Gehen Sie gerne Risiken ein?

Sergio Ermotti: Ich habe das genossen, als ich jünger war. Wahrscheinlich mehr als heute. Grossmehrheitlich war aber immer alles durchdacht und kalkuliert. Von Zeit zu Zeit müssen Sie Ihren Bauch die Risikoentscheidung ein wenig mehr bestimmen lassen, aber meistens bestimmten Risiko- und Ertragsbewertung.

Wie soll Ihre Ära in Erinnerung bleiben?

Ich habe die Bank stabilisiert und strategisch auf einen neuen, klaren Weg gebracht. Sie verfügt nun über Kapitalstärke, Solidität und operative Widerstandsfähigkeit. Ich habe die Kultur gestärkt. Ich hoffe, dass ich für diese Dinge in Erinnerung bleiben werde.

Jetzt, wo Sie die UBS verlassen: Worauf freuen Sie sich am meisten?

Ich freue mich darauf, von Zürich weg zu sein, von der Arbeit, von allem. Ehrlich gesagt brauche ich jetzt ein ziemlich entschiedenes Herunterfahren. Ich muss für einmal alles hinter mir lassen. Ich werde aber auch die Ausdauer und Aufregung vermissen, die mit diesem Job einhergehen. Aber von dieser Realität muss ich mich abkoppeln. Wenn es die Coronapandemie-Situation erlaubt, werde ich auf den Malediven Ferien machen.

Kritiker würden sagen, Sie hätten die Kosten härter, stärker und aggressiver senken sollen. Wie reagieren Sie darauf?

Ich sage nie, dass wir in Bezug auf die Kosten perfekt sind. Wir senken die Kosten jedes Jahr um rund 500 Millionen Dollar. Dies wird in Technologie und neue Initiativen reinvestiert. Wenn Sie eine Kostenbasis von 24 Milliarden US-Dollar haben, müssen Sie immer einige Dinge finden, um die Kosten zu senken. Unser Kosten-Ertrag-Verhältnis ist strukturell höher als bei einigen unserer Mitbewerber, aber wir haben auch die mit Abstand höchste Rendite für risikogewichtete Aktiva in der Branche. Die Leute, die sich auf dieses  Kosten-Ertrag-Verhältnis konzentrieren, scheinen dies zu vergessen. Dieser Kompromiss ermöglicht uns eine Effizienzkurve: Eine Balanace zwischen der Art und Weise, wie wir unser Kapital einsetzen, und einer Kosten-Ertrags-Quote, die für die Aktionäre insgesamt sinnvoll ist.

Was war Ihr bester Arbeitstag?

Im Jahr 2015, als wir den Prozess der Umstrukturierung zum Abschluss brachten. Wir konnten damit beginnen, den Aktionären einen erheblichen Kapitalbetrag zurückzugeben. Das war ein gutes Gefühl. Aber auch vor ein paar Wochen, als ich erfuhr, dass 86 Prozent meiner Kollegen sehr stolz darauf seien, für die UBS zu arbeiten.

Als Investmentbankchef Andrea Orcel 2018 die UBS verliess und zur Banco Santander ging, verloren Sie einer Ihrer wichtigsten Mitarbeiter. Wie fühlte sich dies an? 

Ich hatte gemischte Gefühle, als Andrea mir sagte, dass er darüber nachdenke, zu gehen. Ich war sehr traurig wegen unserer persönlichen Beziehung, aber auch darüber, dass die Bank eine so talentierte Person verlieren würde. Andererseits war ich glücklich, weil ich sah, dass er wirklich zu einem nächsten Level heranwuchs und eine fantastische Gelegenheit hatte. Es ist immer sehr schwierig, solche Momente zu beurteilen.

Wie wichtig ist für Sie das Salär?

Ich schaue auf die Leute, die mit mir konkurrieren und darauf, wie viel sie für den gleichen Job verdienen. Es geht nicht um absolute Beträge. Aber ich sollte stets gemäss dem Markt bezahlt werden. In den letzten Jahren habe ich diesen Job nicht für Geld gemacht, sondern weil ich ihn gern machte. Es gibt allerdings keine andere Branche mit einer solch restriktiven Bezahlung. Nicht nur in Bezug auf Bar-Gehalt und aufgeschobene Vergütung, sondern auch in Bezug auf die Bedingungen, die mit diesen Vergütungsbestandteilen verbunden sind, wie etwa finanzielle Ziele, Verhalten und kulturelle Themen.

Können Banken angesichts der weltweiten Verbreitung von Covid-19 wirklich noch so hohe Boni zahlen?

In diesem Jahr müssen wir die Leistung und andere weiche Faktoren in die Gleichung einbeziehen. Das wichtigste Thema ist, dass wir auch fair und wettbewerbsfähig zahlen.

Hat UBS die Gelegenheit verpasst, eine Frau zum CEO zu ernennen?

Nein. Ich denke, es wäre eine verpasste Gelegenheit gewesen, wenn Frauen bei der Auswahl nicht berücksichtigt worden wären. Unser Ziel ist es, mindestens 30 Prozent bis 35 Prozent Frauen in unserem Verwaltungsrat und in unserer Geschäftsleitung sowie 30 Prozent im gesamten Unternehmen zu haben. Im Moment sind wir bei rund 25 Prozent. Die gute Nachricht ist, dass sich alle in der Branche darauf konzentrieren. Die schlechte Nachricht ist, dass damit die Suche nach talentierten Frauen dem Wettbewerb unterworfen ist.

Welchen Rat würden Sie jenen geben, die Deals aushandeln?

Bei Verhandlungen müssen Sie das Kundeninteresse in den Vordergrund stellen. Dies ist nicht nur der richtige Weg, sondern auch der beste Weg, um eine nachhaltige Beziehung und Reputation auf dem Markt aufzubauen, die zu mehr Geschäft führt. In einigen Fällen bedeutet dies auch Abraten und nein zu sagen. Es ist wichtig, nein sagen zu können.

Sergio Ermotti stand neun Jahre an der Spitze der UBS. Als er 2011 anfing, war die Bank in der Krise. Massive Verluste in der Finanzkrise und ein 2,3-Milliarden-Dollar-Händlerskandal, der seinen Vorgänger Oswald Grübel zu Fall gebracht hatte, belasteten das Image der grössen Schweizer Bank. Unter Ermotti wurde die schwankungsanfällige Investmentbank verkleinert und die Vermögensverwaltung ins Zentrum gerückt. Die UBS verwaltet heute 2,5 Billionen Dollar. 

Ermotti wird den Chefposten am 1. November an den Niederländer und ehemaligen CEO von ING, Ralph Hamers, übergeben. Dieser wird sich mit einer drohenden Fünf-Milliarden-Euro-Busse aus Frankreich herumschlagen müssen, genauso wie mit dem wachsenden Wettbewerb unter den Banken. Die UBS hat immer noch vergleichsweise hohe Kosten und leidet darunter, dass Konkurrenten ganze Teams abwerben. Ermotti selbst soll Verwaltungsratspräsident des Rückversicherers Swiss Re werden. 

(Bloomberg/cash)