Der Prozess gegen Pierin Vincenz sprengt die üblichen Dimensionen: Statt im Gerichtsgebäude findet der Auftakt des Verfahrens im Volkshaus in Zürich statt – dort wo sonst Konzerte gespielt werden. Die Anzahl der zugelassenen Journalisten wurden auf 60 begrenzt.

Eine Rolle spielt dabei auch Corona: Einer der Mitbeschuldigten im Prozess ist an Covid-19 erkrankt. Er sitzt in Isolation. Die Verhandlung kann voraussichtlich trotzdem wie geplant am Dienstag beginnen. Das Bezirksgericht Zürich bestätigte auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA einen entsprechenden Bericht von "TeleZüri" vom Montagnachmittag. 

Das Interesse der Öffentlichkeit hat unter anderem damit zu, dass Vincenz als Ex-CEO der drittgrössten Bankengruppe der Schweiz einer der bekanntesten Manager des Landes war. Im Gegensatz zu den Spitzenkräften der Grossbanken gab er sich volksnah, 2014 wurde er von einem Magazin zum "Banker des Jahres" gekürt. Auch Kritiker gestehen ihm zu, dass er Raiffeisen zu neuem Schwung verholfen habe.

Firmenübernahmen mit persönlichem Gewinn?

Im Visier der Justiz stehen vor allem eine Reihe von Firmenübernahmen, die Vincenz als Raiffeisen-Chef sowie als Präsident der Kreditkartenfirma Aduno verantwortete. Der Staatsanwaltschaft zufolge war Vincenz dabei verdeckt an den Übernahmezielen beteiligt. Damit habe er einen unrechtmässigen persönlichen Gewinn von fast neun Millionen Franken eingefahren, so die Staatsanwaltschaft.

Zudem habe er dem Institut Ausgaben belastet, für die es keinen geschäftlichen Grund gegeben habe. So habe er über 200'000 Franken in Stripclubs und Kontaktbars ausgeben. Kosten von rund 3800 Franken habe er Raiffeisen aufgebürdet, um die Reparatur eines Hotelzimmers zu begleichen, das bei einem privaten Beziehungsstreit beschädigt worden sei. Vincenz sass in Zusammenhang mit dem Verfahren bereits wochenlang in Untersuchungshaft.

Bei einer Verurteilung droht ihm eine Gefängnisstrafe von bis zu sechs Jahren. Vincenz bestreitet, Gesetze gebrochen zu haben.

Experten: Schuldspruch nicht sicher

Bei Raiffeisen hatte die Schweizer Finanzmarktaufsicht (Finma) nach einer Untersuchung 2018 schwerwiegende Mängel wie Interessenkonflikte und eine ungenügende Aufsicht über den früheren Konzernchef ausgemacht. Inzwischen hat die Bankengruppe mehrere Führungskräfte ersetzt und die Corporate Governance verbessert.

Das Gericht muss in dem auf mindesten fünf Verhandlungstage angesetzten erstinstanzlichen Prozess beurteilen, ob das Vincenz und seinen Mitangeklagten zur Last gelegte Verhalten strafbar ist. Experten halten Schuldsprüche keineswegs für ausgemacht. Gegen das Urteil können die Parteien Berufung einlegen. Im spektakulärsten Schweizer Wirtschaftsstrafverfahren, dem Prozess rund um die Pleite der Fluggesellschaft Swissair im Jahr 2007, waren alle Angeklagten schuldig gesprochen worden.

(Reuters/AWP)