Trotz der jüngsten Anzeichen einer Verlangsamung wächst die Euroraum-Wirtschaft schneller als ihr langfristiger Trend. Es ist wohl eine Möglichkeit, die Schäden aus einem Jahrzehnt der Finanzkrisen und einer zweifachen Rezession wieder zu reparieren, wenn man den Boom sogar auf Kosten höherer Inflation weiter laufen lässt, zum Beispiel, indem man Arbeitskräfte zurück an den Markt lockt, die die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz aufgegeben haben.

Die Option ist jetzt relevanter geworden, nachdem die Notenbanker darüber diskutieren, wie langsam die geldpolitischen Stützungsmassnahmen zurückgenommen werden können. Ratsmitglied Erkki Liikanen hat die Möglichkeit eines über das Ziel Hinausschiessens letzten Monat angedeutet, worauf sein Kollege Jens Weidmann der Idee eine Absage erteilte. Beide sind mögliche Konkurrenten um die Nachfolge von Draghi im nächsten Jahr. Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré hat sich ebenfalls geäussert.

"Wenn die Normalisierung spät und langsam eingeleitet wird, wird es zu einem Überschiessen kommen", sagte Paul Mortimer-Lee, leitender Marktökonom bei BNP Paribas. "Nachdem sie so lange unter dem Zielwert lagen, wollen sie vielleicht eine Zeitlang ein Überschiessen haben und die Wirtschaft über dem Potenzial laufen lassen, um die Erwartungen bezüglich der zukünftigen Inflation zu stärken."

EZB tagt nächste Woche

Die geldpolitischen Entscheidungsträger tagen nächste Woche, jedoch liegt der unmittelbare Fokus eher auf der konjunkturelle Schwäche. Die Inflation belief sich im März auf 1,4 Prozent gegenüber dem mittelfristigen Ziel von knapp 2 Prozent, und die Konjunkturdaten für das erste Quartal haben im Allgemeinen enttäuscht.

Das könnte sich aber rasch ändern. Mortimer-Lee sagt, dass die Wahrscheinlichkeit von Inflationsüberraschungen zunimmt. Für die EZB wird ein solcher Anstieg die Erinnerung an das Jahr 2011 heraufbeschwören, als die Zentralbank die Zinsen anhob, kurz bevor die Wirtschaft in die Rezession zurückfiel.

Ein Argument für die hartnäckig schwache Inflation ist, dass die Krise das wirtschaftliche Potenzial nachhaltig beschädigt hat, dass Investitionsmöglichkeiten verpasst wurden und arbeitslose Arbeitnehmer ihre Fähigkeiten verloren haben.

Coeuré argumentierte auf einer Veranstaltung in Paris in diesem Monat, dass die wirtschaftliche Kapazität der Region noch weitgehend intakt ist - dass die Narben der Krise sich nur als tiefe Kratzer erweisen dürften, die mit genügend Zeit heilen werden.

"Eine grössere Produktionslücke in den letzten Jahren stimmt mit der jüngsten Inflationsdynamik überein", sagte er. "Wenn wir in erster Linie normale Auswirkungen des Zyklus sehen, ist es kein wirkliches Geheimnis, warum die Inflation in vielen Volkswirtschaften so niedrig ist, und es besteht auch keine Notwendigkeit, die Wirtschaft heiss laufen zu lassen, um die Schäden der Krise zu beheben."

Doch das Argument hält sich. Es wurde bereits 2009 von Ökonomen diskutiert und mindestens ein Ratsmitglied hat es vor mehr als 2 Jahren vorgebracht, als die Inflation nur 0,3 Prozent betrug. Ein EZB-Research-Artikel am Freitag schlug vor, dass eine Verpflichtung, die Zinsen nur allmählich erhöhen, selbst mit dem Risiko einer über dem Ziel liegenden Inflation, die Auswirkungen von Abschwüngen abfedern könnte.

Ob ein gewisses Überschiessen möglich ist, wird ein Schlüsselelement bei der Bestimmung sein, wie schnell die EZB ihr quantitatives Lockerungsprogramm beendet und die Zinsen anhebt, und könnte eine neue Bruchstelle in den Debatten des EZB-Rats darstellen.

Liikanen, der Chef der finnischen Zentralbank, sagte im März, dass die Normalisierung "auf einer solideren Basis ruhen würde, wenn die Anzeichen, dass die Inflation vorübergehend zwei Prozent übersteigen könnten, in den Inflationserwartungen markanter hervortreten".

Der deutsche Bundesbank-Präsident Weidmann war in seiner Rede in Frankfurt letzte Woche deutlicher und forderte die EZB auf, den Fokus auf die Preisstabilität nicht fallen zu lassen. "Vorschläge, die Inflation bewusst eine Zeitlang die Schwelle von 2 Prozent überschiessen zu lassen, lehne ich ab", sagte er.

(Bloomberg)