Jetzt folgt auch Daimler dem Börsenmantra, das da lautet: Konglomerate sind schwerfällig und out, attraktiv sind dagegen Unternehmen mit fokussiertem Geschäftsmodell - "pure play" ist das Schlagwort für den Trend, nach dem sich schon Siemens zerlegte. Bei Daimler sollen Nutzfahrzeuge und Premium-Pkw künftig getrennte Wege gehen.

Daimler will bis Ende des Jahres Trucks abspalten und einen Mehrheitsanteil davon im Zuge eines Tauschs mit Daimler-Aktien an die Börse bringen. "Sie haben damit zwei fokussierte Unternehmen. Das ist das, was der Kapitalmarkt sehen will", sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance von Deka Investment. "Es ist auch eine Reaktion auf den Strukturwandel und das starke Wachstum von Tesla".

Daimler krebst vor sich hin

Denn während der US-Elektroautopionier mit der schillernden Figur Elon Musk an der Spitze an der US-Börse hochgejubelt und astronomisch bewertet wird, krebst die Daimler-Aktie so wie die anderer traditioneller Autobauer vor sich hin. Das Misstrauen der Anleger, ob die Autoindustrie den Sprung in emissionsfreie Mobilität schaffen und ihre Verbrennertechnik wie Ballast abwerfen wird, ist gross.

So ist Tesla mit 810 Milliarden Dollar Börsenwert trotz immer noch viel geringerem Autoabsatz und mickrigem Gewinn der wertvollste Autobauer. Daimler gilt mit gerade mal 69 Milliarden Euro Marktwert als Leichtgewicht, als günstiges Übernahmeziel.

 «Emanzipation von seinem Vorgänger» 

Daimler-Chef Ola Källenius, der Dieter Zetsche im Mai an der Konzernspitze ablöste, versprach schon länger Abhilfe. Jetzt geht er aus Sicht von Marc Tüngler, Chef der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), einen grossen Schritt, um zu liefern. "Das ist die Emanzipation von seinem Vorgänger", sagte Tüngler. "Er achtet nicht nur darauf, den Kunden schöne Autos zu verkaufen und auf die Mitarbeiter. Jetzt ist endlich der Aktionär dran." Källenius breche jetzt die Struktur auf, bevor er - wie Thyssenkrupp - von aktivistischen Investoren dazu getrieben werde.

Die Aktie leidet demnach darunter, dass in dem Konzern vom kleinen Smart über die schicke S-Klasse und die neuen EQ-Elektroautos bis hin zu Bussen und dem Schwerlaster Actros alles steckt. Die Vielfalt wird an der Börse mit einem "Konglomeratsabschlag" bestraft.

"Durch die Aufspaltung des Konzerns sollte sich der Konglomeratsabschlag reduzieren", sagt Michael Muders, Fondsmanager von Union Investment. "Die Aufspaltung des Konzerns macht sehr viel Sinn." Analysten schätzten die Summe der beiden Teile auf 75 bis 95 Euro - im Vergleich zum aktuellen Kurs der Daimler-Papiere von 65 Euro.

Lob von Analysten

Was Experten jetzt als Befreiungsschlag sehen, wurde durch einen Konzernumbau Ende 2019 erst möglich, als die Sparten Pkw, Nutzfahrzeuge und Dienstleistungen bei Daimler rechtlich und steuerlich entflochten wurden. Seither hatten Analysten zum Börsengang von Trucks gedrängt, zumal Volkswagen seine Nutzfahrzeugtöchter unter dem Dach von Traton vereinte und einen kleinen Anteil von elf Prozent 2019 an die Börse brachte.

Für den viel energischeren Plan von Daimler überhäufen Analysten Källenius mit Glückwünschen. Tim Rokossa von Deutsche Bank Research nennt es einen "fantastischen Schritt". "Sehr beeindruckend, gut gemacht", lobt Arndt Ellinghorst von Bernstein Research. Er hob das Kursziel für die Aktie umgehend an, weil er fest von Wertzuwachs und höherem Ertragspotenzial ausgeht. "Die Ankündigung ... ist ein historischer, emotionaler und spannender Schritt."

Emotional zeigten sich auch Källenius und Truck-Chef Martin Daum, als sie - fast atemlos - den "Prüfauftrag" genannten Plan präsentierten, den der Aufsichtsrat gerade erteilt hatte. "Ich kann meine Begeisterung kaum verbergen", sagte Källenius. Schon immer hätten zwei Herzen in der Brust von Daimler geschlagen - das des Truckers und das des Car-Guy. Jetzt werde ein langjähriger Traum der Nutzfahrzeugleute wahr, sagte Daum. Denn sie könnten als unabhängiges Unternehmen ihr volles Potenzial herausstellen. Darüber sei er "begeistert, aufgemöbelt, energiegeladen."

Marke Mercedes soll mehr glänzen

Der oberste Nutzfahrzeugmanager wird wegen der grösseren Transparenz, die mit der Börsennotierung einhergeht, aber auch noch stärker unter Sparzwang kommen, erklärten Experten. Trucks könne sich nicht länger im Konzern verstecken, sagt Fondsmanger Muders. "Das führt zu einer Disziplinierung und erhöht den Druck auf das Management. Wir wissen alle, dass die Trucksparte von Daimler ein ewiger Underperformer ist. Das muss sich ändern. Und das ist der Startschuss dafür."

Und noch heller als bisher könne auch die Pkw-Marke Mercedes-Benz strahlen. Denn die Marke mit dem Stern rangiere in Bewertungen zum Markenwert zwar oben, das zahle sich aber nicht im Kurs aus, erklärten Analysten. Dass Källenius aus dem Luxusimage mehr Kapital schlagen will, zeigt auch die Entscheidung, die bisherige Daimler AG in Mercedes umzubenennen. Damit eiferten die Schwaben den Kaliforniern nach, denn Tesla überzeuge auch mit Markenimage an der Börse, sagte Tüngler. "Mit der Namensänderung kann Källenius das Markenerlebnis ganz anders an der Börse spielen - wie es Tesla vorgemacht hat." Wenn dann der Kurs steige, sei das der beste Schutz vor einer Übernahme. 

(Reuters)