In der Autoindustrie geht es schon lange nicht mehr nur um Motorleistung und Luftwiderstand, sondern um Bits and Bytes: Seitdem der US-Elektroautobauer Tesla mit einem eigenen Betriebssystem der Branche das Fürchten lehrt, versuchen die Rivalen Anschluss zu finden. Volkswagen, BMW und Daimler arbeiten mit Hochdruck daran, E-Autos zu einer Art "Smartphones auf Rädern" zu machen, die nicht nur Hindernisse selbst erkennen und umfahren, sondern mit denen die Insassen während der Fahrt auch online einkaufen können. Die Software wird über eine Cloud ständig auf dem neuesten Stand gehalten.

Der Entwicklungsaufwand ist enorm - und der wirtschaftliche Erfolg steht noch in den Sternen. Trotzdem setzen die Hersteller darauf, ein eigenes Software-Gehirn für Autos zu entwickeln, das alle Funktionen steuert. Eine Allianz der deutschen Hersteller, um die Kosten zu teilen, zeichnet sich nicht ab. Noch nicht. Im Mobilfunk gibt es mit iOS und Android auch nur zwei Systeme.

Vorbild für alle ist Tesla, dessen Autosoftware schon seit jeher wie bei einem Smartphone über Funk aufgefrischt wird. Kunden können zudem Zusatzfunktionen oder Sonderausstattungen online buchen, etwa weiterführende Fahrassistenzpakete für alle Modelle oder ein Leistungsupgrade für das Model 3 Long Range.

Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen

"Mercedes will dieses Thema selbst beherrschen. Da wollen wir uns eine führende Position schaffen", sagte Daimlers Technikchef Sajjad Khan jüngst bei einer Onlineveranstaltung der "Automobilwoche". "Es geht nicht um simple Software, es geht um künstliche Intelligenz, um maschinelles Lernen und vieles mehr." Ein Betriebssystem müsse aus einem Guss sein: "Wir bieten mehr als die Zusammenstellung von Bausteinen." Daimler sei zu Kooperationen bereit und arbeite bereits mit Nvidia und Microsoft. Die Kontrolle über das System wolle man aber nicht aus den Händen geben.

Auch Volkswagen steckt viele Milliarden in die Entwicklung eines eigenen Betriebssystems und hat dafür eine eigene Geschäftseinheit geschaffen, die den Kunstnamen "Cariad" (Car, I Am Digital) trägt. Softwarechef Michael Wintergerst geht davon aus, dass es kein gemeinsames Betriebssystem der Autobauer geben wird. "Kooperationen in Teilbereichen ja, aber es wird keinen Standardweg geben, weil jeder auf die Besonderheit seiner Marke und seines Fahrzeugs achtet - auch unter Preisgesichtspunkten."

Experten trauen den Wolfsburgern zu, die enormen Investitionen in Technik und IT-Personal zu stemmen, da der weltweit zweitgrösste Autokonzern die Kosten der neuentwickelten Software auf viele Fahrzeuge umlegen kann. "Wir sind als Konzern gross genug, um durch Kooperationen mit uns selbst Standards zu setzen", meinte Audi-Chef Markus Duesmann, der Aufsichtsratschef von Cariad ist, auf einer Veranstaltung. Man wolle mindestens auf Augenhöhe mit Google kommen. Kooperationen mit anderen Autobauern schliesst Duessmann vorerst aus.

Erste Lockerungsübungen

In der Startphase komme es darauf an, Geschwindigkeit aufzunehmen, erläutert Wintergerst. Dies könnte durch langwierige Abstimmungsprozesse mit Partnern behindert werden. Danach liesse sich die Abschottung allerdings bald lockern. "Es wird sich zeigen, dass es kosteneffizienter sein kann, mit einem Open-Source-Ansatz oder einer partnerschaftlichen Lösung zu arbeiten." Branchenkenner gehen daher davon aus, dass Kooperationen zunehmen werden.

Für Autobauer sei entscheidend, das eine Betriebssoftware eine Vielzahl von Einzelkomponenten unter Kontrolle habe, meint etwa Peter Fintel von Capgemini. "Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass jeder sein eigenes Süppchen kochen und einen kompletten Software-Stack aufbauen muss", führt der Leiter für Technology and Innovationen der Beratungsfirma aus.

Für Hersteller, die technologisch vielleicht nicht überall führend sein könnten, sei eine Kooperation mit einem klingenden Namen aus dem Silicon Valley oder aus Shenzhen in China womöglich eine verlockende Option. Für kleinere Technologieanbieter sieht Fintel daher sehr gute Chancen. Dem stimmt Johannes Deichmann von McKinsey zu: "Nicht alle Fahrzeughersteller werden es schaffen, ein eigenes Betriebssystem zu entwickeln." Diese würden Systeme von grossen Zulieferern übernehmen.

Auch Start-ups könnten zum Zug kommen. Die Softwareschmiede Apex.AI aus den USA etwa hat ein Betriebssystem für Autos entwickelt, das vom TÜV Nord zertifiziert wurde. Der japanische Autobauer Toyota nutzt Apex.OS, um die Entwicklung einer Fahrzeugplattform zu beschleunigen. "Früher oder später werden die deutschen Autohersteller und jedes Unternehmen, das selbst ein Betriebssystem entwickeln will, schauen, ob es nicht doch auf eine bestehende Plattform aufsetzen kann, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren", ist Serkan Arslan, Leiter Geschäftsentwicklung von Apex.AI, überzeugt.

Angst, dass die Nutzung eines fremden Betriebssystems den Wert der Marke beschädigen könnte, müssen die Autobauer nicht haben. "Idealerweise sollten alle zusammen einen gemeinsamen Standard entwickeln. Der Wert des Betriebssystems ist für sich nicht besonders hoch", sagt McKinsey-Mann Deichmann. Dem Kunden sei es egal, welches Betriebssystem hinter dem Infotainment stecke - und bei der Fahrleistung komme es vor allem auf die Inhalte an, die auf die Software geschrieben würden.

(Reuters)