Was bei anderen den Fluchtinstinkt weckt, zieht Antonio Horta-Osorio gerade erst an: Mit Haien schwimmen. Mehr als hundert mal ist der begeisterte Taucher den scharfzahnigen Raubfischen schon unter Wasser begegnet, wie Medien berichten.

Auf Nervenkitzel wird der Portugiese auch in seinem nächsten Job nicht verzichten müssen. Als nächster Verwaltungsratspräsident der skandalgeplagten Credit Suisse übernimmt er eine der schwierigsten Führungsaufgaben, die die europäische Bankenbranche zur Zeit zu bieten hat.

Allein der Zusammenbruch des US-Hedgefonds Archegos hat bei der Grossbank einen Schaden von fünf Milliarden Franken hinterlassen. Dazu kommt die Abwicklung von mit der inzwischen insolventen Greensill Capital geführten Fonds, Analysten zufolge drohen Rechtskosten von weiteren zwei Milliarden Dollar.

Die Folge: Manager verloren ihre Jobs, Investoren mussten weiteres Kapital einschiessen, die Finanzmarktaufsicht leitete eine dritte formelle Untersuchung gegen die Bank ein und das Anlegervertrauen bekam einen schweren Schlag.

Nicht der erste Krisenfall

Der neue Credit-Suisse-Verwaltungsratspräsident stimmt die Grossbank denn auch auf schwierige Zeiten ein. Als Mitarbeiter und Chef von mehreren Banken in verschiedenen Ländern habe er in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten viele Krisen miterlebt. "Doch das war sicher nicht zu vergleichen mit dem, was bei der Credit Suisse in den letzten acht Wochen in Zusammenhang mit dem US-Hedge-Fonds und den Supply-Chain-Finance-Funds geschehen ist", sagte er am Freitag nach seiner Wahl mit Blick auf das Doppel-Debakel rund um Archegos und Greensill. Nun müssten die Lehren gezogen werden. "Vor uns liegen schwierige Zeiten und harte Entscheidungen."

Credit Suisse ist nicht der erste Krisenfall, dem sich Horta-Osorio annimmt. Als er 2011 Lloyds-Konzernchef wurde, befand sich die von der Finanzkrise schwer getroffene britische Grossbank im Todeskampf. "Das führte bei mir zu einer Phase der Erschöpfung, wie Sie wissen, wo ich ein paar Wochen Pause machen musste und dann zurückkam", sagte er bei seinem letzten Auftritt als Lloyds-Chef. "Das waren sehr schlimme Tage."

Inzwischen ist die Bank wieder grundsolide und fuhr Anfang 2021 den höchsten Quartalsgewinn seiner zehnjährigen Amtszeit ein. "Der neue CEO erbt eine Bank in viel gesünderer Verfassung", erklärt Citi-Analyst Andrew Coombs.

Erfahrener Banker

Auf der Aktionärsversammlung am Freitag galt die Wahl Horta-Osorios zum Credit-Suisse-Präsidenten bereits im vornherein als Formsache. Mit seinem Vorgänger Urs Rohner habe er wiederholt im Austausch gestanden, erklärt ein Wegbegleiter. Ihre bisherigen Aufgaben übernahmen Rohner und Horta-Osorio praktisch gleichzeitig, nämlich im Frühjahr 2011.

Bei der Credit Suisse werde er sich in den kommenden Monaten auf die drei Bereiche Risikomanagement, Strategie und Kultur konzentrieren, sagte Horta-Osorios nach seiner Wahl am Freitag. Die aktuellen und potenziellen Risiken der Credit Suisse müssten unmittelbar und gründlich untersucht werden. Die Bank habe eine hervorragende Marktposition und Kundenbasis. Er werde dafür sorgen, dass das Institut dort, wo es Stärken und Wettbewerbsvorteile habe, weiter Spitzenleistungen bringe. "Wir werden uns die nötige Zeit nehmen, um die strategischen Optionen der Bank eingehend zu prüfen." Eine Reihe von Rückschlägen habe das Institut zurückgeworfen, und er müsse den Ursachen nachgehen. "Wir müssen eine Kultur fördern, die die Bedeutung des Risikomanagements stärkt, die richtigen Anreize setzt, auch bei der Vergütung, und das Augenmerk auf die persönliche Verantwortung und Rechenschaft konzentriert."

Horta-Osorios und sein Vorgänger Rohner gehören zu den dienstältesten Bank-Lenkern. Doch damit erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten bereits weitgehend. Während der auch AHO genannte Horta-Osorio unter anderem in Harvard Management studierte und für Goldman Sachs und Citi arbeitete, leitete der Jurist Rohner zuvor den Medienkonzern ProSiebenSat.1.

Dem früheren Schweizer Meister im Hürdenlauf wurde immer wieder vorgehalten, dass er kein in der Wolle gefärbter Banker ist. Eine Reihe von Handelsverlusten und Rechtsfällen kosteten die Bank in seiner Zeit einen deutlich zweistelligen Milliarden-Betrag und gaben den Kritikern Munition. Rohner setzte gegen interne Widerstände zwar durch, dass die Bank den riskanten Wertpapier-Handel eindampfte und stärker auf die Vermögensverwaltung setzte. Doch die Erosion des Aktienkurses konnte das nicht aufhalten.

Unter Rohners Ägide verlor Credit Suisse fast drei Viertel an Wert. Nach dem Archegos-Kollaps kündigte der seit gut einem Jahr amtierende Konzernchef Thomas Gottstein an, ein Drittel des Hedgefonds-Geschäfts einzudampfen - mindestens. Darüber hinaus will er aber am Geschäftsmodell festhalten, das im Kern auf reiche Unternehmer abzielt.

Radikale Änderungen wahrscheinlich

Der 57-jährige Portugiese stellte sich hinter den seit gut einem Jahr amtierenden Konzernchef Thomas Gottstein, der als Folge der Krise in der Kritik steht. "Thomas Gottstein hat das Vertrauen des Verwaltungsrats, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit ihm und den weiteren Geschäftsleitungsmitgliedern."

Und dennoch: UBS-Analyst Daniele Brupbacher geht davon aus, dass radikale Änderungen im Konzern wegen der Häufung und der Tragweite der jüngsten Ereignisse wahrscheinlicher geworden sind. Von reinen Spekulationsgeschäften scheint AHO nicht viel zu halten. Für den Vater dreier Kindern haben Banken in erster Linie eine volkswirtschaftliche Funktion, wie ein Insider sagt. Handelspraktiken, die nur darauf abzielten, Finanzfirmen und Reiche reicher zu machen, stehe er kritisch gegenüber.

Horta-Osorio werde zunächst die Schwachstellen der 165 Jahre alten Firma ausfindig machen, prognostiziert Jupiter-Fondsmanager Guy de Blonay. In einer zweiten Phase dürfte er einen Rückzug aus Geschäften mit hohem Risiko und geringer Rendite anordnen sowie Kosten und Risiken ins Visier nehmen. "Er schätzt Loyalität und Liebe zum Detail", sagt der Fondsmanager. DBRS Morningstar-Analystin Maria Rivas weist auf seine Zielstrebigkeit hin. "Wir gehen davon aus, dass das Risikomanagement ganz oben auf seiner Agenda stehen wird." 

(Reuters)