Ihre Vision einer klimafreundlicheren Zukunft: Grossprojekte, die riesige Mengen Grünstrom erzeugen, der in Chemikalien oder saubere Kraftstoffe umgewandelt wird.

“Die grossen Ölkonzerne bauen seit jeher milliardenschwere Projekte”, sagt Julien Rolland, Leiter des Bereichs Energie und erneuerbare Energien beim Rohstoffhändler Trafigura. “Grüner Wasserstoff und grünes Ammoniak werden die neue Energiewirtschaft.”

Der Plan setzt auf die Stärken der Ölmultis im Projektmanagement und ihre Finanzkraft. Doch selbst angesichts dieser Vorteile bleibt es eine massive Wette auf eine Technologie, die sich erst noch beweisen muss.

Tiefe Taschen

Diesen Monat gab es eine Vielzahl von Ankündigungen zum Thema Wasserstoff.

BP übernimmt die Führung bei einem 36-Milliarden-Dollar-Projekt namens Asian Renewable Energy Hub. Dafür sollen in Westaustralien auf 6'500 Quadratkilometern 26 Gigawatt an Solar- und Windkraftanlagen installiert werden. Der erzeugte Strom soll Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. Die Anlage soll schliesslich etwa 1,6 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr oder 9 Millionen Tonnen Ammoniak produzieren, der zur Herstellung von Dünger verwendet werden kann.

TotalEnergies hat sich mit dem indischen Milliardär Gautam Adani zusammengetan, der in den nächsten zehn Jahren bis zu 50 Milliarden Dollar in grünen Wasserstoff investieren will. Mit einer Anfangsinvestition von 5 Milliarden Dollar sollen 4 Gigawatt Wind- und Solarkapazität entwickelt werden, von denen etwa die Hälfte Elektrolyseure speisen soll, die Wasserstoff für die Herstellung von Ammoniak produzieren. Bis 2030 soll eine jährliche Produktion von 1 Million Tonnen grünem Wasserstoff möglich sein aus 30 Gigawatt sauberer Energie.

Shell plant ebenfalls ein eigenes Megaprojekt, so Paul Bogers, Vizepräsident für Wasserstoff bei dem Unternehmen. Derzeit sucht das Unternehmen nach einem passenden Ort.

“Die Grösse dieser Projekte ist nichts für kleine Startups”, sagte Bogers. “Man braucht tiefe Taschen.”

Der US-Gigant Chevron plant ebenfalls, Milliarden auszugeben für eine Mischung aus grünem und blauem Wasserstoff. Bei letzterem wird Erdgas durch eine chemische Reaktion aufgespalten und das Kohlendioxid abgeschieden und gespeichert.

Rettungsanker für die Zukunft

Die Ölmultis stecken zwar den Grossteil ihrer Investitionen nach wie vor in Öl und Gas, sind aber auch aktiv in Bereichen wie Offshore-Windparks, Solaranlagen, Batterietechnologien und Ladegeräte für Elektroautos.

“Elektronen brauchen nicht die Art von Infrastruktur, auf die sich die grossen Ölkonzerne spezialisiert haben”, so Meredith Annex, Analystin bei BloombergNEF. Aber Wasserstoff ist ein Molekül, und “diese Unternehmen verstehen sich auf Moleküle und Infrastruktur rund um Moleküle”.

Bis vor kurzem waren deren Wasserstoffpläne noch eher bescheiden. BP plant die Errichtung von Elektrolyseuren in einer Raffinerie in Lingen im Emsland und in einem Werk in Castellon in Spanien. Shell hat im vergangenen Jahr eine 10-Megawatt-Anlage in Betrieb genommen, die Wasserstoff für die Rheinland-Raffinerie des Unternehmens südlich von Köln produziert.

Zur Nutzung von Wasserstoff braucht es komplexe Anlagen zur Verarbeitung, Druckrohrleitungen und Speicheranlagen sowie Spezialschiffe für den Transport. Das macht ihn für die Ölmultis zu einem “Rettungsanker für die Zukunft”, so Annex.

Es gibt noch eine weitere Aspekt, der den Ölfirmen einen Vorteil verschafft. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für grünen Wasserstoff sind “sehr wettbewerbsfähige Quellen von erneuerbarer Energie”, so Tom Ellacott, Senior Vice President beim Beratungsunternehmen Wood Mackenzie. BP habe sich für Australien entschieden, weil es dort viel Sonne gibt, während TotalEnergies Indien gewählt habe, weil preisgünstiges Ammoniak dort womöglich gut zu verkaufen sein wird.

Langer Atem

Bis solche Grossprojekte rentabel sind, wird es lange dauern, so Pierre-Etienne Franc, Geschäftsführer von Hy24, einem Joint Venture des Vermögensverwalters Ardian SAS und FiveT Hydrogen.

“Man kann nicht einfach so von 10 Megawatt auf Gigawattgrösse hochgehen”, sagte Franc. Zunächst müssten Anlagen in der Grössenordnung von Hunderten von Megawatt gebaut werden - zehnmal so gross wie die derzeitigen Pilotprojekte in Europa. Diese würden das operative Detailwissen liefern und die Herstellungskapazitäten für Elektrolyseure verbessern, was Voraussetzung für die nächste Stufe sei, sagte er.

Das Beratunsgunternehmen Rystad  schätzt, dass die durchschnittliche Grösse eines grünen Wasserstoff-Elektrolyseurs derzeit bei 3 bis 4 Megawatt liegt. Bis 2025 dürfte sich diese Leistung zwar um das 20-fache erhöhen. Bis in den Gigawatt-Bereich dürfte es aber noch dauern.

“Es ist noch ein weiter Weg, bis tatsächlich erhebliche Investitionen in eines dieser Projekte fliessen”, sagte Gero Farruggio, bei Rystad Experte für erneuerbare Energien. Womöglich dauere das noch bis nach 2030.

Wasserstoff in grossem Massstab, obschon noch unerprobt, könnte also die beste Chance für die jetzige Generation von Ölkonzernen sein, Hauptakteure bei der Senkung der Netto-Neuemissionen auf Null bis 2050 zu werden.

(Bloomberg)