Anlegerinnen und Anleger sollen bekanntlich nicht verpassten Chancen nachtrauern. Also bringt es nichts, neidisch auf jene zu sein, die mit der Aktie von Relief Therapeutics gezockt haben. Wer richtig kaufte und dann verkaufte, konnte in den letzten Monaten viel Geld verdienen.

Aber dennoch ist Relief in vielerlei Hinsicht eine "Blackbox". Das Unternehmen hat mehrere Firmensitze, und dies offenbar mit einer nur sehr kleinen Zahl an Mitarbeitern. Mehr bekannt ist über das durch Relief entwickelte Medikament Aviptadil, das bei Atemproblemen von Coronavirus-Patienten hilft und das in den vergangenen fünf Monaten der eigentliche Treiber des Aktienkurses gewesen ist. 

Was weiss man sonst alles über Relief, was nicht? Hier die wichtigsten Antworten: 

Wie hat sich der Aktienkurs entwickelt?

Das Kursplus der Aktie seit Anfang Jahr hat quasi pharaonische Ausmasse: An der Spitze, und das war vor wenigen Tagen,  waren es über 60'000 Prozent. Aus einem investierten Franken sind seit Anfang Jahr zeitweise mehr als 600 Franken geworden.

Der Year-to-date-Chart sieht aus wie eine leicht kräuselnde Linie, die auf eine Wand zuläuft. Oder eine Welle, die an einer Hafenwand hochzischt:

2019 war der Kurs noch um 80 Prozent gefallen. Anfang 2020 wurde der Kurswert mit 0,001 Franken angegeben. Die Coronakrise Im März sorgte für einen Anstieg auf 0,051 Franken. Nach Anfang August kam dann der "Spike" auf bis zu 0,7 Franken.

Wie volatil die Sache ist, zeige sich am Dienstag. Der Kurs fiel um rund 30 Prozent zurück auf 0,49 Franken. Es wurden allein am Dienstag  über 210 Millionen Titel gehandelt. 

Was kann man aus diesen Kursbewegungen herauslesen? 

Bewegen sich die Kurse einer Firma  im Rappenbereich, ist von einem "Penny Stock" die Rede. Massiven Kursveränderungen bei solchen Aktien haftet stets etwas unseriöses an. Die Finanzierung der dahinterstehenden Firmen ist in der Regel ein Anlass zur Sorge.

Die Kursexplosion muss auch für den Hintergrund der sehr speziellen Börsenlage 2020 gesehen werden, die wegen der Coronaviruskrise einen historischen Kurssturz, aber auch eine massive Aufholrally mit sich gebracht hat. Ein Liquiditätsproblem gibt es bei der Relief-Aktie nicht: Es sind 2,2 Milliarden Titel um Umlauf. 

Was steckt konkret hinter den Kursbewegungen bei Relief? 

Für den Kursanstieg sprechen mehrere Ereignisse: In der zweiten Märzhälfte veröffentliche das Unternehmen mehrere Investoren- und Medienmitteilungen, in der das Mittel Aviptadil zur Behandlung von Atemproblemen bei Coronvirus-Erkrankungen thematisiert wurde. Anfang August wurden dann erste positive Forschungs- und Testresultate gemeldet. Vergangene Woche sagte Relief-Verwaltungsratspräsident Raghuram Sevaraju dem Wirtschaftsportal "The Market", das Medikament könne im Jahr "viel mehr" als 100 Millionen Franken einbringen.

Negativ könnte folgendes an der Börse angekommen sein: Gemäss einer bei der Börsenaufsicht der SIX Group gemeldeten Managementtransaktion hat ein Geschäftsleitungsmitglied in den vergangenen Tagen Aktien verkauft. Vertrauensfördernd sind solche Verkäufe natürlich nicht. Händler können sich vorstellen, dass es noch zu mehr Verkäufen kommt. 

Was ist Aviptadil? 

Avipdatil, auch als RLF-100 bezeichnet, ist eine künstlich hergestellte Form eines Peptids, das im menschlichen Darm vorkommt. Es existiert schon seit einer geraumen Zeit und wird für verschiedene Zwecke eingesetzt: Laut der "Times of Israel", die Entwickler zitiert,  ist es auch eine Erektionshilfe. 

Es wirkt allerdings auch gegen Atemversagen, wie es bei einem schweren Verlauf einer Coronavirus-Erkrankung vorkommt. Aviptadil blockiert die Vermehrung des Virus in den Lungenzellen und im Blut zirkulierenden Zellen des Immunsystems (Monozyten).

An welchem Punkt steht die Forschung?

In den USA und Israel hat der Wirkstoff bei mehreren Corona-Patienten erfolgreich gewirkt. Seit Juni hat Aviptadil "Fast-track"-Status bei der US-Medikamentenbehörde Food and Drug Administration (FDA). Das heisst, der Zulassungsprozess wird privilegiert behandelt. 

Vergangene Woche wurde mitgeteilt, dass Aviptadil auf Geheiss der FDA von mittelschwer bis schwer erkrannten Patienten inhaliert werden darf. So müssen Patienten nicht unbedingt an ein Beatmungsgerät. Möglich ist, dass das Medikament später auch an Patienten mit milden oder moderaten Erkrankungen verabreicht werden kann. Im September soll eine klinische Studie beginnen.

In den USA, dem für die Medikamentenentwicklung wichtigsten Land der Welt, läuft bereits eine so genannte Phase IIb/III-Studie. In Phase-III-Studien können Arzneimittel an mehrerern tausend Patienten erprobt werden. Es geht dabei darum, mehr Informationen zu Wirkungen, Neben- und Wechselwirkungen zu erhalten. Eine Phase-III-Studie entscheidet letztlich über eine Zulassung eines Medikaments.

Bei entsprechenden Forschungserfolgen könnte dank des Fast-track-Status eine Zulassung eine Frage von Monaten sein. VRP Selvaraju schätzt die Zulassungswahrscheinlichkeit auf 60 bis 70 Prozent. 

Was weiss man über das Unternehmen?

Relief Therapeutics bezeichnet sich selbst als Unternehmen für Medikamentenentwicklung. Als Fimensitze werden Genf und New York genannt, es taucht im Internet aber auch Zürich als Sitz auf. Relief  beschäftigt offenbar nur wenige Mitarbeiter und hat keinen CEO. Verwaltungsratspräsident Raghuram Selvaraju ist hauptberuflich Healthcare-Analyst beim Vermögensverwalter H.C. Wainwright.

Die Forschungen führt das amerikanisch-israelische Unternehmen NeuroRx durch. Nach Angaben von VRP Selvaraju hat Relief Anspruch auf alle Einnahmen, die mit Aviptadil erreicht werden können.

Ursprünglich war die 2001 von italienischen Gründern als IT-Researchunternehmen entstandene Firma unter dem Namen Mondobiotech an der Schweizer Börse kotiert. Über Fusionen und mit Kapitalerhöhungen als Beimusik würde der Name 2016 zunächst in Therametrics und dann in Relief Therapeutics geändert. Zeitweise hatte das Unternehmen seinen Sitz im Kapuzinerkloster in Stans NW. 

Welche Aktionäre und Personen dominieren bei Relief?

Hauptaktionär des Unternehmens ist die Beteiligungsgesellschaft GEM Global Yield Fund, die knapp ein Viertel an Relief hält. Bekannt ist, dass Relief dort im Juli Schulden von 1,72 Millionen Franken in Form von Aktien beglich.

Grössere Aktienpakete mit Anteilen zwischen etwa 4 bis 8 Prozent  haben auch Gründer des Unternehmens. Anteile halten der australische Vermögensverwalter IFM Investors (1,4 Prozent) und, gemäss Bloomberg, Banken wie Lombard Odier (0,3 Prozent), Credit Suisse und die Zürcher Kantonalbank (je circa 0,2 Prozent), respektive deren Fondsgesellschaften.

Etwas konkreter wirds beim Aufsichtsgremium: Verwaltungsräte sind der Amerikaner Peter de Svastich und der Schweizer Thomaz Burckhardt. Der Finanzspezialist Burckhardt ist Co-Geschäftsführer der Anlagegesellschaft Aetna Partnersin Genf. Der andere Co-Geschäftsführer ist der Zürcher Vermögensverwalter Hans C. Bodmer, ehemals Verwaltungsratspräsident der Privatbank Maerki Baumann. 

Schreibt das Unternehmen Gewinn?

Für 2019 wurde im April ein Verlust von 7,5 Millionen Franken bekanntgegeben. Grund war ein Abschreiber. Operativ, also in der Form des Ebitda, erzielte Relief ein Plus von 861'000 Franken.

Per 31. Dezember 2019 beliefen sich die liquiden Mittel auf 137'000 Franken. Wegen der Forschungen für Aviptadil würden dieses Jahr Barmittel in Höhe von 15 Millionen Franken verbraucht (Cash-Burn-Rate), ist mitgeteilt worden. Laut VRP Selvaraju kann Relief "ausreichend" Kapital auftreiben, um die Forschungen finanzieren zu können. 

Die alles entscheidende Frage: Jetzt bei der Aktie noch einsteigen?

Relief Therapeutics hat wegen der fehlenden Transparenz und dem ungewissen Erfolg von Avipdatil in der Behandlung von Covid-19 zweifellos den Anstrich einer Zocker-Aktie. Die Aktie ist nur etwas für Anleger mit sehr grosser Risikofähigkeit. Daniel Koller, Leiter des Investment Management Teams von BB Biotech, sagte im cash.ch-Interview im April über Relief Therapeutics: "Es handelt sich um ein Beispiel, dass eine Aussage zu einem Entwicklungskandidaten Börsenkurse teilweise explodieren lässt. Wir heben aber den Warnfinger und raten, die Medienmitteilungen aller Unternehmen sehr vorsichtig zu studieren."