Bis vor fünf Jahren war Alstom in Belfort der grösste Arbeitgeber. Dann verkaufte der Konzern sein Turbinen-Geschäft an den US-Rivalen General Electric. Heute ist das Alstom-Werk mit 480 Mitarbeitern, die den Hochgeschwindigkeitszug TGV montieren, eingekeilt zwischen hoch aufragenden Gebäuden mit dem Schriftzug von GE.

Jenseits der Bahnschienen stehen noch die Reihenhäuser mit den violetten Fensterläden, in denen einst die Alstom-Familien lebten. Ein Sinnbild für die Ängste der Arbeiter in der ostfranzösischen Stadt vor dem Ausverkauf der Industrie. Sie weinen der gescheiterten Idee ihres Präsidenten Emmanuel Macron, Alstom mit der Zug-Sparte von Siemens zu verheiraten, keine Träne nach.

Für Alstom bedeutet die gescheiterte Fusion eine Atempause. "Die Auftragsbücher sind offenbar ziemlich voll. Das Management sagt uns, wir seien für die nächsten vier oder fünf Jahre ausgelastet", sagt Claude Gemino, der seit mehr als 40 Jahren für Alstom arbeitet und gerade das Werkstor passiert. "Die Zukunft ist nicht so schwarz."

Mit Siemens Alstom wollten Macron, aber auch die deutsche Bundesregierung einen "Airbus der Schiene" schmieden, der der chinesischen Konkurrenz Paroli bieten könnte. In den Augen der französischen Arbeiter war Macrons Vorstoss ein Zeichen, dass der ehemalige Investmentbanker den Aktionärs-Interessen Vorrang vor Arbeitsplätzen und dem Schutz der französischen Industrie geben will.

Langfristig ein Problem

Die Regierung sieht das anders: "Kurzfristig" sei Alstom allein durchaus global konkurrenzfähig, sagt ein enger Mitarbeiter Macrons. "Alstom verdient Geld. Aber langfristig gibt es ein Problem." Deutschland und Frankreich wollen deshalb daran arbeiten, die EU-Wettbewerbsvorschriften zu ändern, um solche "europäischen Champions" wenigstens künftig zu ermöglichen.

Doch während die deutsche IG Metall Sympathien dafür hegt und die Chinesen als weltweite Bedrohung für Europa anerkennt, haben die Franzosen die heimische Wirtschaft im Blick: "Wir brauchen eine Vision für die französische Industrie", sagt Andre Fages von der Angestellten-Gewerkschaft CFE-CGC. "Die Politiker sagen, dass Frankreich eine starke Bahn-Industrie braucht. Aber wenn sie Züge kaufen, wollen sie sie zu chinesischen Preisen."

2016 hatte die damalige sozialistische Regierung mit einem 630 Millionen Euro schweren TGV-Auftrag noch verhindert, dass das Werk in Belfort, eine von zwölf Alstom-Fabriken in Frankreich, schliessen muss. "Keiner weiss, was aus dem Alstom-Werk wird. Für den Bürgermeister ist das Grund zur Sorge", sagt Belforts konservativer Stadtchef Damien Meslot.

Menetekel General Electric

"Alstom ist Teil der Identität dieser Stadt", sagt Georges Pagnoncelle, pensionierter Eisenbahner der staatlichen SCNF. "Aber französische Firmen werden weiter von ausländischen Konzernen gekauft, und dann verschwinden die Arbeitsplätze aus Frankreich." Die französischen Gewerkschaften hatten von Anfang an geunkt, dass die Deutschen mit ihrer knappen Mehrheit bei Siemens Alstom durchregieren würden.

GE ist den Leuten in Belfort - eine Auto-Stunde westlich von Basel - ein mahnendes Beispiel. Der angeschlagene US-Elektrokonzern beschäftigt 4000 Menschen in der 50'000-Einwohner-Stadt, musste aber erst in der vergangenen Woche Strafe zahlen, weil er die versprochenen 1000 zusätzlichen Arbeitsplätze nicht geschaffen hat.

Für Finanzexperten liegt das Problem der französischen Industrie ganz woanders: Sie produziere auf dem Qualitätsniveau der Spanier, aber zu 20 Prozent höheren Preisen, sagt Patrick Artus, Chefökonom der Investmentbank Natixis. Die Deutschen seien zwar teurer, hätten bei der Produktivität aber die Nase weit vorn. "Ich sage den französischen Politikern immer, dass wir Renault-Autos verkaufen - aber mit den Löhnen von BMW-Arbeitern."

Die "Gelbwesten"-Demonstranten, die seit Wochen gegen Macrons liberale Reformen auf die Strasse gehen, sehen das anders. Sie wollen mehr Schutz vor dem Einfluss ausländischer Konzerne und höhere Mindestlöhne. "Ich habe keine Ahnung, wie Macron aus dieser Krise herauskommen soll", sagt Artus.

(Reuters)