cash: Frau Navidi, eine Einigung beim US-Finanzstreit scheint wieder näher zu rücken. Ein anderer Ausgang wird von Beobachtern weitgehend ausgeschlossen. Ein fataler Irrglaube?

Sandra Navidi: Der Konsens stützt sich nicht auf konkrete Hinweise. Die Dynamik menschlicher Entscheidungen ist in diesem Zusammenhang kaum einschätzbar. Man kann nur hoffen, dass der Präsident im Notfall zu drastischen Mitteln, wie zum Beispiel der Anhebung des Schuldenlimits per Executive Order, greift.

Wird die Politik rechtzeitig zur Vernunft kommen?

Es ist unbefriedigend, aber auch bei vertraulichen Gesprächen hinter verschlossenen Türen zeigen sich die internationalen Spitzenpolitiker ratlos. Man kann nicht glauben, dass die USA eine Pleite in Kauf nehmen würde. Für den Fall, dass dies dennoch passieren sollte, haben sie keine Lösung parat und zeigen Fatalismus. Es ist ein Szenario, auf das man sich nicht vorbereiten kann.

Es wird von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit gesprochen. Ist es in Tat und Wahrheit nicht eher ein Zahlungsunwille? Die USA wäre doch in der Lage, Dollars in Massen zu drucken.

Absolut. Die USA können aufgrund ihres exorbitanten Privilegs, unbegrenzt Geld nachzudrucken, technisch nicht Pleite gehen. Ausserdem sind sie ein sehr reiches Land, da den Schulden viele Vermögenswerte gegenüberstehen. Eine Zahlungsunwilligkeit macht das Ganze allerdings schlimmer.

Weshalb?

Weil das von einer schlechten Schuldenmoral zeugt. China ruft bereits zu einer Art Deamerikanisierung der Welt auf. Selbst wenn die Amerikaner das Problem rechtzeitig lösen, ist davon auszugehen, dass insbesondere die Asiaten versuchen werden, vermehrt ihre eigenen Währungen in bilateralen Verträgen einzusetzen. Da der Dollarmarkt allerdings noch der grösste und liquideste ist, und viele Alternativwährungen bisher nur eingeschränkt handelbar sind, wird eine merkliche Währungsdiversifizierung noch ein bis zwei Jahrzehnte auf sich warten lassen.

Falls am Donnerstag tatsächlich die Staatspleite ausgerufen werden sollte, werden bereits düstere Szenarien gezeichnet. Was würde das Land am härtesten treffen?

Das grösste Problem wäre das Chaos an den Finanzmärkten. Dieses würde eine Kettenreaktion auslösen: Als Folge würde auch die Realwirtschaft ganz schnell in Mitleidenschaft gezogen und damit auch das Wirtschaftswachstum dramatisch ausgebremst. Dass ein Pleite-Land auch bei den Ratingagenturen keine Top-Note mehr verdient, liegt auf der Hand.

Was würde eine Pleite für die Anleger kurz- und mittelfristig bedeuten?

Die Folgen sind kaum vorhersehbar. Verschiedene Institutionen wie Banken und Aufsichtsbehörden haben bereits versucht Pleiteszenarien durchzuspielen. Aufgrund der Komplexität haben sie aber resigniert. Es wird aller Voraussicht nach zu starken Turbulenzen kommen. Die Schwellenländer, die bereits geschwächt sind, würden besonders getroffen und deshalb die internationale Abwärtsspirale beschleunigen. Im Worst-Case-Szenario könnte eine Pleite das Ende der bisherigen globalen Finanzordnung bedeuten.

Und was hiesse das für den Dollar?

Der Dollar würde gegenüber anderen Währungen – also auch gegenüber dem Franken – deutlich schwächer werden.

Am Wochenende waren die USA auch beim IWF-Treffen in Washington, an dem Sie ebenfalls teilnahmen, das dominierende Thema. Wie wurde der Finanzstreit aufgenommen?

Es gab im Wesentlichen eine Forderung: Den potentiellen Zahlungsausfall der USA zu verhindern. Zwar kamen auch der Haushaltsstreit und das Zurückfahren des Anleihekaufprogramms der Federal Reserve zur Sprache, aber nur am Rande. Denn wenn die USA zahlungsunfähig würde, hätten die Welt erst einmal ganz andere Probleme.

Wie haben die amerikanischen Vertreter darauf reagiert?

Alle, so auch Finanzminister Jack Lew, Fed-Chef Ben Bernanke und die Chefs der grossen Banken, sind sich mit der internationalen Gemeinschaft einig, dass eine Pleite auf jeden Fall verhindert werden muss. Von daher besteht Übereinstimmung, aber es herrscht auch eine gewisse Ohnmacht, weil man keine Kontrolle über das Geschehen hat.

Die ganze Welt wundert und ärgert sich über Streit um den Finanzhaushalt in den USA. Blenden die amerikanischen Politiker den Rest der Welt aus?

Ja, für die Politiker ist die internationale Wahrnehmung nur von sekundärer Bedeutung, da sie zunächst viel zu sehr in das nationale Geschehen verstrickt sind. Anders hingegen die amerikanische Bevölkerung. Ihnen ist das unwürdige Theater peinlich. Sie sind neugierig, was das Ausland über sie denkt und deshalb von der Kritik nicht überrascht.

Wie ist die aktuelle Stimmungslage in den USA?

Es herrscht Unglaube, Frustration und Wut. Der Shutdown macht sich nur nach und nach bemerkbar. Wenn es allerdings zur Zahlungsunfähigkeit kommt und beispielsweise keine Sozialhilfe, gesetzliche Krankenversicherung und staatliche Renten mehr ausbezahlt werden, ist damit zu rechnen, dass die Leute auf die Barrikaden gehen.

Die Republikaner haben mit ihrer Blockade-Strategie im Senat in den letzten Tagen bei den Wählern an Popularität eingebüsst. Ein politisches Eigentor?

Ein komplettes Eigentor. 30 bis 40 radikale Tea Party Mitglieder halten den Rest der Republikaner in Geiselhaft. Die gemässigten Republikaner müssen schauen, wie sie sich von diesen Mitgliedern befreien. Denn eine Demokratie und ein stabiles Finanzsystem braucht ein funktionierendes Mehrparteiensystem.


Sandra Navidi ist Gründerin und Geschäftsführerin des amerikanischen Beratungsunternehmens Beyond Global. Zuvor arbeitete sie fast drei Jahre für den amerikanischen Top-Ökonomen Nouriel Roubini. Die gebürtige Deutsche lebt seit zwölf Jahren in New York.