Swisscom-Chef Carsten Schloter (†49) ist bereits der dritte Schweizer CEO, der in den letzten fünf Jahren Selbstmord begangen hat. Im Dezember 2008 nahm sich der damalige Julius-Bär-Chef Alex Widmer (†52) das Leben. Und vor drei Jahren stürzte sich Adrian Kohler (†53) vom Bonbon-Hersteller Ricola vor einen Zug – offenbar wegen finanziellen Unregelmässigkeiten im Betrieb.

Erst vor wenigen Monaten soll sich abseits der Öffentlichkeit laut Kreisen ein weiterer Manager das Leben genommen haben: Der Leiter der internen Revision von Nobel Biocare. Firmensprecher Süha Demokan bestätigt gegenüber cash den Tod des zum erweiterten Kader angehörenden ehemaligen Mitarbeiters. Über die genaueren Umstände will Nobel Biocare aber keine Auskunft geben.

Die Ursache für Schloters Hinscheiden wird die Öffentlichkeit wohl ebenfalls nie erfahren. Klar ist nur: Er hinterlässt nicht nur als Vater von drei Kindern und Chef von über 20'000 Mitarbeitern eine grosse Lücke, sondern auch als wertvoller und charismatischer Manager in der Schweizer Wirtschaftslandschaft.

Kaum Distanz mehr zum Job vorhanden

"Führungspersonen sind für solche Notreaktionen besonders gefährdet", sagt der Berner Wirtschaftsmediator David Kaspar, der mit seinem gleichnamigen Unternehmen Führungskräfte coacht. "Es wird eine totale Identifikation mit dem Unternehmen verlangt. Die Distanz zum Job ist kaum mehr vorhanden, was dann Kurzschlusshandlungen zur Folge haben kann", sagt Kaspar.

Eine sehr enge Identifikation mit Swisscom verspürte auch Schloter. Möglicherweise eine zu enge? Er habe immer ein enormes Mass an innerer Spannung, sagte Carsten Schloter im letzten März gegenüber der "Medienwoche". Und: Er sei noch nie relaxed gewesen. Gegen aussen aber galt Schloter stets als jovialer, stets lächelnder Chef des grössten Telekommunikationsunternehmens der Schweiz. Gerade dies könne zu einer inneren Zerrissenheit führen, sagt Kaspar. "Ich kenne Führungspersonen, die nach aussen knallhart hintreten und gleichzeitig schlaflose Nächte durchleben."

Selbstreflexion bleibt auf der Strecke

"Carsten Schloter wurde als erfolgreicher Vorzeige-Manager in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Sein Schicksal ist für viele ein wahrer Schock", sagt Guido Meyer von Level Consulting. Allerdings stehe sich der Mensch oftmals selbst im Weg. "Getrieben durch Erfolgsdruck und Ehrgeiz werden Signale des Körpers ignoriert, die Selbstreflexion bleibt auf der Strecke", sagt Meyer. Er weiss aber auch, wie sich der Druck an das Management in den letzten Jahren intensiviert hat.

Der Zürcher Headhunter Roy Hitchman teilt diese Einschätzung. "Das Tempo hat mit der Globalisierung wesentlich zugenommen – und das in allen Lebenslagen", sagt der Inhaber der Executive-Search-Firma Roy C. Hitchman. Dazu kommt die Einsamkeit. "Diese ist ein häufiger Begleiter eines CEO und wird nicht selten unterschätzt", sagt Meyer.

Coach zur Hilfe nehmen

Die Coaches sehen drei hauptsächliche Möglichkeiten, wie gestresste und unter Druck stehende Manager abschalten können: Regelmässig Sport treiben – was bei Sportaholic Schloter kaum zu kurz kam –, einen Coach zur Hilfe nehmen oder sich eine Auszeit gönnen. Doch gerade die letzten zwei Angebote sind bei vielen Führungskräften noch immer verpönt.

Dabei werden gerade Sabbaticals bei Swisscom gefördert – zumindest bei Kaderangestellten. Diese können alle fünf Jahre eine Auszeit von zwei bis drei Monaten beanspruchen, wobei Swisscom 30 Arbeitstage als bezahlten Urlaub beisteuert. Für die Konzernleitung gibt allerdings keine Regelung, Sabbaticals werden individuell besprochen.

Vor zwei Wochen hatte Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz eine zweimonatige Auszeit angekündigt – eine Seltenheit in der  Schweizer Teppichetage. Headhunter gingen bereits damals davon aus, dass Vincenz kaum Nachahmer findet. "Für die meisten Topmanager ist es nicht möglich, eine längere Auszeit zu nehmen. In der Regel macht das ein CEO nicht", sagte der Zürcher Headhunter Björn Johansson damals gegenüber dem "Bund".

Findet nun ein Umdenken statt?

Sich bloss ein paar Monate aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen ändert nach Ansicht von Graziosa Alge auch kaum etwas. "Führungspersonen benötigen kontinuierlich Zeit zur Reflexion. Dazu hilft ein Gesprächspartner, der nicht zwingend von aussen kommen muss", sagt die Inhaberin von Alge Consulting. Allerdings sei in der Schweiz die Hemmschwelle oft noch zu gross, einen Coach herbeizuziehen. "Im angelsächsischen Raum sind solche Berater nicht mehr wegzudenken", sagt sie.

Vorderhand bleibt nur die Ernüchterung, dass das "Schicksal von Carsten Schloter zwar Wellen wirft, aber keine Verhaltensänderungen oder Wertewandel bewirken", sagt Guido Meyer. Trotzdem sieht er Anzeichen, dass zumindest teilweise ein Umdenken stattfindet. Für den Protagonisten kommt dieses allerdings zu spät.