Knapp einen Monat nach dem dramatischen Zusammenbruch der Terra-Blockchain, bei der das Anchor-Protokoll mit jährlichen Renditen von fast 20 Prozent gelockt hatte, stoppte nun der Krypto-Kreditgeber Celsius Networks Abhebungen und andere Transaktionen. Celsius hatte Investoren ähnlich atemberaubende Renditen geboten.

Krypto-Verfechter insistieren, dass es sich hierbei um Wachstumsschmerzen einer jungen Branche handelt und nicht um Fehler, die tiefgreifende existenzielle Probleme offenbaren. Dennoch haben die Vorfälle das Potenzial, die sich ständig verändernde Welt der Kryptofinanzierung aufzurütteln.

"Was mit Celsius geschieht, wird schwere Folgen für die Branche haben", sagte Mahin Gupta, Gründer von Liminal, einer Plattform zur Verwahrung digitaler Vermögenswerte. "Es handelt sich um einen nicht unbedeutenden Akteur, und sein offensichtliches Scheitern wird Wellen schlagen."

Gupta und andere Krypto-Experten ziehen einen Trennstrich zwischen Celsius und der breiten Welt der DeFi-Protokolle. Celsius gilt zwar als einer der grossen Teilnehmer im DeFi-Raum, ähnelt aber eher einer Bank oder einem Finanzvermittler als einer Sammlung von Smart Contracts und Algorithmen, die von der Demokratie der Token-Inhaber gelenkt werden.

Dennoch verdeutlicht die Episode, dass - ähnlich dem traditionellen Bankensystem während der Finanzkrise - verschiedene digitale Tokens so eng miteinander verknüpft sein können, dass ein Problem mit einem eine Krise auslösen kann, die das gesamte System in Bedrängnis bringt.

DeFi-Produkte sind miteinander verbunden

Sowohl der Ausfall von Terra, der damit begann, dass der Stablecoin dieser Blockchain seine Bindung an den Dollar verlor, als auch der Abbuchungsstopp von Celsius haben Verluste bei einer Vielzahl von Kryptowährungen ausgelöst.

Beide Episoden fielen zusammen mit Turbulenzen an den traditionellen Märkten in Folge des Endes der lockeren Geldpolitik, das Notenbanken auf der ganzen Welt angesichts der rasanten Inflation ausgerufen haben.

"Investoren sollten sich klar darüber sein, wie sehr die verschiedenen DeFi-Produkte miteinander verbunden sind und dass sie alle von der Politik der Federal Reserve beeinflusst werden", sagt Hilary Allen, eine Juraprofessorin an der American University, die auf Finanzstabilität spezialisiert ist. "Es gibt keinen 'sicheren Hafen' für Kryptowährungen."

«Kaskadenartige Liquidationen»

Analysten machen für einen Grossteil der Probleme von Celsius einen Token namens Staked ETH (stETH) verantwortlich. Dieser wird im Gegenzug für Ether ausgegeben, der "gestaked" ist, bis Ethereum seine Zusammenführung mit einer aktualisierten Version der Blockchain und ein anschliessendes Upgrade abgeschlossen hat.

Mangelnde Marktliquidität habe dazu geführt, dass der Preis von Staked ETH erheblich von dem von Ether abweiche. "Wenn das passiert, kommt es zu Problemen, da StETH ein Token ist, der auch als Sicherheit für andere Kredite verwendet werden kann", so Jeff Dorman, Chief Investment Officer von Arca Capital Management. Das habe "kaskadenartigen Liquidationen" ausgelöst.

Für Cam Harvey, Finanzprofessor an der Duke University und Autor eines Buches über DeFi, illustrieren die Probleme von Celsius ein Versagen des Risikomanagements des Unternehmens und nicht eine Krise, die den gesamten Markt bedroht. Celsius war sich nicht bewusst, wie illiquide Staked ETH sein könnte, so Harvey, und war daher nicht in der Lage, Abhebungen zu bedienen, die einem altmodischen Bank-Run ähnelten.

"In etwas zu gehen, das relativ neu ist, das es noch nicht lange gibt, und einfach anzunehmen, dass es superliquide ist? Das halte ich für gewagt", sagte er. "Ich denke aber, dass sich das Verhalten anderer Unternehmen jetzt ändern wird, die sagen werden: 'Hey, wir müssen solche Szenarien in Betracht ziehen.'"

Wahl zwischen zwei Systemen

Sid Powell, CEO von Maple Finance, einem Kreditmarktplatz für institutionelle Anleger, ist der Ansicht, dass die Celsius-Episode auch zu einer stärkeren Betonung der Sorgfaltspflichten und der Transparenz von Gegenparteien führen wird, wenn es um den Geldfluss und die Leistung von Krediten geht, die in DeFi-Kreditprotokollen enthalten sind.

Allerdings ist nicht zu erwarten, dass die DeFi in absehbarer Zeit verschwinden wird, sagen seine Befürworter - unabhängig davon, wie gross der Schaden während des aktuellen Bärenmarktes ist, der als "Krypto-Winter" bezeichnet wird.

Wie Dorman von Arca es ausdrückt: "Auch diese Episode wird vorübergehen, und es wird wieder eine Fallstudie dazu sein, ob wir in einer Scheinwelt wie TradFi leben wollen, in der alle Probleme sofort mit 'Too Big to Fail'-Rettungspaketen 'behoben' werden, oder ob wir in einem neuen Regime leben wollen, in dem sich diese Beziehungen am Ende selbst regeln. Aber viele werden dabei Schaden nehmen."

(Bloomberg)