In den USA ist die Inflation mit 6,8 Prozent im Zuge von Corona-bedingten Lieferengpässen und explodierenden Energiepreisen geradezu aus den Fugen geraten. Die Federal Reserve wird darum 2022 voraussichtlich die Zinswende einleiten.  

In Grossbritannien schoss die Inflation zuletzt auf 5,1 Prozent nach oben. Die Bank of England hat die Zinsschraube bereits angezogen und reagierte damit auf die rasant steigenden Preise auf der Insel.  

Dass die EZB als Einzige unter den drei grossen Notenbanken trotz einer rekordhohen Teuerungsrate von zuletzt 4,9 Prozent stillhalten will, sehen manche Experten und Teile der deutschen Wirtschaft kritisch.

Kritik an EZB

"Die EZB tut nicht zu wenig, sie tut das Falsche", so Aussenhandelspräsident Dirk Jandura. "Dass sie in Krisenzeiten zur Stabilisierung der Staatsfinanzen beiträgt, kann politisch durchaus gerechtfertigt werden - aber nicht auf Dauer."

Auch wenn EZB-Chefin Christine Lagarde eine Anhebung im kommenden Jahr für sehr unwahrscheinlich hält, sinnierte Ratsmitglied Robert Holzmann über die Zinswende: Sie könne Ende 2022 oder Anfang 2023 kommen - "etwa zeitgleich mit der dritten Zinserhöhung in den USA - wir sind immer etwas später dran", fügte der österreichische Notenbankchef hinzu.

Die US-Währungshüter sind in Alarmstimmung, denn sie halten den Preisauftrieb nicht mehr länger für ein vorübergehendes Problem. Um sich gegen den Preisdruck zu stemmen, fassen sie die Zinswende für 2022 fest ins Auge. Die in Anlehnung an einen Raketenstart im US-Notenbanker-Jargon "Lift-Off" genannte Operation dürfte laut Experten im Frühjahr oder spätestens Mitte 2022 in Gang gesetzt werden. Mit insgesamt drei Erhöhungsstufen könnte der geldpolitische Schlüsselsatz Ende 2022 dann in einer Spanne von 0,75 bis 1,0 Prozent liegen.

«Ein weiter Weg»

DWS-Volkswirtin Ulrike Kastens erwartet nicht, dass die EZB bald mit ihrem Countdown beginnt: "Im Gegensatz zu anderen Notenbanken wie der US-Fed dürfte die EZB mit einer deutlich geringeren Geschwindigkeit aus der expansiven Geldpolitik aussteigen." Zu Zinserhöhungen im Euro-Raum sei es noch "ein weiter Weg", meint auch der Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. In den USA sei der Handlungsdruck grösser, da auch die Inflationsraten noch weit höher lägen als in der Euro-Zone, sagte er dem Deutschlandfunk.

Und in Grossbritannien, wo die Zentralbank den Leitzins jüngst von 0,1 auf 0,25 Prozent heraufgesetzt hat, seien die Probleme gar noch drängender. Im Gefolge des Brexit und wegen der "in der Breite vorhandenen Lieferengpässe" habe die Inflation eine ganz andere Dynamik als im Euro-Raum, sagte Hüther. Allerdings müsse die EZB auch den Wechselkurs genau in den Blick nehmen: "Wir haben jetzt eine Abwertung des Euro. Das führt dazu, dass die Importe entsprechend teurer werden."

Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust, erwartet, dass zunehmende Diskrepanz zur Geldpolitik in den USA den Dollar gegenüber dem Euro weiter stärken und Renditedifferenzen zwischen den Regionen vor allem bei kürzeren Anleihelaufzeiten weiter erhöhen dürfte. Die EZB hat zwar jüngst die Abkehr vom Krisenmodus eingeleitet und beschlossen, ihr billionenschweres Pandemie-Notprogramm PEPP auslaufen zu lassen. Doch werden die Finanzmärkte nach dem Ende der Krisenhilfen ab April nicht auf Entzug gesetzt, da die EZB das kleinere Anleihenprogramm namens APP in neu justierter Form weiterlaufen lässt.

«Zu viel Geld im Umlauf»

Die EZB hat signalisiert, dass zuerst der Ausstieg aus ihren Anleihekaufprogrammen abgeschlossen werden soll, bevor die Zinswende folgt. Solange aber das bereits bis Oktober 2022 programmierte APP-Programm nicht abgeschaltet ist, ist daran nicht zu denken. Dabei hat die EZB ihre Inflationsprognose für das kommende Jahr mit 3,2 Prozent fast verdoppelt. "Die Geldpolitik bleibt damit viel zu expansiv. Es wird weiter zu viel Geld in Umlauf kommen", meint Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. "Leider geht die EZB das Inflationsproblem anders als die US-Notenbank nicht entschieden an." Er rechnet erst im Sommer 2023 mit höheren Zinsen im Euro-Raum.

ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann zufolge ist die Skepsis gewachsen, ob die EZB eine überraschend hohe Inflation überhaupt noch entschlossen bekämpfen könnte. Schliesslich spiele ihre lockere Geldpolitik eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung hoch verschuldeter Staaten. Falls die EZB bei hartnäckiger Inflation das Ruder doch herumwerfen und die Zinsen erhöhen muss, droht nach Ansicht ihres früheren Chefvolkswirts Otmar Issing ein dickes Ende: "Dann sind Turbulenzen an den Märkten zu erwarten", sagte er n-tv. 

(Reuters)