Die negativen Auswirkungen durch den hohen Liquiditätsbedarf des US-Treasury könnten die Nachwirkungen der jüngsten Pattsituationen bezüglich der Schuldengrenze sogar noch in den Schatten stellen. Das Programm der Federal Reserve zur quantitativen Straffung (QT) der Geldpolitik hat die Reserven der Banken bereits ausgehöhlt. Der Stratege von JPMorgan, Nikolaos Panigirtzoglou, schätzt, dass eine Flut von Staatsanleihen die Auswirkungen des QT auf Aktien und Anleihen verstärken und deren Gesamtperformance in diesem Jahr um fast 5 Prozent schmälern wird. 

Die Makrostrategen von Citigroup sehen das ähnlich und gehen davon aus, dass ein durchschnittlicher Rückgang des S&P 500 Index um 5,4 Prozent innerhalb von zwei Monaten folgen könnte. Die Verkäufe von kurzlaufenden US-Staatsanleihen werden sich auf alle Anlageklassen auswirken, da sie einen bereits schrumpfenden Liquiditätsbestand beanspruchen. JPMorgan schätzt, dass die Liquidität an den Finanzmärkten im Grossen und Ganzen um 1,1 Billionen US-Dollar sinken wird, von etwa 25 Billionen US-Dollar zu Beginn des Jahres 2023. "Das ist ein sehr grosser Liquiditätsabfluss“, sagt Panigirtzoglou. "So etwas haben wir selten gesehen. Nur bei schweren Crashs wie während der Lehman-Krise war ein derartiger Rückgang zu beobachten.“

Appetit der Banken ist begrenzt

Es handelt sich um einen Trend, der zusammen mit den Straffungsmassnahmen der Fed dazu führen wird, dass die Liquidität um jährlich 6 Prozent sinkt, im Gegensatz zum jährlichen Wachstum während des grössten Teils des letzten Jahrzehnts, schätzt JPMorgan. Die USA waren in den letzten Monaten auf aussergewöhnliche Massnahmen angewiesen, um sich zu finanzieren, während sich die Staats- und Regierungschefs in Washington stritten.

Da der Zahlungsausfall knapp abgewendet ist, wird das Finanzministerium eine Kreditaufnahmewelle starten, die nach Schätzungen der Wall Street bis zum Ende des dritten Quartals bei über einer Billion US-Dollar liegen könnte, beginnend mit mehreren Auktionen von Staatsanleihen am Montag, die sich auf insgesamt über 170 Milliarden US-Dollar belaufen. 

Dabei gibt es verschiedene Käufer für kurzfristige US-Staatsanleihen: Banken, Geldmarktfonds und eine breite Palette von Käufern, die zusammengefasst als "Nichtbanken“ eingestuft werden. Zu letzteren gehören Haushalte, Pensionsfonds und Unternehmen mit liquiden Mitteln. Der Appetit der Banken auf Schatzwechsel ist derzeit begrenzt. Das liegt daran, dass die angebotenen Renditen wahrscheinlich nicht mit denen konkurrieren können, die sie aus ihren eigenen Reserven erzielen können. Aber selbst wenn Banken die Auktionen für Staatsanleihen aussetzen, könnte eine Verlagerung von Einlagen in Staatsanleihen durch ihre Kunden verheerende Folgen haben.

Citigroup hat historische Episoden modelliert, in denen die Bankreserven innerhalb von zwölf Wochen um 500 Milliarden US-Dollar reduziert wurden. Damit kann abgeschätzt werden, was in den folgenden Monaten mit der Liquidität bei den Banken passieren wird. "Jeder Rückgang der Bankreserven ist normalerweise ein Gegenwind“, sagt Dirk Willer, Leiter der globalen Makrostrategie bei Citigroup Global Markets. "Eine Flut von Staatsanleihen in Höhe von einer Billion US-Dollar ist schmerzhaft." 

Die Erleichterung könnte nur von kurzer Dauer sein

Das harmloseste Szenario ist, dass das neue Angebot von Geldmarktfonds absorbiert wird. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Käufe durch Geldmarktfonds die Bankreserven intakt lassen würden. Obwohl die Banken in der Vergangenheit die bedeutendsten Käufer von Staatsanleihen waren, haben sie sich in letzter Zeit zugunsten von besseren Renditen zurückgezogen, die ihnen die Reverse-Repurchase-Agreement-Fazilität der Fed bietet.

Bleibt noch der Rest: die Nichtbanken. Sie werden bei den wöchentlichen Treasury-Auktionen auftauchen, allerdings nicht ohne Folgekosten für die Banken - dies im Gegensatz zu den Geldmarktfonds. Von diesen Käufern wird erwartet, dass sie Bargeld für ihre Einkäufe freisetzen, indem sie Bankeinlagen liquidieren, was die Kapitalflucht verschärft, die in diesem Jahr zu Problemen bei den Regionalbanken geführt und das Finanzsystem destabilisiert hat.

Laut Althea Spinozzi, einer Rentenstrategin bei der Saxo Bank, ist die wachsende Abhängigkeit der Regierung von sogenannten indirekten Bietern seit einiger Zeit offensichtlich. "In den letzten Wochen haben wir bei Auktionen von US-Staatsanleihen eine Rekordzahl indirekter Bieter gesehen“, sagt sie. "Es ist wahrscheinlich, dass sie auch einen grossen Teil der kommenden Emissionen absorbieren werden.“

Aufmerksamkeit für potenzielles Liquiditätsnachbeben

Vorerst hat die Erleichterung darüber, dass die USA einen Zahlungsausfall vermeiden konnten, die Aufmerksamkeit von einem drohenden Liquiditätsnachbeben abgelenkt. Gleichzeitig hat die Begeisterung der Anleger über die Aussichten für künstliche Intelligenz den S&P 500 nach dreiwöchigen Gewinnen an die Schwelle eines Bullenmarktes gebracht. Erstaunlich ist dabei, dass sich die Liquidität einzelner Aktien entgegen dem allgemeinen Trend verbessert hat.

Aber das hat die Befürchtungen mit Blick auf die gewöhnlichen Konsequenzen, wenn es zu einem deutlichen Rückgang der Bankreserven kommt, nicht zerstreut: Aktien fallen und Kredit-Spreads weiten sich aus, wobei risikoreichere Vermögenswerte die Hauptlast der Verluste tragen. "Es ist kein guter Zeitpunkt, den S&P 500 zu halten“, sagt Willer von der Citigroup.

Laut Barclays ist die Positionierung in Aktien trotz der KI-getriebenen Rally weitgehend neutral, wobei Investmentfonds und Privatanleger unverändert an ihrer Positionierung für den Moment festhalten. "Wir gehen davon aus, dass es aufgrund des Liquiditätsabflusses zu einem langsamen Rückgang bei den Aktienkursen kommt und auf der anderen Seite aber keine Volatilitätsexplosion kommen wird“, sagt Ulrich Urbahn, Leiter der Multi-Asset-Strategie bei Berenberg. "Wir haben schlechte Marktinterna, negative Frühindikatoren und einen Rückgang der Liquidität, was alles nicht gerade förderlich für die Aktienmärkte ist.“

Matthias Geissbühler, Chefstratege der Raiffeisen, sieht derzeit noch ein anderes Problem für die Aktienkurse an Wall Street. "Die Euphorie ist zurück, Risiken werden ignoriert. Der Lösung des US-Schuldenstreits folgt eine Börsenrally und die Volatilität sinkt auf ein Mehrmonatstief." Historisch gesehen war ein niedriger VIX-Index immer ein verlässlicher Kontraindikator für den Aktienmarkt, erläutert Geissbühler weiter. 

(cash/Bloomberg)