Das Gebäude des zweitgrössten deutschen Einzelhändlers hat die Grösse von zweieinhalb Fussballfeldern und hat 20.000 Artikel von Getränken bis Windeln auf Lager, doppelt so viele wie ein normaler Supermarkt. Die Produkte werden in einem halben Dutzend verschiedener Kühlzonen gelagert. Die Aufträge werden mit Hilfe eines riesigen Labyrinths aus Wagen, Aufzügen und Förderbändern zusammengestellt, die durch die Algorithmen des Unternehmens gesteuert werden, bevor sie auf kleine Lastwagen verladen und ausgeliefert werden in einem Gebiet, das von der niederländischen Grenze bis nach Düsseldorf reicht.

Die ganze Technologie - im Gegensatz zu den weitgehend mit Arbeitern betriebenen Fulfillment Centern von Amazon - ist nötig wegen der strengen deutschen Vorschriften für den Umgang mit frischen Lebensmitteln. Beispielsweise darf Hackfleisch nur bei höchstens 2 Grad Celsius gelagert werden, Äpfel und Trauben bei höchstens 7 Grad und Bananen und Avocados bei höchstens 14 Grad.

Die Komplexität dieser Regeln ist einer der Gründe, warum der Online-Verkauf von Lebensmitteln in Deutschland bisher noch nicht weit verbreitet ist. Für Rewe ist das eine Chance, Amazon und andere wie die britische Ocado Group mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

"Wir brauchen sechs verschiedene Kühlzonen, während Ocado in England mit drei auskommt, was unsere Abläufe brutal komplex macht", sagte Wolf-Axel Schulze, der das Projekt leitet. "Brutal, aber faszinierend."

Unterschiedlicher Ansatz

Rewes Ansatz steht im Gegensatz zur Strategie der schnell wachsenden deutschen Discounter Aldi und Lidl, die schlanke Sortimente und Logistik einsetzen, um Effizienz hoch und Preise niedrig zu halten. Ihre Marktmacht drückt die Preise in den Supermärkten sowie die Margen, was auch dazu beträgt, Amazon in Deutschland in Schach zu halten. Der US-Gigant bietet seinen Fresh-Lieferservice nur in den Städten Berlin, Hamburg und München an und arbeitet mit überwiegend manuellen Lägern.

Rewe verfolgt am Standort Köln einen High-Tech-Ansatz. Das System stellt sogar frische Produkte und Aufschnitt, der nach Gewicht verkauft wird, automatisch bereit. Die 80 Millionen Euro teure Einrichtung ’spielt Tetris’ um sicherzustellen, dass alles in die Transportkisten passt, nichts kaputt geht und gleichzeitig die Regeln für den Umgang mit Lebensmitteln eingehalten werden, sagte Andreas Palmen, der für den Standort zuständig ist.

Die verpackten Waren aus dem Hochregal werden automatisch über Rollenbahnen der österreichischen Knapp AG befördert. Die Bereiche für Warenannahme, Kommissionieren, Verpacken und Versenden müssen alle die gleichen Temperaturvorschriften einhalten wie die Läger, was die Zusammenstellung einer typischen Bestellung von 50 bis 150 Euro logistisch erschwert.

Die Förderbänder transportieren Artikel an Scannern vorbei, die Waren nahe am Mindesthaltbarkeitsdatum aussortieren. Letztlich kommen sie bei ‘Pickern’ an, den Arbeitern, die die Einkaufstüten und Lieferkisten befüllen, welche dann auf LKW geladen werden. In einem normalen Lager laufen diese Arbeiter zu Fuss zu den Regalen und zurück, was sich pro Schicht auf viele Kilometer summieren kann.

Der Standort von Rewe in Köln ist auf einen Jahresumsatz von 120 Millionen Euro ausgelegt, sagte der Vorstandsvorsitzende Lionel Souque bei der Eröffnung des Lagers. "Wir können nicht sagen, wann wir damit Geld verdienen werden, es ist eine Investition in die Zukunft."

Trotz seines High-Tech-Image verfolgt Amazon für seinen Fresh-Service einen bedeutend weniger automatisierten Ansatz. Arbeiter holen dort händisch die Waren aus den Lagerplätzen nach der Massgabe, dass Eier und frisch gebackenes Brot vorsichtiger Handhabe bedürfen. Weitere Mitarbeiter überwachen zudem die Qualität der Produkte, sagte Sprecher Stephan Eichenseher.

Rewe hat ebenfalls Mitarbeiter, die verderbliche Ware kontrollieren. "Dies ist umso einfacher, wenn sich der Mitarbeiter auf die Kommissionierung konzentriert und nicht auf das Laufen wie in manuellen Lagern", sagte Rewe-Sprecher Raimund Esser per E-Mail.

Schwieriger Markt

Deutschland hat mehr Supermärkte pro Einwohner als die meisten europäischen Länder, und ausserdem knausern die Deutschen bei Lebensmitteln. Daher ist Online nach wie vor nur eine Nische. Laut Kantar Worldpanel werden etwa 1,7 Prozent der hierzulande gekauften Lebensmittel online bestellt, verglichen mit 7,6 Prozent im weltweit führenden britischen Markt.

Laut Marktforscher Nielsen kommen die führenden fünf Lebensmittelhändler in Deutschland auf einen Marktanteil von zusammen 74 Prozent. Rewe liegt mit rund 17 Prozent hinter Marktführer Edeka (23 Prozent), gefolgt von der Schwarz Gruppe mit Lidl, Aldi und Metro AG. Aber diese Konkurrenten wagen sich noch nicht auf derart komplexes Terrain.

Edeka liefert nur in Berlin und München, während der Online-Shop von Lidl sich auf Non-Food-Produkte beschränkt. Rewe liefert eigenen Angaben zufolge in 75 Städten aus und ist damit verfügbar für vier von zehn Deutschen.

"Da es Supermärkte an jeder Ecke gibt und die Menschen immer noch sehr preisbewusst sind, ist das Geschäft hier sowohl offline als auch online viel schwieriger", sagte Franziska Schmidt, Analystin bei PlanetRetail RNG in Frankfurt. Deutsche werden aber in diesem Jahr Lebensmittel im Wert von schätzungsweise 205 Milliarden Euro kaufen. „Selbst wenn nur zehn Prozent davon letztlich online bestellt werden, ist klar, dass Deutschland ein schlafender Riese ist."

(Bloomberg)