In seinem aktuellen Marktkommentar warnt Joseph V. Amato, Chief Investment Officer Equities beim US-amerikanischen Vermögensverwalter Neuberger Berman, vor einem ereignisreichen Herbst, der die Aktienmärkte zum Einsturz bringen könnte.

Im Herbst kommen historisch gesehen die schwächsten Monate im Börsenjahr. Ein Blick zurück zeigt: Der September und Oktober waren für US-Aktien oft mit Kursverlusten verbunden. Zwar ist der S&P 500 seit 1900 in keinem Monat stärker gefallen als im November 1929 und im April 1932. Doch zweistellige Verluste waren am häufigsten im Oktober zu beobachten, gefolgt vom September. In immerhin acht von 121 Jahren verloren Aktien im Oktober zehn Prozent und mehr - seit 1900 büssten sie durchschnittlich 0,29 Prozent ein.

Und: Die schlimmsten Tage der Finanzkrise 2008/2009, der Schwarze Montag 1987 und die Bankenkrise 1907, fielen alle in den Oktober.

Politische Risiken gibt es zuhauf

Der Herbst scheint für die Finanzmärkte also tatsächliche keine einfache Zeit zu sein. Und 2020 könnte das erst recht so sein – zumindest, wenn es nach Neuberger-Berman-CIO Amato geht.

Ein Risiko sieht er in der amerikanischen Politik. Bei den Verhandlungen über ein neues Konjunkturpaket liegen Demokraten und Republikaner noch etwa eine Billion US-Dollar auseinander, sodass hier die Gefahr einer Nicht-Einigung bestehe, so Amato. Hinzukomme, dass in Japan nach der langen Zeit der Stabilität und des Fortschritts unter Premierminister Shinzō Abe unklar sei, wer jetzt die Führung übernehme.

Und in Europa sei es alles andere als sicher, ob sich Grossbritannien und die EU bis Ende Oktober auf eine Neuregelung ihrer Beziehungen nach dem Brexit verständigten. Politische Risiken gibt es also zuhauf.

Corona-Risiken nicht unterschätzen

Amato warn aber auch davor, die Risiken des Coronavirus aus den Augen zu verlieren. Das Coronavirus sei noch nicht besiegt ist. "Die nächsten Risiken liegen auf der Hand: das Ende der Sommerferien an den amerikanischen Schulen und Universitäten, die Rückkehr weiterer Menschen in ihre Büros, kälteres Wetter und Familienbesuche – insbesondere in den USA zu Thanksgiving am 26. November – sowie zu Weihnachten", so der Amato. Erschwerden kome hinzu, dass das Kurzarbeitergeld auslaufe und die gravierenden langfristigen Folgen von Covid-19 für den Arbeitsmarkt immer deutlicher würden.

Für Amato könnte der Ausverkauf der letzten Woche der erste Vorbote für einen unruhigen Herbst gewesen sein. Dabei liessen sich durchaus Argumente für die hohen Kurse finden. Sobald ein Impfstoff existiere, könnte sich die Weltwirtschaft rasch erholen, so der Experte. Zudem dürften die Notenbanken noch länger auf eine expansive Geldpolitik setzen.

Auch der schwache US-Dollar sei günstig, vor allem für die Märkte ausserhalb der USA. An der Spitze der Kursrallye standen grosse Technologiewerte, die von Langfristtrends profitieren. Wenn überhaupt, wurden diese Trends durch den Wechsel ins Homeoffice und die verstärkten Onlinekäufe forciert.

Bewertungen von Aktien nicht vergleichbar mit Dotcom-Blase

Hinsichtlich der Bewertungen gibt Amato etwas Entwarnung: "Die Bewertungen sind heute nicht so verrückt wie zu Zeiten der Dotcom-Blase vor 20 Jahren". Microsoft möge zwar jetzt zum 35-Fachen der für das nächste Jahr erwarteten Gewinne gehandelt werden, aber 1999 und 2000 betrug das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) etwa 65.

Das KGV von Cisco Systems, einem Highflyer jener Tage, sei damals sogar auf fast 130 gestiegen, so Amato. Aber: "Trotzdem scheinen manche Aktien teuer, vor allem die von den Bullen bevorzugten Einzelhandelstitel", warnt der CIO. Institutionelle Investoren schienen Umfragen zufolge zwar recht konservativ positioniert zu sein, aber vor allem für Hedgefonds gilt das nicht unbedingt.

Zuletzt sind die CBOE-Volatilitätsindizes des S&P 500 und der Nasdaq trotz der neuen Kurshochs ebenfalls gestiegen sind. Die Investoren scheinen sich in den nächsten Wochen gegen Volatilität absichern zu wollen. "Den Märkten steht vielleicht kein Absturz bevor, aber der Herbst steht uns bevor – und es wird ein ereignisreicher Herbst", so Amato.