cash: Sie bestimmen durch ihre Analysen den Kurs des grössten deutschen Fondshauses mit. Sind Sie sich dieser Grössenordnung bei der alltäglichen Arbeit bewusst? Macht Sie das vorsichtiger?

Henning Gebhardt: Nein, vorsichtiger nicht. Man ist sich der Tatsache bewusst,  dass jede Entscheidung Auswirkungen hat. Wir verwalten viel Geld und haben damit viel Verantwortung. Gerade im deutschen Markt sind das grössere Beträge, die mit grösster Sorgfalt angelegt werden müssen. Aber man darf trotzdem vor diesen Beträgen keine Scheu haben.

Nach der Rekordjagd des Dax ist dieser etwas zurückgekommen. Ist das der Anfang einer längeren Korrektur?

Nein, das würde ich nicht sagen. Es gibt bestimmt den Bedarf für eine kurzfristige technische Korrektur. Nach einem so starken Anstieg ist ein kleiner Rücksetzer durchaus gesund. Entscheidend werden die Fundamentaldaten sein. Wir nähern uns dem Sommer, der in der Regel eine volatilere Phase aufzeigt. Eine solche Korrektur würde nicht zuletzt einer Überhitzung vorbeugen.

Angenommen die Rallye geht weiter: Wie erkennen Börsianer den richtigen Zeitpunkt, um auszusteigen?

Die grosse Frage ist, ob man sich die kurz- oder die langfristigen Trends anschaut. Dann muss man sich fragen, welche Argumente für einen weiteren Anstieg an den Märkten sprechen. Gibt es noch Bewertungsargumente? Sind diese realistisch? Hin und wieder kommt man zu der Erkenntnis, dass so manches Argument an den Haaren herbeigezogen ist. Auch wenn das selten der Fall ist. Als Fondsmanager versuche ich stets, im Interesse meiner Anleger die richtige Entscheidung zu treffen. Doch die Glaskugel hat keiner von uns. Erfahrungen aus der Vergangenheit, fundierte Analysen und ein gutes Team tragen zu meiner Entscheidung bei. Die Historie zeigt, dass Aufwärtsphasen stets einige Jahre anhalten, bevor eine Übertreibung eintritt.

Sind wir denn bereits in einer Übertreibung?

Nein. Man darf das auch nicht unterschätzen. Der deutsche Aktienmarkt  ist zwar mittlerweile nicht mehr günstig bewertet, befindet sich aber auf einem langfristigen Durchschnitt. In Europa hat sich das Umfeld gerade erst aufgehellt. In den USA ist es etwas anders. In Europa sind wir im Frühsommer, in den USA im Spätsommer eines Börsenzyklus. Nichts desto trotz glauben wir, dass der Weg noch weitergeht. Und man darf nie vergessen, dass wir uns in einem Niedrigzinsumfeld befinden. Das impliziert auch eine höhere Bewertung.

Wo stehen die Schwellenländer in diesem Börsenzyklus?

Das ist eine schwierige Frage. Wenn man sich die einzelnen Märkte anschaut, sind die Schwellenländer im Vergleich zu ihrer Historie günstig bewertet. Nach fünf Jahren schwacher Entwicklung  ist es durchaus möglich, dass die Schwellenländer eine positive Entwicklung aufzeigen. Im Moment scheint es dafür noch zu früh, nicht zuletzt aufgrund der Veränderungen des Zinsumfeldes  in den USA sowie der eigenen operativen Entwicklung. Die Schwellenländer haben auf der Gewinnseite in den letzten 24 Monaten sehr stark enttäuscht.

Wie stark ist die Zinswende denn bereits eingepreist an den Märkten?

Noch gar nicht. Aber es wird erwartet, dass die Zinsen im Laufe des Jahres steigen. Wir gehen davon aus, dass das im dritten Quartal der Fall sein wird. Die Meinungen der Marktteilnehmer gehen diesbezüglich aber auseinander. Es gibt keine klare Tendenz.

Aufgrund des SNB-Schocks hat die Schweizer Börse in diesem Jahr weniger zulegen können als andere europäische Indizes. Hat sie deshalb noch Aufholpotenzial?

Ich bin überrascht, dass der Schweizer Markt auf einem Allzeithoch ist. Dieser Schock ist doch enorm und wird auch bei den Unternehmen Spuren hinterlassen. Die Schweizer Börse ist ja stark exportorientiert und man darf gespannt sein, welche Ergebnisse daraus resultieren. Sicherlich hat auch der starke US-Dollar zu dieser Entwicklung beigetragen.

Auch französische oder italienische Indizes sind rund 20 Prozent gestiegen, obwohl die Wirtschaften dort nur schwache Lebenszeichen aussenden. Hat die Börsenentwicklung noch etwas zu tun mit der Realwirtschaft?

Wir haben starke Bewertungen aufgrund des monetären Anstosses der Europäischen Zentralbank. Die Märkte müssen das Ganze jetzt mit Unternehmensgewinnen unterlegen. Das haben wir in der letzten Zeit nicht gesehen. Die Trends deuten aber doch in diese Richtung. Es gibt starken Rückenwind aus dem Währungsumfel, und die Binnenwirtschaft in Europa scheint sich besser zu entwickeln als bisher erwartet. Das ist ein guter Nährboden, auf dem sich der Aufwärtstrend fortsetzen kann und muss. Die Unternehmen müssen Gewinnsteigerungen aufweisen, sonst wird es schwierig für die Aktienmärkte.

In ihrem Investa-Fonds setzen Sie stark auf dauerhafte Konsumgüter oder Industriewerte. Was gefällt Ihnen an diesen Branchen?

Das sind unsere klassischen Exporttitel im deutschen Aktienmarkt, die von der globalen Konjunktur profitieren. Insbesondere die Autoindustrie hat es immer wieder geschafft, Trends aufzunehmen und Wachstum in neuen Märkten  zu generieren. Man muss klar sagen, dass diese Unternehmen zu den Hauptprofiteuren des starken US-Dollars zählen. Sie haben sich aber auch operativ hervorragend geschlagen in den letzten Jahren. Sowohl Unternehmen wie beispielsweise BMW oder Daimler haben Rekordmargen.

Welche anderen Branchen könnten von den zukünftigen Trends profitieren?

Eine ganze Reihe von Themen hat sich in der Vergangenheit positiv entwickelt. Ein Bereich ist das Internet. Es finden am deutschen Aktienmarkt einige internetaffine Unternehmen, die sich ganz ordentlich geschlagen haben. Wir mögen darüber hinaus Pharmatitel. Im paneuropäischen Kontext schauen wir uns Banktitel an.

Wie stark hat sich das QE der EZB auf ihr Portfolio ausgewirkt? Mussten Sie bereits viel umschichten?

Nein, erst mal nicht. Der letzte Schritt des QE hat sich auch in den Währungen niedergeschlagen und unsere Übergewichtung von Exporttiteln wurde dadurch nochmals untermauert. Grundsätzlich sind wir auch in Unternehmen investiert, die eine etwas höhere Dividendenrendite aufweisen. Diese könnten von einer aggressiven Zinspolitik ebenfalls profitieren.

Sie sprechen oft die Währungen an. Sind diese bei der Aktienanalyse derzeit am wichtigsten?

Die Währungen spielen schon eine grosse Rolle. Durch die Veränderungen in der Währungslandschaft haben sich auch die Mittel verschoben. Es gibt einen klaren Zustrom von ausländischem Kapital in die europäischen Aktienmärkte. Damit ist die Währung nicht zwingend fundamental, aber bei den Exporttiteln doch mitentscheidend.

Wird das billige EZB-Geld in Europa nachhaltig für mehr Wohlstand sorgen?

Grundsätzlich war das Wachstum in Europa in den vergangenen Jahren niedriger als in den USA und den Schwellenländern. Generell sieht man schon, dass in gewissen Regionen positive Effekte in der Realwirtschaft erkennbar sind und dass sich insbesondere die Euro-Zone insbesondere stabilisiert. Gerade Deutschland ist in einer recht erfreulichen Situation. Die niedrigen Zinsen spielen ganz klar eine Rolle im Bausektor und im Konsum, aber noch nicht beim Investitionsklima. Da gibt es Nachholbedarf. Wir sind zuversichtlich, dass es in Europa insgesamt zu einer Verbesserung kommt.

Im Video-Interview mit cash gibt Henning Gebhardt Privatanlegern Tipps zur Aktienanalyse und er beurteilt die Wichtigkeit historischer Daten.

Henning Gebhardt ist seit 1996 bei Deutsche Asset & Wealth Management tätig, aktuell als Aktienfondsmanager für die Fonds DWS Aktien Strategie Deutschland, Multi Opportunities, DWS Investa, DWS-Merkur-Fonds 1 und DWS German Equities Typ O. Zudem ist er Leiter des Aktienportfolio-Managements. Sein Studium der Betriebswirtschaftslehre schloss Gebhardt 1995 mit Diplom an der Universität Göttingen ab. Zwischen 1986 und 1988 absolvierte er eine Bankausbildung bei der Commerzbank.