cash: Die Flughafen Zürich AG ist ein Unternehmen mit einer erfolgsverwöhnten Aktie. Seit 2003 beträgt die Steigerung über 2000 Prozent. Analysten der Credit Suisse sehen den Titel neuerdings kritisch. Wie deuten Sie diese Meinungen zu Ihrem Unternehmen?

Stephan Widrig: Am Ende des Tages wollen wir Wertschöpfung für die Aktionäre erzielen. Die Analysten sind eine wichtige Stimme, die wir lesen und beobachten. Wir schauen aber nicht auf einzelne Ausreisser, sondern auf das Gesamtbild. Dieses ist sehr positiv, im Moment sind sieben Analysten bei Kauf, sieben auf Halten, und einer bei Verkauf. Dies zeigt: Die meisten Analysten glauben, dass noch Potenzial nach oben besteht. Seit Anfang Jahr hat die Aktie ja schon etwa 27 Prozent an Wert dazugewonnen.

Analysten schauen auch auf die Bilanz: Werden Sie Schulden abbauen und die Bilanz festigen können?

Die Eigenkapitalquote liegt am oberen Ende der angestrebten Bandbreite. Wir gehen aber davon aus, dass durch Investitionen und Ausschüttungen der Fremdkapitalanteil wieder steigt. Den Rahmen bildet die Nettoverschuldung, welche das Dreifache des Ebitda nicht übersteigen sollte.

Sind also Dividenden und Sonderdividenden weiter ein Thema?

Natürlich entscheidet das Unternehmen jedes Jahr separat über Ausschüttungen. Wir gehen aber schon davon aus, dass es neben der stabilen ordentlichen Dividende auch eine wiederkehrende Zusatzdividende geben wird. Es gibt im Moment kein Anzeichen dafür, dass die Dividende oder die Sonderdividende nicht im bisherigen Umfang weitergeführt werden, solange eine Kapitaleinlagereserve besteht.

Gerade Privatanlegern rät man häufig zu Flughafen-Aktien statt Airline-Aktien. Was macht einen Airport-Betreiber so attraktiv und vertrauenswürdig?

Airlines bewegen sich in einem volatilen Umfeld und haben einen hohen Anteil an variablen Kosten und Erträgen. Sie haben tendenziell auch Überkapazitäten. Beim Flughafen sprechen wir eher über Kapazitätsengpässe. Flughafenaktien gelten auch eher als sicheres Investment, weil ein Flughafen nicht einfach verschoben werden kann: Er ist primär an eine Infrastruktur gekoppelt, die langfristig angelegt ist. Ein Flughafen sollte dazu gut diversifiziert sein und Kommerz sowie Immobilien umfassen. So ist die Aktie nach unten gut abgesichert und hat nach oben ein interessantes Aufwärtspotenzial.

Wie verschieden sind überhaupt eine Flughafen- und eine Immobiliengesellschaft?

Beide haben eine schwere Bilanz, beide tätigen langfristige Investitionen. Flughäfen haben einen höheren Betriebsaufwand als Immobilienfirmen, mit dem kommerziellen Geschäft oder der Parkingbewirtschaftung aber auch eine etwas höhere Rendite auf das investierte Kapital. Man kann den Flughafen am ehesten mit einem Immobilienunternehmen vergleichen, das nur an Top-Lagen präsent ist. Von der Ebitda-Marge her liegen Flughäfen etwa in der Mitte zwischen Airlines und Immobiliengesellschaften.

Wie riskant ist ein Immobilienprojekt wie die Grossinvestition "The Circle", das 2019 eröffnet werden soll?

Primär sehe ich Chancen, die langfristiger Natur sind, und Risiken, die eher kurzfristig ein Thema sind. Es sind die klassischen Risiken eines Entwicklungsprojekts: Die Gefahr höherer Investitionskosten, eine verzögerte Anlauf-Phase, Leerstände zu Beginn. Diese Risiken sind bekannt und wir wollen sie bestmöglich abmildern. Langfristig hat The Circle mit einem interessanten Nutzungsmix an Top-Lage erhebliches Aufwertungspotenzial. Das Projekt stärkt zudem den Standort Flughafen insgesamt.

Das Immobilienprojekt «The Circle» kostet rund eine Milliarde Franken. Federführend beim Bau der Gebäudekomplexes ist eine eigene Gesellschaft, an der die Flughafen Zürich AG beteiligt ist. Vollendet soll die Anlage 2019 werden. (Grafik: zVg)

Die Lage ist also der attraktivste Aspekt bei The Circle?

The Circle ist in den Flughafen integriert, aber auch eine Welt für sich, mit einem grossen Park. Der Gebäudekomplex befindet sich direkt bei Bahn, Tram und Bus. Es ist eine Plattform, die uns vom reinen Shopping-Zentrum weiterbringt und vielfältige Dienstleistungen wie Hotel- und Kongresszentrum, medizinische Einrichtungen, Kulturleben und vieles mehr beinhaltet.

Wie betrifft die konjunkturelle Verfassung der Schweiz den Flughafen Zürich?

Die Welt wird immer flacher, also globaler und vernetzter, und die Nachfrage nach Luftverkehr wird weiter steigen. Der langfristige Erfolg des Flughafens ist aber primär gekoppelt an den Erfolg des Wirtschaftsraums Zürich.

Wie wirken sich Schweiz-spezifische Themen wie die Frankenstärke auf den Flughafen aus?

Die Frankenstärke betraf uns direkt, weil die Ferien für die Schweizer im Ausland billiger wurden. Sie führte im Flugsegment zu mehr Umsatz. Andererseits spürten wir die Frankenstärke im Kommerzgeschäft, weil auch Waren im Ausland billiger wurden. In dieser Sparte wuchsen die Umsätze weniger stark als das Passagieraufkommen. Wir konnten die Kommerz-Erträge aber halten.

Wie schafften Sie das?

Man muss den Kunden erklären, warum hier nicht alles wirklich teurer ist als im Ausland. Wir müssen auch Produkte in den Vordergrund stellen, die weniger preissensitiv sind und auch die Wahrnehmung des Kunden beeinflussen.

Vielleicht sitzt das Geld bei Passagieren einfach auch lockerer, weil man in Reise- oder Ferienstimmung ist?

Das mag sicher auch dazu beitragen.

Ein Flughafen hat auch Risiken besonderer Art: Flugunfälle und Terrorismus, Rohstoffpreise, aber auch klimatische Vorkommnisse oder politische Auswirkungen aus anderen Teilen der Welt bis hin zu Epidemien. Kann man diese Risiken oder den Umgang mit ihnen steuern?

Wir können dies natürlich zum Teil versichern, aber solche Risiken werden immer zyklische Einflüsse haben. Strukturell dominiert aber der Trend zur Globalisierung und der internationalen Vernetzung, dieser wird nicht aufgehalten durch solche Ereignisse. Der Terrorismus führte dieses Jahr in der Tat dazu, dass dieses Jahr weniger Chinesen kamen. Aber nächstes Jahr ist dies wieder anders. Sicherlich werden Sicherheitsmassnahmen noch zunehmen.

Die chinesische HNA Group macht sich am Flughafen breit, kaufte Gategroup, Swissport und SR Technics. Besteht da ein Klumpen- oder gar Sicherheitsrisiko?

Ich glaube nicht. Im Gegenteil: Sie nennen drei Firmen, die früher Teil der SAirGroup waren, die sich nach dem Grounding der Swissair auseinanderdividierte. Wenn nun dank eines ausländischen Investors diese Firmen wieder ein starkes Cluster in der Aviatik bilden, ist dies eine Chance für die Schweiz. Swissport und SRTechnics waren zudem vorher schon in ausländischer Hand.

Unter welchen Umständen und wo könnte der Flughafen Zürich seinerseits zukaufen oder Übernahmen tätigen?

Wir streben Managementverträge mit Minderheitsbeteiligungen an und sind damit wertschöpfend, das zeigen unsere frühere Minderheitsbeteiligung in Bangalore in Indien oder Belo Horizonte in Brasilien, wo wir heute mitinvestiert sind. Wir sehen das internationale Geschäft als Wachstumsmöglichkeit, wenn das aviatische Wachstum am Standort Zürich nicht mehr möglich ist. Wir haben dabei keine Eile, wir nehmen aber dort Chancen war, wie sie wertschöpfend möglich sind. Die Preise für Akquisitionen sind aufgrund des weltweiten Anlagenotstands aber hoch, und wir müssen nicht um jeden Preis mitbieten.

Richten Sie das Augenmerk mehr auf aussereuropäische Länder?

In Entwicklungs- und Schwellenländern sind der Nachholbedarf bei Infrastruktur-Ausbauten und das Wachstum grösser als in Europa. Auch das Know-How ist weniger vorhanden, und wir sind ja vor allem auch gefragt wegen unseres Management-Know-Hows beim Betrieb von Flughäfen. In etablierten Märkten werden Flughäfen wegen des Tiefzinsumfelds mit hohen Bewertungen verkauft und sind daher eher für Fonds interessant, die mit tiefen Renditen operieren. Dies sah man bei den jüngsten Transaktionen um die Flughäfen London-City und Nizza.

Ein grosses Thema ist Standortqualität. Sind das nicht sehr viele Faktoren, die Sie berücksichtigen müssen?

Unser Standort ist klar definiert als hochwertiger Markt im Zentrum Europas. Daran richten wir das Produkt aus: Ein hochwertiges, mittelgrosses Drehkreuz.

Der Flughafen Zürich ist der grösste und wichtigste Flughafen der Schweiz. Im Jahr passieren über 26 Millionen Reisende das Luft-Drehkreuz. Das Unternehmen beschäftigt 1600 Mitarbeiter und gehört zu einem Drittel dem Kanton Zürich. 5,1 Prozent der Aktien hält die Stadt Zürich. (Bild: zVg)

Wie gehen sie mit politischen Forderungen und politischem Druck um?

Es ist wichtig, dass sich die Luftfahrt in der Schweiz weiterentwickeln kann, denn nur mit internationaler Anbindung können wir die volkswirtschaftliche Wertschöpfung erzielen, wie wir sie heute haben. Wir müssen uns aber auch darauf einstellen, dass das aviatische Wachstum in Zürich irgendeinmal eine Sättigungsgrenze erreicht. Mehr Nachfrage als Kapazitäten zu haben ist aus Renditeüberlegungen heraus gesehen nichts schlechtes, aber wir müssen auch diversifizieren. Im Inland, im Ausland und im aviatischen Geschäft.

Wie stark ist der Gebührendruck der Airlines?

Airlines schauen darauf, welche Strecken profitabel sind. Sie beurteilen diese Jahr für Jahr neu. Der Flughafen hingegen stellt eine Infrastruktur für 30 oder 40 Jahre bereit. Dafür brauchen wir natürlich die Gewähr, dass Investitionen über Gebühren refinanziert werden können. Nicht die Airlines bestimmen deshalb die Gebührenhöhe, sondern diese werden mit einem Cost-Plus Ansatz basierend auf den getätigten Investitionen und geteilt durch die Anzahl Passagiere bestimmt. Am 1. September wurden die Gebühren neu bestimmt und diese gelten nun vier Jahre lang.

Traditions-Airlines wie die Swiss beklagen sich wegen des Aufkommens der Billigfluglinien und der Carrier aus den Golfstaaten, die ihnen Geschäft wegnehmen. Beschäftigt dieser Konkurrenzkampf auch den Flughafen Zürich?

Die Airlines haben alle die gleichen Konditionen und sind alle gleich geschätzt und willkommen. Die Swiss mit einem Marktanteil von rund 55 Prozent betreibt zudem ein Drehkreuz ab Zürich, damit erreichen wir mehr Direktverbindungen aus der Schweiz und auch die Wertschöpfung  am Standort ist höher, wenn die Arbeitsplätze bei uns generiert werden. Deshalb wollen wir insbesondere auch wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für einen Drehkreuzbetrieb sicherstellen.

Die Hub-Funktion von Zürich kann man so oder so werten. Das halbvolle oder halbleere Glas?

Zurich ist kein Mega-Hub. Wir streben das nicht an, weil wir die Kapazitäten dafür nicht haben. Aber ein mittelgrosses Drehkreuz mit rund 30 interkontinentalen Verbindungen wollen wir erhalten und, soweit politisch möglich, moderat weiterentwickeln. Darüber entscheidet aber letztlich die Stärke des Wirtschaftsraums Schweiz und Zürich.

Im cash-Video-Interview äussert sich Stephan Widrig zum Flughafen als Ort der Emotionen und ob er als Flughafen-CEO eine Begeisterung für das Fliegen entwickelt hat. Er sagt auch, welches die ungewöhnlichsten Aufgaben unter den 1600 Mitarbeitern des Unternehmens sind.

Stephan Widrig, geboren 1972, ist seit Anfang 2015 CEO der Flughafen Zürich AG. Dem Unternehmen gehört er bereits seit 1999 an. In dieser Zeit leitete er unter anderem das Immobilienmanagement sowie als Finanzchef und Chief Commercial Officer den Flughafen von Bangalore in Indien. Seit 2008 ist Widrig Mitglied der Geschäftsleitung.