cash: Der Euro kletterte diese Woche erstmals seit der Mindestkursauflösung auf über 1,11 Franken, am Donnerstag erreichte er sogar die Marke von 1,12. Weshalb sich der Franken plötzlich abschwächt, ist selbst vielen Devisen-Experten ein Rätsel. Wo sehen Sie die Gründe?

Andreas Ruhlmann: Es ist in der Tat ungewöhnlich, den Franken so schwach zu sehen, wenn die Märkte gleichzeitig so volatil sind. Normalerweise ist der Franken in unsicheren Zeiten sehr gefragt. Aber die derzeitige Abschwächung sehe ich in einem Mix aus Marktkräften und SNB-Interventionen begründet. Bei den Marktkräften spielen die Negativzinsen eine grosse Rolle, da sie den Franken sehr unattraktiv machen. Das ist meiner Meinung nach der Hauptgrund für die Franken-Abschwächung.

Was spielt noch eine Rolle?

Andererseits besteht auch die Aussicht auf zukünftige Interventionen der Notenbank. Die SNB betont auffallend häufig die Überbewertung des Schweizer Frankens, was Spekulanten vom Franken fern hält. Auch die Sichteinlagen sind dieses Jahr schneller gewachsen als zuvor, was wohl bedeutet, dass die SNB dieses Jahr wieder etwas aktiver geworden ist auf dem Devisenmarkt.

Die Negativzinsen scheinen also für eine Abwertung des Frankens gesorgt zu haben. Kann sich die Schweizerische Nationalbank nun auf die eigene Schulter klopfen?

Ich denke, die Nationalbank hat die richtigen Entscheide getroffen. Die Nationalbank will die Preisstabilität aufrechterhalten und dafür braucht die Schweiz einen schwächeren Franken. Die Geldpolitik der SNB fängt langsam an, Früchte zu tragen. Die Ausnahmen bei den Negativzinsen sind nun abgelaufen. Pensionskassen, Banken und Asset-Manager müssen Alternativen finden und werden mehr und mehr auf ausländische Investitionen ausweichen. Das wird den Franken noch weiter schwächen.

Werden weitere SNB-Massnahmen kommen?

Die SNB wird die Negativzinsen in diesem Jahr noch auf minus 1,0 oder sogar auf minus 1,25 Prozent senken müssen. Es besteht der Druck, die Zinsdifferenzen zu halten. In Europa haben wir bereits seit Ende 2014 Negativzinsen. Nun gab auch Japan die Einführung von Negativzinsen bekannt, zum ersten Mal überhaupt. Es ist wichtig, dass der Schweizer Franken unattraktiv und die Zinsdifferenz gross bleibt. Allem voran die Differenz zum Euro.

Was wären die Effekte ausgeweiteter Negativzinsen für die Schweizer Wirtschaft und auch für den Franken?

Kurzfristig wäre dies für die Pensionskassen und Banken negativ. Langfristig hätte es für die Schweizer Wirtschaft aber einen positiven Effekt. Die Konsumausgaben würden angekurbelt und die Exporte höher.

Das Negativzins-Umfeld wird der Schweiz also noch eine Weile erhalten bleiben?

Solange die Inflation und das Wirtschaftswachstum in der Schweiz so schwach sind, werden die Zinsen noch negativ bleiben. Das kann noch ein bis zwei Jahre dauern. Vieles hängt auch vom Ölpreis ab, welcher noch etwas unter Druck bleiben wird, weil die Produktion immer noch zu hoch ist. Ende 2016 könnte der Ölpreis aber wieder etwas anziehen, was positiv für die Inflation wäre.

Wie wird sich der Franken in den nächsten ein bis zwei Jahren weiterentwickeln?

Für Investoren gibt es im Moment keinen Grund, Franken zu halten. Aufgrund der Negativzinsen, dem Druck der SNB und der Aussicht auf weitere Zinssenkungen ist die Schweizer Währung derzeit unattraktiv. Ich denke der Franken wird sich weiter abschwächen, nicht nur zum Euro, sondern auch gegenüber dem Dollar und dem Yen. Der Franken kann sich bald auf 1,15 zum Euro nähern. Die 1,12 kamen ja auch viel schneller, als allgemein erwartet wurde. Nächstes Jahr wird dann auch 1,20 in Sichtweite sein.

Welche Rolle spielt die globale Wirtschaft bei der Kursentwicklung?

Die Franken-Entwicklung hängt natürlich auch von der globalen Wirtschaft ab, welche im Moment ziemlich schwach ist. Viele Zentralbanken wollen ebenfalls schwächere Devisen. Die EZB will den Euro und die Bank of Japan den Yen schwächen. Auch die USA wird die Zinserhöhung wohl verzögern. Es ist ein Spiel unter Zentralbanken. Für die Schweizer Wirtschaft wäre ein noch schwächerer Franken als 1,20 von Vorteil, aber das ist nicht so einfach. Es wird Zeit brauchen.

Die Börsen in der Schweiz und vielen anderen Ländern entwickeln sich in diesem Jahr negativ. Als Ursachen werden häufig der tiefe Ölpreis und Chinas Wachstumsschwäche genannt. Sehen Sie noch andere Gründe?

Das sind sicherlich die zwei Haupttreiber der Börsen. Aber es gibt noch andere Einflüsse. Die US-Zinserhöhung könnte zum falschen Zeitpunkt gekommen sein. Normalerweise erhöht man die Zinsen, wenn die Inflationserwartung hoch ist. Das ist momentan nicht der Fall. Dann haben wir die Flüchtlingskrise, den möglichen Ausstieg Grossbritanniens aus der EU und die US-Präsidentschaftswahlen. Das sind alles Ereignisse, die für Unsicherheiten am Markt sorgen. Viele Investoren halten sich von den Märkten fern. 

Die Börsen haben einen siebenjährigen Bullenmarkt hinter sich, kommt nun ein längerer Bärenmarkt?

Ich sehe keinen Crash wie 2008 kommen, aber den Tiefpunkt haben wir wohl noch nicht gesehen. Die Aktien sind noch immer zu teuer. Es gab in den letzten Jahren einfach keine Alternative zu den Aktien, so dass die Bewertungen etwas zu weit gegangen sind. Eine Korrektur täte dem Markt deshalb gut.

Der Swiss Market Index hat in diesem Jahr fast 10 Prozent an Wert eingebüsst. Wie geht es dieses Jahr noch weiter?

Ich denke, der SMI könnte in diesem Jahr zwischenzeitlich auf 7000 Punkte fallen. Das wäre 25 bis 30 Prozent tiefer als beim Höchststand letzten August. Bis Ende Jahr erwarte ich jedoch wieder eine Erholung, da sich der Ölpreis und damit die Inflationserwartung erhöhen wird. Und dann könnte auch der Optimismus der Anleger wieder zurückkehren.

Das Interview mit Andreas Ruhlmann fand am Rande der Finanz'16 im Kongresshaus in Zürich statt.