So heisst die Krebs-Immuntherapie, mit der es erstmals seit neun Jahren wieder ein Medikament des Darmstädter Pharma- und Chemiekonzerns auf den Markt geschafft hat. Vom Erfolg dieses Mittels hängt es nach der Einschätzung von Experten massgeblich ab, wie Merck in den nächsten Jahren aussehen könnte: Bleibt es bei einem Konzern mit drei Säulen - Pharma, Life-Science und Spezialchemie - oder hat das Geschäft mit Medikamenten eher keine Zukunft unter dem Merck-Dach.

"2018, allerspätestens 2019 wird das entscheidende Jahr für das Pharmageschäft sein, in dem man sieht, wo die Reise hingeht", erwartet Analyst Lars Hettche vom Bankhaus Metzler. "Dann wird Merck 2020 ein Life-Science-Konzern mit Pharmasparte sein, die zwar klein aber fein ist, oder sich zum Grossteil auf Life Science konzentrieren."

Das Unternehmen, das neben Arzneimitteln auch Spezialchemikalien wie Flüssigkristalle für Bildschirme herstellt und Labore ausrüstet, hat im Pharmageschäft schwere Zeiten hinter sich. In den vergangenen 14 Jahren brachte Merck nur zwei neue Medikamente auf den Markt, diese setzen weniger als 100 Millionen Euro im Jahr um. In der Forschung musste der Konzern mehrere Rückschläge verkraften.

Hartnäckige Merck-Familie

Grösster Flop war 2011 die Multiple-Sklerose-Tablette Cladribin, die bei den Zulassungsbehörden durchfiel, mit der Merck aber gerade einen neuen Anlauf unternimmt. Karl-Ludwig Kley, Vorgänger des gegenwärtigen Merck-Chefs Stefan Oschmann, leitete einen Konzernumbau ein, der vor allem das Arzneimittelgeschäft traf und auch einen Stellenabbau zur Folge hatte. In den Fokus rückte das Life-Science-Geschäft, das Produkte für die Pharmaforschung anbietet. Merck baute dieses mit der 17 Milliarden Dollar schweren Übernahme des US-Laborausrüsters Sigma-Aldrich aus.

Dass der Konzern dennoch an seinem Pharmageschäft festhielt, das 2016 rund 45 Prozent zum Umsatz von gut 15 Milliarden Euro beitrug, ist vor allem der Merck-Familie geschuldet, die hinter dem Unternehmen steht. Die Nachfahren von Friedrich Jacob Engel, der 1668 mit dem Kauf der Engel Apotheke in Darmstadt die Keimzelle für den weltweit ältesten Arzneimittelhersteller legte, halten bis heute eine Mehrheit von rund 70 Prozent.

"Aus seinem Selbstverständnis heraus will Merck auch ein Pharmakonzern sein. Wenn es Pfizer wäre, wäre das Pharmageschäft schon längst verkauft", sagt LBBW-Analyst Timo Kürschner.

Zwei Milliarden neuer Umsatz

Nachschub im Pharmageschäft hat Merck dringend nötig, denn die beiden wichtigsten Medikamente der Firma, die Mutiple-Sklerose-Arznei Rebif und das Krebsmittel Erbitux, verlieren seit einigen Jahren kontinuierlich Umsatz. Von Avelumab soll künftig ein Grossteil der neuen Pharmaerlöse kommen.

Das Mittel wurde vor rund drei Monaten in den USA bereits zur Behandlung einer seltenen und bösartigen Form des Hautkrebses und für Blasenkrebs zugelassen. Zwar ist der Markt für beide Indikationen nicht gross, für Avelumab soll das Oschmann zufolge aber erst der Anfang sein. Derzeit laufen mit dem Mittel insgesamt neun Studien in der letzten Phase der klinischen Entwicklung, darunter etwa zur Behandlung von Lungen-, Nieren-, Magen- und Eierstockkrebs.

Viel hängt davon ab, wie effektiv Avelumab bei Lungenkrebs sein wird - der weltweit häufigsten Krebsart. "Damit steht und fällt die Prognose für die Pipeline von Merck", urteilt Analyst Hettche. Bis 2022 erwartet Merck durch neue Produkte aus der Pharma-Pipeline rund zwei Milliarden Euro zusätzliche Erlöse. "Avelumab könnte den Pharmabereich die nächsten zehn Jahre über Wasser halten", sagt Hettche. "Das ist die vielleicht letzte Chance, wenn das nicht klappt, liegen alle Optionen offen auf dem Tisch."

Die Weichen für eine mögliche Trennung von Geschäftsteilen könnte Merck nach Einschätzung von Branchenkennern mit seinem kürzlich angekündigten Konzernumbau stellen. Die Bereiche Healthcare, Life Science und Spezialchemikalien sollen im kommenden Jahr in eigene Töchter unter dem Dach der KGaA ausgegliedert werden.

Merck begründet dies vor allem mit der Einführung neuer IT-Systeme, zudem soll "eine verbesserte Steuerung der operativen Bereiche" erreicht werden. Das Vorhaben weckt aber Spekulationen, ob mehr dahinter stecken könnte. "Das ist auch eine Vorbereitung für den Fall der Fälle, das man etwas abspalten will. Wenn es im Pharmabereich nicht läuft, kann man dann in den nächsten zwei bis drei Jahren den Stecker ziehen", glaubt Metzler-Experte Hettche.

Oschmannn beschwichtigt dagegen, Merck werde kein reines Pharmaunternehmen, kein reiner Laborausrüster und kein reines Spezialchemieunternehmen. "Merck ohne Pharma kann ich mir nicht vorstellen", sagte er kürzlich der "Süddeutschen Zeitung".

Was macht Pfizer?

Eine wichtige Rolle bei dieser Rechnung spielt auch der US-Pharmariese Pfizer, mit dem der Konzern eine milliardenschwere Forschungsallianz für Avelumab geschmiedet haben. Die Amerikaner machen keinen Hehl daraus, dass sie Hunger auf eine grosse Übernahme haben. Als wahrscheinlichste Ziele sieht Analyst Tim Anderson von Bernstein den US-Wettbewerber Bristol-Myers Squibb und die britische AstraZeneca. Beide Rivalen sind wie Merck stark in der Immuntherapie von Krebs engagiert, die als eines der vielversprechendsten Felder der Krebsmedizin gilt. Sollte Pfizer bei einem der beiden zuschlagen, halten es Experten für wahrscheinlich, dass die Amerikaner dann aus der Allianz mit Merck aussteigen.

"Das wäre das grösste Risiko für die Pipeline von Merck", sagt Fondsmanager Markus Manns von der Fondsgesellschaft Union Investment, die zu den zehn grössten Investoren bei den Darmstädtern gehört. Nach seiner Einschätzung dürfte das Merck in der Entwicklung um zwei Jahre zurückschlagen. Andererseits dürfte das Interesse anderer grosser Pharmakonzerne an Avelumab gross sein und die Suche nach einem neuem Partner nicht schwer werden.

Manns zufolge hat Merck neben Avelumab zudem weitere erfolgsversprechende Moleküle in der Pipeline. Er glaubt, dass die Südhessen auf gutem Weg sind. "Seit zwei Jahren kann man erstmals überhaupt wieder über eine Pipeline bei Merck sprechen. Das ist schon ein Quantensprung." Zwar hinke der Konzern den Wettbewerbern in der Krebs-Immuntherapie noch hinter her. "Aber man darf nicht vergessen, sie haben bei Null angefangen. Jetzt ist man wenigstens im Rennen wieder dabei."

(Reuters)