cash: Frau Davis, Sie arbeiten in Chicago. Ist es ein Vorteil, europäische Banken aus der Ferne zu beurteilen?

Erin Davis: Ja, es erlaubt mir eine breitere Sicht auf die Banken. Zugleich kann ich mich mit meinen Kollegen austauschen, welche die US-Banken abdecken. Es ist spannend, die verschiedenen Strategien und Ergebnisse zu vergleichen und zu diskutieren.

In den letzten Wochen haben die Schweizer Banken die Quartalszahlen präsentiert. Ihr Urteil?

Wenn man sie mit europäischen Banken vergleicht, haben sie alle überdurchschnittlich gut gearbeitet. Ich achte vor allem auf das Ergebnis des von uns bevorzugten Geschäft, dem Private Banking. Der Gewinn in diesem Bereich ist derzeit auf einem zyklischen Tief, aber Private Banking ist transparenter als Investmentbanking. Dieser Teil bleibt für Aussenstehende eine Blackbox.

Privatbanken und Vermögensverwalter sind aber wegen sinkenden Margen und steigenden Kosten immer mehr unter Druck. Inwiefern beeinflusst dies Ihre Meinung?

Natürlich ist diese Entwicklung negativ. Aber aus meiner Sicht bleibt das Private Banking profitabel. Die Banken lösen sich von der Abhängigkeit des Offshore-Geschäfts und forcieren das Business in den schnell wachsenden Märkten. Mit ihren Akquisitionen hat beispielsweise Julius Bär bereits 50 Prozent der verwalteten Vermögen in schnell wachsenden Märkten. Deshalb gefällt uns die Aktie von Julius Bär besonders.

Trotz sinkender Margen?

Es ist richtig, dass diese noch weiter fallen werden, aber sie sind noch immer gesund.

Was gefällt Ihnen aus Investorensicht an Julius Bär im Unterschied zu Grossbanken?

Bär ist ein purer Private-Banking-Player. Das Businessmodell ist deutlich besser als jenes der UBS oder Credit Suisse, die immer noch zumindest teilweise auf ihre Investmentbank setzen. Und auch wenn dieser Arm weiter abnehmen und die Risiken damit verkleinert werden, bleibt die Investmentbank für Investoren eine Blackbox.

Die in der vergangenen Woche publizierten Vier-Monats-Zahlen von Julius Bär waren durchzogen. Die Bank enttäuschte beim Netto-Neugeld. Ein schlechtes Zeichen?

Das ist vor allem ein Ausdruck dafür, dass es im Private Banking definitiv mehr Wettbewerb gibt. Immer mehr Konkurrenten drängen in den Markt. Das geht an den anderen nicht spurlos vorüber. Vier Prozent Wachstum beim Neugeld ist deshalb gar nicht so schlecht. Frühere Wachstumsraten von sechs bis acht Prozent werden nicht mehr so schnell kommen.

Gehören neben der Bär-Aktie noch weitere Schweizer Finanztitel zu Ihren Favoriten?

Bei den Grossbanken ziehe ich UBS der Credit Suisse vor, weil die UBS viel besser kapitalisiert ist. Das macht das Unternehmen solider und bietet die Möglichkeit, den Shareholdern mehr vom Gewinn auszuschütten. Der Unterschied zwischen der UBS- und der Bär-Aktie liegt vor allem im Aktienpreis. Die Titel der UBS wie auch der von der Credit Suisse liegen auf einem fairen Niveau, die Bär-Aktie hingegen liegt bei meinem berechneten Fair Value erst bei 90 Prozent. Deshalb hat Julius Bär mehr Aufwärtspotenzial. 

Auffällig ist, dass der Kurs der Bär-Aktie in den letzten Monaten deutlich schlechter performt hat als jene der Grossbanken. Was beunruhigt die Investoren?

Möglicherweise hat das Management mit der Kapitalerhöhung ein wenig Vertrauen verspielt. Das Timing war doch ziemlich ungeschickt, kurz nach der Ausschüttung einer Spezialdividende das Kapital zu erhöhen. Das lässt Investoren auf Fehler im Management schliessen. Gerade wenn ein Unternehmen mittels Akquisitionen wächst, ist das Vertrauen ins Management enorm wichtig. Und was die Kursentwicklung betrifft: Ich schaue nicht auf die jüngsten Outperformer, sondern auf zukünftige. Unternehmen, die aus der Gunst der Investoren gefallen sind, können oftmals jene sein, deren Aktien noch Aufholpotenzial haben.

Und bei Bankentiteln in Europa?

Wir setzen derzeit auf HSBC und Standard Chartered, das sind die derzeit attraktivsten Aktien. Ebenfalls interessant sind Barclays und BNP Paribas. Beide haben quasi freiwillig ihr Kapital in den letzten zwei Jahren erhöht, obwohl sie bereits vorher die regulatorischen Vorgaben erfüllt hatten.

Keine südeuropäischen Banken?

Italienische und spanische Banken sind zwar günstig, aber noch immer mit erheblichen Risiken behaftet. Aus Italien halten wir uns weitgehend zurück. Die Banken des Landes benötigen zusätzliches Kapital. In Spanien gefallen uns vor allem Santander und BBVA. Santander ist gut geführt, und BBVA ist aktuell ein Outperformer, weil die Geschäfte in Brasilien und Mexiko gut laufen. Investoren sollten aber vorläufig abseits stehen.

Zurück in die Schweiz: Die Credit Suisse ist schwächer kapitalisiert als die UBS. Wird die CS Massnahmen ergreifen müssen, um die Kapitaldecke weiter zu stärken?

Nein, in den kommenden zwei Jahren sehe ich dazu keinen Bedarf. Die Kapitalisierung der Credit Suisse erfüllt die regulatorischen Vorgaben. Nur wird sie bei allen möglichen Ratios von der UBS übertroffen. Meine bevorzugte Kennzahl ist das Verhältnis von Common Tangible Equities zu Intangible Assets. Auch hier ist die UBS stärker.

Beide Grossbanken haben auf unterschiedliche Weise ihr Investmentbanking redimensioniert. Welche Strategie gefällt Ihnen besser?

Definitiv jene der UBS. Ich war hocherfreut, als die Bank den teilweisen Rückzug bekanntgegeben hatte. Und dass gleichzeitig die ersten Trading-Desks heruntergefahren wurden, machte die ganze Geschichte noch glaubwürdiger. Natürlich, die UBS ist in einer speziellen Position, weil sie im Private Banking zu den ganz grossen Playern gehört. Gerade deshalb muss sie sich meiner Meinung nach auf diesen Bereich fokussieren.

Ein erfolgversprechender Weg?

Absolut. Die meisten Banken wären gut beraten, sich auf ein Kerngeschäft zu konzentrieren, statt zu versuchen, allen Kundensegmenten etwas zu bieten. Das macht Banken effizienter und für Investoren einfacher zu verstehen – vermutlich sogar auch für die eigenen Manager.

Was können andere Banken von der UBS lernen?

Die Stellung der UBS ist einzigartig. Aber ich habe von anderen Banken gehört, dass sie unter Druck gerieten, nachdem der UBS-Aktienkurs nach der Ankündigung der Investmentbank-Schrumpfung derart angestiegen ist. Prinzipiell ist es aus Investorensicht zu begrüssen, wenn andere Banken dem UBS-Modell folgen würden. Sie haben zwar nicht ein starkes Private Banking wie die UBS, aber andere gute Geschäftsfelder. Wie Barclays mit dem UK-Retail-Banking, aber auch BNP Paribas hat in Frankreich ein starkes Retailgeschäft. Unter dem Strich ist dies profitabler als das ganze Investmentbanking.

Wie sehen Sie die Zukunft der grossen Universalbanken?

Europa hat eine Zeit verpasst, in welcher Investoren und Regierungen die Banken dazu hätten bringen können, sich aufzubrechen. Das Pendel hat nun wieder in die andere Richtung geschlagen. Ein Aufbrechen der Banken gilt als zu teuer und risikoreich. Nicht zuletzt ist es für Manager prestigereicher, eine alles umfassende Bank zu führen. Und auch Politiker haben gerne diese grossen nationalen Champions.

Die Entlassungswelle in der Bankenbranche nimmt kein Ende. Wann kommt die Trendwende?

Noch nicht in unmittelbarer Zukunft. Allerdings sollte man sich nicht zu fest auf die Schlagzeilen in den Medien versteifen. Werden an einem Ort Stellen gestrichen, wird andernorts wieder ausgebaut. Unter dem Strich ändert sich die Nettozahl der in der Finanzbranche Arbeitenden kaum. Bis aber wieder eine Anstellungsrunde eintrifft, muss vor allem das Wirtschaftswachstum wieder substanziell werden. Ich denke da an eine Mindestgrösse von 3 Prozent.

Droht in Europa eine Konsolidierung in der Bankenbranche?

Nein, zumindest bei den grossen Finanzinstituten sehe ich keine Gefahr. Der Markt ist bereits sehr konzentriert, die einzelnen Banken vereinen sehr viele systemische Risiken. Daran wird sich vorläufig nichts ändern.


Im Video-Interview äussert sich Davis zudem zur ihrer täglichen Arbeit als Analystin und wie es zur Auszeichnung zur besten Bankenexpertin gekommen ist.