Nun muss sich der bald 60-Jährige als Stratege beweisen, der dem als schwerfällig geltenden Wolfsburger Multimarken-Konzern auf die Sprünge hilft. "Ich mag gerne viel Arbeit", entgegnet der emsige Manager und dreifache Vater am Freitag in Wolfsburg auf die Frage, mit welcher Stimmung er nächste Woche an die Mammutaufgabe herangehe. "Ich freue mich schon", sagt ein sichtlich entspannter Diess - und lächelt freundlich in die zahlreichen Kameras.

Seinem Vorgänger Matthias Müller zollt er bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als Vorstandschef Respekt, nennt das Verhältnis zu ihm "intakt". Müller hatte Insidern zufolge zuletzt das Vertrauen der Eignerfamilien Porsche und Piech verloren. Diess dagegen hat sich den Rückhalt der Familien gesichert. Sie hätten eine grosse Rolle bei der Erarbeitung seines Umbauplans gespielt, betont Diess.

Kronprinz von Anfang an

Seit der frühere BMW-Vorstand im Juli 2015 bei VW anheuerte, galt er dort als Kronprinz. Aus dem Karrieresprung wäre allerdings beinahe nichts geworden. Wegen des Streits mit dem mächtigen Betriebsratschef Bernd Osterloh war der umtriebige VW-Markenchef Anfang 2017 auf dem Absprung. Doch dann beruhigten sich die Gemüter wieder, als absehbar war, dass Diess die schwächelnde Kernmarke inmitten von Dieselskandal und Branchenumbruch auf Kurs brachte.

Monatelang hatte Diess zuvor mit dem Betriebsrat über einen Zukunftspakt samt massivem Stellenabbau gestritten. Im "Spiegel" wurde er damals als "das meistgehasste Vorstandsmitglied von VW" bezeichnet. Nun lenkt der aus München stammende "harte Hund", der allerdings auch als kompetenter Visionär beschrieben wird, die Geschicke des ganzen VW-Imperiums.

Damit ist der Plan des im Streit bei VW ausgeschiedenen Patriarchen Ferdinand Piech am Ende doch noch aufgegangen: Der Ex-Aufsichtsratschef und Porsche-Enkel hatte Diess nach Wolfsburg gelotst - eigentlich mit dem Ziel, ihn als Nachfolger des früheren Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn aufzubauen. Die Abgasaffäre fegte jedoch Winterkorn - abgelöst durch Müller - wie Piech hinweg, Diess blieb auf seinem Posten. Ihm kam vor allem zugute, dass er in der fraglichen Zeit der Tricksereien nicht bei VW war.

Ganz aus dem Schneider ist Diess allerdings nicht, denn die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts der Marktmanipulation sind noch nicht abgeschlossen. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sagte, man habe die Entscheidung für Diess "in Kenntnis aller Themen" getroffen, die zu berücksichtigen seien. Diess bekam einen neuen Fünf-Jahresvertrag.

«Nicht der Typ, der so schnell aufgibt»

Vor seinem Wechsel nach Wolfsburg hatte der promovierte Maschinenbau-Ingenieur Diess fast zwei Jahrzehnte lang beim Oberklasse-Autobauer BMW gearbeitet: als Einkaufschef, Leiter der Motorradsparte, Werkschef in Grossbritannien und zuletzt als Entwicklungschef. Auch in München galt der passionierte Motorradfahrer lange als Anwärter auf den Chefsessel, kam aber nicht zum Zuge. Piech, wie Diess Österreicher und detailverliebter Techniker, holte ihn daraufhin zu Volkswagen.

Den Rückhalt der VW-Eigentümerfamilien Porsche und Piech geniesst Diess auch ohne seinen früheren Mentor. Als sich der Manager vor gut einem Jahr mit Osterloh stritt, stärkte ihm VW-Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Porsche öffentlich den Rücken: "Diess macht eine exzellente Arbeit." Für die Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern werde er noch mehr Gespür bekommen - eine wichtige Voraussetzung für einen VW-Vorstandschef, denn gegen den Willen der Belegschaft läuft beim weltgrössten Autobauer mit seinen mehr als 600'000 Beschäftigten nicht viel. Porsche machte damals aber auch klar: "Es muss der Vorstand führen und nicht der Betriebsrat."

Diess selbst verteidigte seinen Sanierungskurs bei VW, die wirtschaftliche Lage lasse wenig Spielraum. Auch bei der Herkulesaufgabe, das krisengeschüttelte und komplexe VW-Imperium umzubauen, dürfte ihm eine Eigenschaft zugute kommen, die er sich selbst zugute hält: "Ich bin nicht der Typ, der so schnell aufgibt."

(Reuters)