Sie können sich Flugzeuge, Landerechte und Personal einverleiben und Lücken schliessen, die der Absturz von Konkurrenten aufreisst. "Die grossen Airlines gewinnen, wenn kleine verschwinden", sagt Sebastian Zank, Branchenexperte von der Ratingagentur Scope. "Das ist gut für die Industrie: Je weniger der Markt umkämpft ist, umso besser werden die Margen." Während Kunden höhere Preise fürchten, reiben sich die Anleger die Hände. So stieg die Lufthansa-Aktie mit der Ankündigung des Air-Berlin-Deals am Donnerstag auf den höchsten Stand seit fast 17 Jahren.

Dass sich die zur Jahrtausendwende begonnene Konsolidierung in der europäischen Luftfahrtbranche beschleunigt, ist aus Sicht von Lufthansa-Chef Carsten Spohr dringend nötig. Erst im September beklagte er, dass die fünf grössten europäischen Fluglinien, zu denen neben Lufthansa auch Ryanair, die British-Airways-Mutter IAG, Air France-KLM und EasyJet gehören, in "einer der am meisten zersplitterten Branchen" zusammen nur auf einen Marktanteil von 43 Prozent kommen. Die Top-5 in den USA hingegen hätten einen Anteil von 69 Prozent an den Buchungen in, von und nach Nordamerika. Die Amerikaner sind nach Daten von Scope denn auch mit einer Vorsteuerrendite von rund 20 Prozent doppelt so profitabel wie die Europäer.

Markt sortiert sich neu

Bei der Marktbereinigung in Europa will die Swiss-Mutter Lufthansa nach Worten Spohrs eine aktive Rolle spielen: "Da wird Air Berlin nicht der letzte Schritt sein." Sollte es einen Neustart bei der ebenfalls in die Pleite gerutschten Alitalia geben, sei die Kranich-Linie ebenfalls an Gesprächen interessiert.

Auch Spohrs Erzrivale, Ryanair-Chef Michael O'Leary, prophezeit einen radikalen Umbau des Marktes. Europa werde sich genauso wie der nordamerikanische Markt neu sortieren. "Das ist zum Teil, worum es bei dem ganzen Air-Berlin-Ding geht." O'Leary geht sogar davon aus, dass am Ende nur die fünf Grossen übrig bleiben - mit Ryanair an erster Stelle.

Dabei haben aber die Kartellbehörden ein gewichtiges Wort mitzureden. Bei vergangenen Übernahmen ordenten sie häufig an, dass die Käufer einen Teil der Start- und Landerechte wieder abgeben müssen. Heute gibt es in Europa noch etwa 50 Airlines mit jeweils mehr als 15 Maschinen in Europa. In Deutschland sind es etwa 160, jede kleine Charterlinie mit ein oder zwei Maschinen eingerechnet.

Die Geier kreisen

Anders als Lufthansa hielt Ryanair zuletzt still: In den Bieterprozess um Air Berlin stieg der irische Billigflieger gar nicht erst ein. Und aus dem Rennen um Alitalia zog sich O'Leary zurück. Ryanair hat derzeit ganz andere Probleme: Es sind so viele Piloten urlaubsreif oder abgewandert, dass Flüge massiv gestrichen werden mussten. Das verärgerte zehntausende Passagiere.

Die British-Airways-Mutter IAG soll zumindest einen vagen Blick auf Air Berlin geworfen haben. Die französisch-niederländische Air France-KLM erklärte hingegen, an Pleite-Airlines kein Interesse zu haben. Der britische Billigflieger EasyJet, ebenfalls in Verhandlungen mit Air Berlin über die Übernahme von einigen Maschinen, hat mit der Monarch-Schliessung eine ganz neue Möglichkeit, sein Geschäft auszuweiten. Deshalb könnten auch die Gespräche mit Air Berlin zuletzt ins Stocken geraten sein, glauben Insider.

Die Briten wollen ihren Marktanteil in Deutschland aber von vier Prozent Ende 2016 auf 20 Prozent ausbauen, wie Deutschland-Chef John Kohlsaat kürzlich der "Berliner Zeitung" sagte. Und ob sich EasyJet grosse Teile der Kronen-Fluglinie Monarch einverleiben kann, ist offen: Um deren Slots, Flugzeuge und Crews kreisen auch Ryanair, IAG, Wizz und Norwegian Air. Sie könnten ihr Verbindungsnetz nach Spanien dadurch enger knüpfen.

Weitere Wackelkandidaten

Scope-Analyst Zank glaubt, dass spätestens im nächsten Konjunkturabschwung weitere Airline-Pleiten folgen werden. "Gesellschaften aus Skandinavien, Osteuropa, vom Balkan oder der Türkei sind derzeit im Branchendurchschnitt finanziell am schwächsten aufgestellt - und das in einer Marktphase mit starker Nachfrage und moderaten Kosten."

Womöglich steigen die über längere Zeit gesunkenen Ticketpreise, wenn die Grossen grösser werden. Das muss aber nicht für den umkämpften Markt für Billigflüge gelten. Hier baut die Lufthansa ihre Tochter Eurowings mit den von Air Berlin geschluckten Maschinen rasant aus. "Wir werden jetzt die Eurowings grösser machen", sagte Spohr auf einer internen Veranstaltung kurz nach Bekanntwerden der Air-Berlin-Pleite, von der Reuters eine Aufzeichnung vorliegt. Ryanair gehe überall in den Markt, wo es möglich sei. Und EasyJet werde in Deutschland richtig gross. "Dann werden die drei aufeinander losgehen", sagte Spohr - und erklärte die "Schlacht" für eröffnet.

(Reuters)