Grandland und wird künftig das gesamte Volumen des kompakten SUV montieren.

Jetzt bleibt abzuwarten, ob sich die Erwartungen auch langfristig erfüllen. Das erste Jahr jedenfalls sei vielversprechend, meinen die Analysten von Jefferies. Tavares habe den Ehrgeiz und die Durchsetzungskraft, seine Vision von einem schlagkräftigen Konzern umzusetzen. Nachdem er den viertgrößten Automobilhersteller der Welt geschmiedet hatte, brachte der rastlose Manager eine Welle an strategischen Vorhaben auf den Weg. Bis zur Mitte des Jahrzehnts hat der fusionierte Konzern mehr als 30 Milliarden Euro für die Entwicklung neuer Fahrzeugarchitekturen, den Bau von Batteriezellfabriken und die Sicherung von Rohstoffen bereitgestellt. Tavares hat außerdem Allianzen mit Amazon und dem Apple-Zulieferer Foxconn gebildet, um die Entwicklung von Software und Halbleitern für vernetzte Fahrzeuge zu beschleunigen.

60 Prozent Plus in einem Jahr

Vom Tempo des Wandels ist selbst Tavares beeindruckt: "Was erstaunlich ist, ist die Geschwindigkeit. Es ist spannend zu sehen, dass wir viel schneller vorankommen als in der Vergangenheit", sagte der 63-Jährige bei einem virtuellen Kamingespräch der Investmentbank Morgan Stanley. Wenn man die Kursentwicklung zum Vergleich nimmt, hat Stellantis schon einen großen Schritt gemacht: Die Aktie gewann seit dem Debüt am 18. Januar 2021 mehr als 60 Prozent an Wert und stellt damit sogar den US-Elektroautohersteller Tesla in den Schatten. Dessen Papiere legten um 27 Prozent zu. Beim Börsenwert ist Stellantis mit knapp 60 Milliarden Euro aber noch ein vergleichsweise kleines Licht. Hier kommt der Konzern gerade mal auf sechs Prozent dessen, was Tesla auf die Waage bringt.

Dabei hat der Konzern nach Meinung von Analysten seine größten Baustellen noch gar nicht in Angriff genommen. Schwope sieht Stellantis nach wie vor als "Restrukturierungsgeschichte". In Italien habe das fusionierte Unternehmen beim Abbau von Überkapazitäten noch Nachholbedarf. Beim Personal geht Tavares indes behutsam vor. Die Belegschaft blieb im vorigen Jahr mit rund 300'000 Beschäftigten nahezu stabil. Damit erfüllte Tavares auch ein Versprechen, das er den Gewerkschaften vor der Fusion gegeben hatte.

Großes Potenzial sehen die Analysten auf dem weltgrößten Automarkt in China, wo der italienisch-französischen Konzern bisher kaum eine Rolle spielt. "Wir verhandeln und ändern jetzt sehr viele Dinge im Kern", sagte Tavares jüngst zu seinen China-Plänen, ohne Details zu nennen. Die Experten von Jefferies halten es für möglich, dass Stellantis dort seine Marken Jeep und Maserati ins Rennen schicken wird. Die Volksrepublik komme für Stellantis außerdem als Basis für den Export in andere Länder Asiens in Frage.

Zur Finanzierung seiner Milliardeninvestitionen denkt der Autobauer offenbar auch über die Ausgliederung von weiteren Unternehmensteilen nach. Die Bewertung des Konzerns an der Börse sei ein wichtiges Thema, sagte Tavares, und weckte damit die Neugier der Investoren. Details seiner Strategie bis 2030 will er am 1. März nennen.

(Reuters)