Hwang und seine Investmentfirma Archegos Capital Management stehen im Zentrum eines der grössten Margin Calls aller Zeiten - ein milliardenschweres Fiasko aus heimlichen Wetten, alle gefährlich hoch gehebelt und in Windeseile abgewickelt.

Hwangs Aufstieg ist erkennbar an den Aktien, die in den letzten Tagen auf den Markt geschmissen wurden - ViacomCBS, Discovery, GSX Techedu, Baidu. Alle waren in diesem Jahr stark angestiegen und viele fragten sich, warum.

Ein Teil des Portfolios von Hwang, das seit Freitag von Goldman Sachs, Morgan Stanley und Wells Fargo & Co. in Paketverkäufen abgewickelt wurde, hatte letzte Woche einen Wert von knapp 40 Milliarden Dollar. Banker schätzen, dass das Nettovermögen von Archegos - und damit Hwangs eigenes - bei mehr als 10 Milliarden Dollar lag. Nun, da immer weitere Aktienpakete auftauchen, die ihm zugerechnet werden, steigen auch die Schätzungen: Vielleicht waren es 50 Milliarden Dollar, vielleicht mehr als 100 Milliarden?

In Luft aufgelöst, in ein paar Tagen

“Ich habe so etwas noch nie gesehen - wie unauffällig diese Bestände waren, wie konzentriert und wie schnell sie verschwanden”, sagte Mike Novogratz, ein ehemaliger Partner bei Goldman Sachs. “Dies muss einer der grössten Verluste an privatem Vermögen in der Geschichte sein.”

Am Montagabend in New York äusserte sich Archegos erstmals selbst. “Dies ist eine herausfordernde Zeit für Archegos, unsere Partner und Mitarbeiter”, sagte Unternehmenssprecherin Karen Kessler in einer Erklärung per E-Mail. “Alle Pläne werden diskutiert, Herr Hwang und das Team erörtern den besten Weg nach vorne.”

Eine Kaskade von Verlusten hallt derweil von New York über Zürich bis nach Tokio nach und wirft unzählige Fragen auf. Die Grösste: Wie könnte jemand vor der Nase der Aufsichtsbehörden auf der ganzen Welt so gigantische Wetten platzieren, unterstützt von so vielen Banken?

Ein Teil der Antwort ist, dass Hwangs Firma als sogenanntes Family Office eingerichtet wurde, als bankenunabhängige Vermögensverwaltung, die nur begrenzt der Aufsicht unterliegt. Er setzte auf Derivate, um seine Unternehmensanteile nicht melden zu müssen. Banken schätzten ihn als lukrativen Kunden und sahen hinweg über seine Historie aus Insidergeschäftenhandel und versuchter Marktmanipulation, wegen derer er aus dem Hedge-Fonds-Geschäft aussteigen musste.

Sung Kook Hwang, genannt Bill, war Schüler der Hedge-Fonds-Legende Julian Robertson. Eine Zivilklage der Börsenaufsicht SEC, die ihn beschuldigt hatte, Insiderhandel betrieben und Aktien chinesischer Banken manipuliert zu haben, wurde 2012 beigelegt. Hwang schloss seine Fonds, zahlte 44 Millionen Dollar und verpflichtete sich, nicht mehr als Anlageberater zu arbeiten.

Bald eröffnete er Archegos - als Family Office. Das muss sich nicht bei der SEC registrieren und auch nicht offenlegen, wem es geört, wer es verwaltet, und wie hoch sein Vermögen ist. Die Regel ist gedacht für kleine Gesellschaften - doch Archegos schwoll auf eine systemrelevante Grösse an.

Noch immer gibt es keine vollständige Übersicht, was für Bestände Archegos hielt. Ein Grund dafür ist, dass Hwang seine Bestände nie gemeldet hat, was wiederum daran liegen dürfte, dass er seine Aktivitäten mithilfe von Total Return Swaps strukturiert hat. Damit blieben die Positionen selbst bei Banken.

Morgan Stanley und Goldman Sachs beispielsweise sind die grössten Aktionäre von GSX Techedu, einem chinesischen Unternehmen zum Online-Lernen. Goldman erhöhte seine Position erst im Januar um mehr als die Hälfte. Insgesamt halten Banken mindestens zwei Drittel der ausstehenden Aktien von GSX, so von Bloomberg analysierte Daten, mindestens 40% an IQIYI Inc, einem chinesischen Video-Unterhaltungsunternehmen und 29% an ViacomCBS - alle Werte, auf die Archegos gesetzt hatte.

Hwangs Strategien und seine Performance blieben geheim. Selbst als sein Vermögen wuchs, blieb er unauffällig und war in New York wenig bekannt.

“Es geht nicht nur um Geld”, sagte er in einem seltenen Interview, in dem er über seine Berufung als Investor und seinen christlichen Glauben sprach. “Es geht um Langfristigkeit, und Gott hat mit Sicherheit eine langfristige Perspektive.”

Seine Glückssträhne endete Anfang letzte Woche, als ViacomCBS Inc. Aktien zum Verkauf anbot, worauf der Kurs am nächsten Tag um 9% fiel. Der Wert anderer Wertpapiere, von denen angenommen wird, dass sie sich im Portfolio von Archegos befanden, folgte.

“Man muss sich fragen, welche unsichtbare Vermögen da draussen sonst noch sind”, sagte Novogratz. “All diese Wetten und kein Risikomanagement, das grenzt an Nihilismus.”

(Bloomberg)