Der Schlaf ist ein Phänomen, über das immer noch viel geforscht wird. Vieles über die Ruhezeit des Körpers wirft Fragen auf – genaugenommen wissen wir nicht einmal genau, wieso wir schlafen. Die biologische Funktion des Schlafens ist durch die Wissenschaft bisher nicht entschlüsselt worden.

Allerdings: Viel Schlafen allein genügt offenbar nicht, um fit und leistungsfähig zu sein. Auch wenn jemand durchschnittlich sieben bis acht Stunden in der Woche schläft, führt dies trotzdem zu Müdigkeit, Abgespanntheit und sinkender Produktivität am Arbeitsplatz. Der Grund: Das Schlafmuster unter der Woche (frühes Aufstehen) und jenes am Wochenende –(Ausschlafen nach langem Ausgang) unterscheiden sich stark.

Das Phänomen dahinter nennt sich Social Jetlag. Erforscht wird, wie sehr unterschiedliche Schlafzeiten den Rhythmus beeinflussen und wie sehr dies zu Einbussen in der Lebensqualität führt. Beim Social Jetlag geht man davon aus, dass Menschen eine innere Uhr haben, die, wenn sie gestört wird, negative Folgen hat. Die These ist also: Nicht die Dauer, sondern die Regelmässigkei des Schlafens entscheiden über das Befinden.

Der Begriff kommt vom englischen Wort "Socialising" (die Gesellschaft anderer Menschen teilen) und meint, dass das Ausgehverhalten die Schlafmuster wesentlich prägt. Die wissenschaftliche Sphäre, die diesen Aspekt des Schlafs untersucht, nennt sich Chronobiologie. Jens Acker, Chefarzt für Schlafmedizin bei der Privatklinikgruppe KSM in Bad Zurzach, sagt: "Sozialen Rhythmus kennen wir als Bestandteil der Diagnose schon lange, allerdings ist das Thema in der Bevölkerung noch nicht so bekannt. Aber auch die Fachwelt wollen wir noch mehr für dieses Thema sensibilisieren." Schlafstörungen würden generell noch unterschätzt.

Wer ist besonders betroffen?

Die innere Uhr ist offensichtlich durch Erbanlagen bestimmt. Und da gibt es nun einmal neben Normalschläfern auch Frühaufsteher und Nachtaktive. Schlafforscher nennen sie manchmal "Lerchen" und "Eulen". Letztere sind jene, die auch unter der Woche spät zu Bett gehen, und dies durch Ausschlafen am Wochenende kompensieren. Damit werden sie aber anfällig auf den Social Jetlag. Die "Lerchen" haben eher dann ein Problem, entgegen ihren Willen, aufgrund ihrer Soziallebens, abends lange aufbleiben.

Wie belastend ist der Social Jetlag?

Müdigkeit ist schlecht für die Arbeitsproduktivität und das Befinden. Wenig Schlaf macht auch reizbarer, was zu Konflikten mit anderen Menschen führt. Vergleichsstudien zeigen aber auch, dass ein unregelmässiges Schlafmuster – beobachtet speziell bei Schichtarbeitern – das Risiko für das metabolische Syndrom erhöht: Dazu gehören Übergewicht, hoher Blutdruck, Stoffwechselstörungen und die Zuckerkrankheit. Auch das Risiko für schlechte Cholesterinwerte und Herzkrankheiten steigt. Letzteres gemäss einer Studie der University of Arizona in Tucson um mindestens 11 Prozent.

Wo wirken sich regelmässige Schlafzeiten aus?

Ein Spital in Boston liess Schülern und Studenten ein Journal über den Schlaf führen. Man stellte dabei bessere Prüfungsergebnisse bei jenen Probanden fest, die einen regelmässigen Schlafrhythmus einhielten. Der Ausstoss des Hormons Melatonin, das den Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers steuert, war bei ihnen regelmässiger als bei den andern Testpersonen. Dies führte auch das, dass die "Regelmässig-Schläfer" besser einschlafen konnten als die anderen.

Was zu Frage führt, was man, gerade als berufstätige Person, im Alltag tun kann. Folgendes gibt es zu beachten:

Betroffenheit ergründen

Natürlich reagieren nicht alle Menschen gleich auf den Schlafrhythmus. Wer auch bei wechselnden Schlafzeiten nicht oft müde und nachweislich fit ist, sollte sich auch keine übersteigerten Sorgen wegen der inneren Uhr machen. Wer aber quasi zur Probe eine oder zwei Wochen lang regelmässige Schlafzeiten einhält und dabei eine Verbesserung des Zustands feststellt, leidet vielleicht wirklich unter dem Social Jetlag.

Wecker immer stellen

Den Schlafrhythmus unter Kontrolle zu bringen heisst: Auch am Wochenende den Wecker stellen. Dass sich dadurch der Schlaf verkürzt, wenn es am Vorabend spät geworden ist, ist letztlich das kleinere Übel, weil man so wieder in den Rhythmus zurückfindet. Beim Wecker wird übrigens dringend dazu geraten, auf die "Snooze"-Funktion zu verzichten und sofort aufzustehen: Verzögertes Aufwachen am Morgen belastet bei vielen Menschen den Körper.

Journal führen

Ein handschriftliches Schlaf-Journal zeigt auf, wie viel man schläft. Mit Apps und Smartphone-Installationen lassen sich verschiedene Aspekte des Schlafs ebenfalls darstellen, beispielsweise ein Journal über die Schlafzeiten. Die App "Sleep Cycle" beispielsweise weist solche Funktionen auf. Auf iPhones ist eine Funktion mit der Bezeichnung "Schlafenszeit" mit Weckerfunktion fest installiert; Allerdings sind nicht alle Schlafforscher begeistert vom Einsatz elektronischer Geräter auf dem Nachttischchen, weil diese im Verdacht stehen, Schlafmuster ebenfalls zu stören.

Gesellschaftliches Leben (ein bisschen) ändern

Grossmutters Weisheit, dass die Jugend vieles verzeiht, stimmt in mancher Hinsicht: Social Jetlag wird im Alter ein grösseres Problem. Wer sehr langes Wachbleiben am Abend nicht verträgt, sollte sich rechzeitig ein besseres Wach-Schlaf-Verhalten antrainieren. Auch spätabendliche Telefongespräche, langes Fernsehen oder nächtelanges Lesen kann man anders organisieren. Bis zur gesellschaftlichen Isolierung gehen ist aber auch kein Weg: Abwägen ist also gefragt.

Mit Leistungsdruck vernünftig umgehen

"Beim Schlafmangel muss man ehrlich zu sich selber sein", sagt Schlafmediziner Acker. Ein Wettbewerbs- oder Leistungsdenken dahingehend, wer weniger schlafe, sei kontraproduktiv. Schlafmangel führt auch zu höherem Risikoverhalten, gerade beispielsweise in der Finanzindustrie. "Und es gibt zu bedenken: Erfolgreiche Menschen halten vernünftige Schlafzeiten ein", sagt der Mediziner.

Andere Gründe untersuchen

Schlechter Schlaf und Tagesmüdigkeit hat unterschiedliche Gründe. Neben dem Social Jetlag spielen auch psychische und körperliche Probleme eine Rolle, Umwelteinflüsse, die Ernährung oder der Konsum von Alkohol oder Drogen. Vitaminmangel oder auch Atemprobleme können genauso dazu beitragen. Wer unter andauernden Schlaf- und Müdigkeitsproblemen leidet, ist mit einem Arztbesuch sicherlich nicht schlecht beraten.

Die Wahrnehmung ändern

Der Social Jetlag ist einer der Gründe, weswegen viele Leute am Montagmorgen Mühe bekunden, in den Alltag überzugehen. Auch regelmässiges Schlafen dürfte bei jenen, die den Montag nicht lieben, das Morgenmuffelgefühl nicht beseitigen. Aber dabei spielt die Wahrnehmung des Montagmorgens, und was man damit assoziert, eine Rolle: Schliesslich ist dies der Moment, an dem das Wochenende am weitesten entfernt ist.