Diese Pläne bergen Sprengstoff, denn sie könnten die Architektur des europäischen Hauses in Schieflage bringen, dessen Fundamente vor 60 Jahren gelegt wurden. Der in kein Links-Rechts-Schema passende Kandidat Emmanuel Macron gilt Umfragen zufolge als letzte Hürde, um einen Durchmarsch der EU-Gegnerin zu verhindern: Sollte sie in der ersten Runde am 23. April triumphieren, schlägt bei der Stichwahl am 07. Mai wohl die Schicksalsstunde Europas.

"Wenn eine solche Kandidatin wie Le Pen in einem bedeutenden Gründerstaat Staatschefin würde, würde das die gesamte EU schwer erschüttern", warnt Europa-Staatsminister Michael Roth. Der SPD-Politiker hat die Wahl als Beauftragter der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit besonders im Blick. Neben dem Ausscheren der Briten würde ein von einer Europa-Gegnerin regiertes Frankreich die Fliehkräfte in der EU verstärken. Ein Sieg Le Pens dürfte wahrscheinlich auch Schockwellen an den Märkten auslösen: "Eine Kapitalflucht aus dem Land in grösserem Ausmass wäre zu befürchten", warnt Ökonom Stefan Mütze von der Landesbank Helaba.

Referendum über die EU

Weitere Beben könnte ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft Frankreichs auslösen, für das sich die Rechtsextreme im Wahlkampf starkgemacht hat. "Ein Sieg Le Pens in der Präsidentschaftswahl wäre damit wohl auch ein Votum der Bevölkerung für eine Volksabstimmung. Darüber könnten sich die anderen Parteien kaum hinwegsetzen", meint Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Der Ökonom Florian Hense von der Berenberg Bank rechnet hingegen nicht damit, dass es bei einem Wahlsieg der Rechten zu einem Referendum kommt. Dazu seien die parlamentarischen Hürden wohl zu hoch. Bei einem Sieg der Rechtsextremen würde laut Helaba-Ökonom Mütze aber auf jeden Fall die deutsch-französische Achse massiv geschwächt. Europa wäre quasi führungslos, warnt der Volkswirt. Le Pen hat sich in ihrer Wahlkampfrhetorik bereits auf Berlin eingeschossen: Sie wolle bei einem Einzug in den Elysee-Palast nicht "Vizekanzlerin von Angela Merkel" werden und ihr Land nicht zu einer "Region in der EU" absteigen sehen. In der Flüchtlingskrise hatte sie Deutschland vorgeworfen, seine Grenzen für Flüchtlinge nur deshalb geöffnet zu haben, um "Sklaven" ins Land zu bringen und die Löhne zu drücken.

Macron will Europa stärken

Diese schrillen Töne sind ihrem Konkurrenten Macron fremd. Er setzt auf eine europäische Asylpolitik und will den deutsch-französischen Motor auf Touren bringen. "Die europäische Bewegung muss von Deutschland und Frankreich ausgehen", forderte er jüngst in Berlin. Sein Programm ist der Gegenentwurf zu Le Pen, die den Titel "Totengräberin Europas" als Kompliment sieht.

Macron will einen Aufbruch auf dem Kontinent fördern: Europa werde schlechtgeredet und müsse allzu oft als Sündenbock für viele Probleme herhalten, heisst es im europapolitischen Programm der von Macron ins Leben gerufenen Bewegung En Marche. Bei den Themen Sicherheit, Migration sowie Handel und Digitalisierung müsse Europa seine Interessen und Werte in der Welt aktiv vertreten.

Zudem regt er einen europäischen Geldtopf für Verteidigung an, aus dem zum Beispiel gemeinsame Projekte wie Drohnen finanziert werden könnten. Für Staatsminister Roth sind das interessante Ansätze: "Wir könnten uns grundsätzlich in der Sicherheits – und Verteidigungspolitik eine engere Kooperation vorstellen." Es sei wohltuend, dass es in der EU noch Politiker gebe, die Europa als einen zentralen Teil der Lösung und nicht als einen Teil des Problems sähen. 

(Reuters)