Für den von Investoren kritisierten Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger eröffnet sich durch die am Samstag veröffentlichte Vereinbarung die Chance, in die Offensive zu gehen. Er werde in der am 9. Juli beginnenden Woche dem Aufsichtsrat seine neue Strategie vorstellen, kündigte der 58-Jährige an.

Die Verhandlungen zwischen den beiden Unternehmen zogen sich bis zuletzt in die Länge. Nachdem Thyssenkrupp am späten Freitagabend die Freigabe der Pläne durch den Aufsichtsrat bestätigt hatte, dauerte es noch Stunden, ehe die Tinte unter den Verträgen trocken war. Danach wollen die Konzerne unter dem Namen Thyssenkrupp Tata Steel einen neuen Branchenriesen mit 48.000 Mitarbeitern und einem Pro-Forma-Umsatz von rund 17 Milliarden Euro schmieden, der die Nummer zwei der Branche in Europa nach ArcelorMittal ist. Der Deal ist der grösste in der europäischen Branche seit der Übernahme von Arcelor durch Mittal vor mehr als zehn Jahren.

Dividenden erwartet

"Mit dem Joint Venture sichern wir uns langfristig eine wettbewerbsfähige Position in der europäischen Stahlindustrie – mit einem überzeugenden industriellen Konzept und auf Basis einer klaren strategischen Logik", betonte Hiesinger. "Damit erhalten wir langfristig Arbeitsplätze und erhalten Wertschöpfungsketten." Der Sitz des Konzerns soll in der Region Amsterdam sein, die Führung paritätisch besetzt sein.

Dem seit 2011 an der Spitze von Thyssenkrupp stehenden Hiesinger sitzen Investoren wie der Grossaktionär Cevian und der US-Hedgefonds Elliott im Nacken. Sie fordern, dass alle Bereiche des Unternehmens auf den Prüfstand gestellt werden und der Konzern auf Rendite getrimmt wird. "Mit Abschluss des Joint-Venture-Vertrags hat Thyssenkrupp nun die Voraussetzung geschaffen, das strategische Zielbild des Konzerns zu schärfen und damit auch seine finanziellen Zielsetzungen anzupassen", kündigte das Unternehmen an, dessen Geschäfte vom Stahl über Aufzüge bis zu Autoteilen sowie dem Anlagen- und U-Boot-Bau reichen.

Die Prüfung der Bücher habe ergeben, dass das Joint Venture jährliche Synergien von 400 bis 500 Millionen Euro erzielen könne, hiess es. Zuvor waren allerdings bis zu 600 Millionen Euro erwartet worden. Bis zu 4000 Jobs sollen in den kommenden Jahren in der Verwaltung und der Produktion gestrichen werden. Die Stimmrechte sollen bei 50:50 liegen, wodurch Thyssenkrupp das Stahlgeschäft entkonsolidieren kann. Aus einem möglichen späteren Börsengang solle Thyssenkrupp aber ein höherer Anteil zufliessen, der einer Beteiligung von 55/45 entspreche. Über den Zeitpunkt des Börsengangs könne Thyssenkrupp alleine entscheiden.

Bewertungslücke

Dieser Teil der Vereinbarung soll dazu dienen, die Bewertungslücke zu schliessen, die durch die zuletzt unterschiedliche Geschäftsentwicklung entstanden war. Bei Thyssen lief es zuletzt rund, während Tata schwächelte. In einer Präsentation wurde die Lücke auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag beziffert. Das Joint Venture soll zudem jährlich Dividenden in der Höhe eines niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionenbetrags abwerfen.

Nach dem langen Hickhack um das Joint Venture mahnten die Arbeitnehmervertreter den Vorstand zu mehr Offenheit an. "Wir mussten uns nicht nur einen Tarifvertrag kämpfen, wir mussten auch immer wieder um ökonomische Vernunft streiten", kritisiere Konzernbetriebsratschef Wilhelm Segerath.

"Das ist erstaunlich. Was tun eigentlich die, denen die Unternehmen gehören und die die sie führen? Nicht genug, das will ich hier mal deutlich sagen." Der IG Metall-Sekretär und Vizechef des Aufsichtsrats, Markus Grolms, betonte, dass durch die Kritik und die Forderungen der Arbeitnehmervertreter massive Verbesserungen erzielt worden seien, um die Risiken zu beherrschen. "Die Haftung für gravierende Risiken, wie etwa die Umweltrisiken in UK ,verbleiben bei Tata. Die niederländische Gesellschaft wird am Cash Pooling teilnehmen. Das war uns enorm wichtig."

(Reuters)