Das erste Halbjahr 2022 war für Anlegerinnen und Anleger, die in US-Aktien investieren, zum Vergessen. Der breite S&P 500 erreicht mit einem Kursminus von 19,9 die schlechteste Performance seit 1970 und befindet sich in einem Bärenmarkt – Anfang Juni betrug der Kurseinbruch noch deutlich mehr als 20 Prozent. Der S&P 500 ist einer der meistbeachteten Indizes der Welt und deckt die 500 grössten börsennotierten US-Unternehmen ab.

Wenn ein Aktienindex mindestens 20 Prozent unter seinen Höchststand gefallen ist, sprechen Börsianer von einem "Bärenmarkt". In solchen Börsenphasen zeigt der übergeordnete Trend nach unten, auch wenn sich die Kurse immer mal wieder temporär erholen. Eine solche Aufwärtsbewegung, in einem ansonsten sinkenden Markt, wird als Bärenmarktrallye bezeichnet.

Eine Analyse der US-Grossbank Wells Fargo ergab, dass Bärenmärkte, die mit einer Rezession einhergingen, im Durchschnitt 20 Monate dauerten und dem S&P 500 eine negative Rendite von 37,8 Prozent erbrachten. Da die US-Notenbank Fed wohl an ihren Zinserhebungen festhält, ist die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA in jüngster Zeit gestiegen.

Warren Buffett beweist wieder seinen guten Riecher

Besser als der S&P 500 steht der seit 1884 bestehende US-Leitindex Dow Jones Industrial da: Dieser hat seit Jahresbeginn 14,6 Prozent verloren und stellt damit im Vergleich selbst den defensiven Swiss Market Index (SMI) mit einem Kursminus von 17 Prozent in den Schatten. Der Dow Jones setzt sich aus 30 der grössten US-Unternehmen zusammen.

Chevron, einer der weltgrössten Ölkonzerne, führt das Feld mit einem Kursplus von 25,3 Prozent an. Der Konzern profitiert direkt vom Haupttreiber der Inflation, nämlich den hohen Preisen für Öl oder Gas. Man könnte auch sagen, dass Chevron vom Krieg in der Ukraine profitiert hat. Gefreut hat die positive Kursentwicklung auch Warren Buffett. Chevron ist eine der grössten Beteiligungen im Portfolio von Berkshire Hathaway.

Der Starinvestor setzte mit seiner Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway auch auf einen anderen Energie-Titel: Occidental Petroleum, das mit einem Kursplus von 103,9 Prozent den S&P 500 anführt. Buffett kaufte nach grossen Investitionen im März und Mai in den letzten Wochen nach, wodurch das investierte Kapital auf über 8,5 Milliarden Dollar anstieg.

Auch Coca-Cola, das sich seit 1989 im Aktienportfolio von Warren Buffett befindet, gehört mit plus 5,9 Prozent zu den Gewinnern im Dow Jones. Das Unternehmen überzeugt nicht nur mit ständig wachsenden Ausschüttungen für die Aktionäre, sondern befindet sich seit Jahren auf einem soliden Wachstumskurs. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 26 ist der Titel relativ teuer. PepsiCo ist mit einem KGV von 23 günstiger zu haben, dessen Aktien haben seit Jahresbeginn jedoch auch 4 Prozent verloren.

Aktien im Dow Jones seit Anfang Jahr (Grafiken: Bloomberg).

Vorsicht bei Walt Disney und Boeing - Microsoft zunehmend interessant

Während auch Gesundheitstitel wie Merck & Co. (+20,7 Prozent), Amgen (+9,1 Prozent) und Johnson & Johnson (+3,5 Prozent) an der Börse ihre defensiven Qualitäten ausspielen, ist der Unterhaltungskonzern Walt Disney mit Minus 38,3 Prozent regelrecht abgestürzt. Ein grosser Hemmschuh sind die grossen Schuldenberge im Umfang von 50 Milliarden Dollar, die mit steigenden Zinsen langfristig noch zur Last werden können. Eine Rezession und ein erneuter Anstieg von Corona-Fällen würde zudem das Geschäft mit den Themenparks erheblich treffen. Die Aussichten bleiben für einen Einstieg zu ungewiss.

Der Sportartikelhersteller Nike (-38,1 Prozent) kämpft hingegen mit den Lockdowns in China und deren Folgen für die Lieferketten. Boeing (-31,2 Prozent), das mit einem Milliardenverlust ins Jahr gestartet ist, profitiert im Rüstungsbereich dank des Kriegs in der Ukraine von robusten Geschäften, doch in der zivilen Luftfahrt ist man gegenüber Airbus ins Hintertreffen geraten. Wer hier bereits zukauft, geht eine mutige Wette ein.

Microsoft ist der einzige grosse Loser im Dow Jones, der mit der Korrektur interessant geworden ist. Der von Bill Gates gegründete Technologiekonzern ist eine regelrechte Cash-Maschine und kein unprofitabler Tech-Konzern, dessen Gewinne erst in der Zukunft erwartet werden. Sicherlich dürften Inflation und sinkende Konsumentenausgaben beim Verkauf von Surface-Notebooks und im Windows-Geschäft für Gegenwind in den kommenden Quartalen sorgen. Aber auf Seite der Unternehmenskunden dürften die Verkäufe stabil bleiben – insbesondere in der Cloud. 

Chance bei Activision Blizzard - kein guter Ausblick für Netflix und Meta

Wo die steigenden Zinsen besonders ihren Abdruck hinterlassen haben, ist bei den in den Corona-Jahren 2020 und 2021 hochgeschossenen Technologiewerten - insbesondere wenn noch keine Gewinne erwirtschaftet werden. Der Nasdaq 100 verliert seit Jahresbeginn 28,6 Prozent. Dass mit Constellation Energy kein Technologiewert den Index anführt, ist nicht wirklich überraschend. Der Energieversorger, der mit Nuklearanlagen Strom produziert und Haushalte mit Erdgas versorgt, ist erst im Januar an die Börse gegangen.

Dass sich der Spieleentwickler Activision Blizzard dem Negativtrend entzieht – der Konkurrent EA Electronic Arts verliert gut 9 Prozent – hat einen einfachen Grund: Pro Aktie 95 Dollar, insgesamt 68,7 Milliarden Dollar zahlt Microsoft für den Kauf von Activision Blizzard, wie Anfang Februar bekannt wurde. Da der Kurs aktuell bei 78 Dollar liegt, bietet sich hier für mutige Gemüter eine Risikoarbitrage-Möglichkeit. Kein Geringerer als Warren Buffett hat Ende April diese Wette abgeschlossen.

Aktien im Nasdaq 100 seit Anfang Jahr (Grafiken: Bloomberg).

Die rote Laterne gebührt mit einem Kursminus von 70,4 Prozent Netflix – seit dem Höchststand im November hat die Aktie sogar 75 Prozent des Werts eingebüsst. Der auf den gesättigten westlichen Märkten beobachtbare Abonnentenschwund hat dem Streaminganbieter zugesetzt. Auch im Wachstumsmarkt Asien schläft die Konkurrenz nicht und es bleibt fraglich, ob Netflix mit dem angekündigten Werbe-Abo auf die Erfolgsspur zurückkehrt.

Mit Meta – früher Facebook – musste auch ein zweiter grosser Technologietitel Federn lassen. Nach den enttäuschenden Quartalszahlen und Ausblick Anfang Februar stürzten die Aktien von Meta ab. Das Nutzer-Wachstum der Meta-Apps hat sich verlangsamt und die Erwirtschaftung der Werbeeinnahmen ist schwieriger geworden. Im Falle eines Konjunkturabschwungs in den USA und Europa wird die Aktie im zweiten Halbjahr wegen weiteren Kürzungen der Werbeausgaben unter Druck bleiben.

Der Online-Handel legt nach zwei Pandemie-Jahren mit grossem Umsatzwachstum ein langsameres Tempo an den Tag. Das beweist Amazon mit einem Kursminus von gut 36 Prozent, aber eben auch der Online-Bezahldienst PayPal oder das argentinische E-Commerce-Unternehmen MercadoLibre. Was nicht heissen will, dass diese Aktien günstig zu haben sind: Das KGV von MercadoLibre beträgt immer noch 180. Paypal ist diesbezüglich mit einem KGV von 24 interessanter.

ManuelBoeck
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