Man konnte es in den vergangenen Wochen vielerorts lesen: Insbesondere junge Schweizerinnen und Schweizer haben wenig Chancen auf Wohneigentum. Weil die meisten Banken bei der Vergabe von Hypotheken zu viel Eigenkapital verlangen und mit einem kalkulatorischen Zinssatz von fünf Prozent rechnen, übersteigt ein Eigenheim die finanziellen Möglichkeiten Vieler.

Sogar Raiffeisen-Chef Patrik Gisel schaltete sich jüngst in die Debatte ein und forderte via Sonntagsmedien die Lockerung der Hypotheken-Vergabekriterien. Während also viele Eigenheim-Interessierte trotz rekordtiefer Hypothekenzinsen nicht zum Zug kommen, ist die Situation auf der Verkäuferseite ebenfalls herausfordernd.

Dort zeichnet sich seit einigen Monaten in bestimmten Schweizer Regionen ein Überangebot ab. Laut Daten des Bundes und der UBS ist die Wohnbautätigkeit unverändert hoch: 29'000 Baueinheiten wurden im ersten Halbjahr 2016 bewilligt, 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig nahm die Nettozuwanderung um 15 Prozent ab, was unter dem Strich zu einer Abschwächung des Bevölkerungswachstums führt.

Eine robuste Bautätigkeit bei einem langsameren Bevölkerungswachstum resultiert in einer höheren Leerwohnungsquote, so das Fazit einer aktuellen UBS-Immobilienstudie. "Wir erwarten, dass sich dieser Trend in den nächsten zwölf Monaten fortsetzt", schreiben die Autoren.

Doch die Situation unterscheidet sich von Gemeinde zu Gemeinde. Regionen mit besonders hohen Leerständen sind das Deutschschweizer Mittelland und der Kanton Fribourg (FR), während die Grosszentren unverändert attraktiv sind, wie die untere Übersichtskarte zeigt.

Am meisten leerstehenden Wohnraum gab es Anfang Juni in den Gemeinden Châtonnaye (FR, 14 Prozent), Billens-Hennens (FR, 13 Prozent) und Mellingen (AG, 13 Prozent). Auf der anderen Seite gar keine freien Wohnungen oder Häuser waren in Bachs, Regensberg und Hütten (alle Kanton Zürich) zu finden.

Veränderung der Leerstandsquoten von 2013 bis 2016, in Prozent (Wohnungen und Einfamilienhäuser)

Quellen: Bundesamt für Statistik, UBS (Stand: 1. Juni 2016)

Diese Beobachtung deckt sich teilweise mit den Inseraten auf Immoscout24. Das Immobilien-Portal stellte cash im Mai die beliebtesten Objekte (gemessen an der Anzahl Zugriffe) zusammen, die zum Kauf ausgeschrieben waren. Holt man diese Inserate noch einmal hervor, zeigt sich, dass in Zürich und der Zentralschweiz sämtliche Eigenheime die Hand gewechselt haben.

Auffällig viele Ladenhüter gibt es hingegen in den Kantonen Tessin und Aargau, wie zum Beispiel ein Doppeleinfamilienhaus in Wettingen für 1,68 Millionen Franken. Oder ein Mehrfamilienhaus für knapp 2 Millionen in Strengelbach. Der Kanton Aargau hat seit längerem im nationalen Vergleich hohe Leerstandsquoten.

Im Tessin sind es vor allem luxuriöse Villen, die bis heute keinen Käufer gefunden haben. Eine schwächere Zuwanderung aus Italien und ein Anstieg der Bauvorhaben in und um Zentren könnten die Verkäuferseite in Zukunft weiter schwächen, so die Meinung der UBS-Ökonomen.

In den Zentren braucht es noch mehr Wohnraum

Aber eben: Die Beobachtung gilt nur regional. In Wirtschaftszentren um Zürich, Basel, Genf, und Zug ist der Kampf um freien Wohnraum immer noch hart. Wohnungen oder Häuser zu attraktiven Konditionen sind meistens nicht länger als ein paar Tage auf den einschlägigen Internetportalen ausgeschrieben. Die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) schreibt ihre freien Wohnungen einen einzigen Tag lang aus und bekommt in diesem Zeitraum jeweils genügend Bewerbungen, wie ABZ-Geschäftsführer Hans Rupp kürzlich in einem cash-Interview sagte.

Wird in der Schweiz also an den falschen Orten gebaut? Das Angebot in städtischen Regionen dürfte jeweils rasch absorbiert werden, weil das Wohnen in den Zentren sehr beliebt ist, sagt Maciej Skoczek vom Immobilien-Research der UBS zu cash. Hingegen werde in vielen peripheren Regionen wie in den Kantonen Uri, Schaffhausen und Schwyz deutlich mehr gebaut als notwendig, was zu steigenden Überangebotsrisiken führt. "In diesem Sinne findet der Wohnbau an falschen Orten statt", so der Immobilien-Experte Skoczek.

Laut Martin Waeber, Chef von Immoscout24, sind Einfamilienhäuser in urbanen Regionen bereits überteuert, was dazu führt, dass sich dort die Nachfrage hin zu Eigentumswohnungen verlagert. Als Folge sieht Waeber die Tendenz, dass "gerade in Regionen wie zum Beispiel Zürich oder Genf die Einfamilienhaus-Objekte schwieriger zu verkaufen sind und länger liegen bleiben", wie er auf Anfrage von cash schreibt.

Veränderungen auf dem Verkäufermarkt

Nicht alle Expertenmeinungen decken sich also. Klar ist aber, dass eine Veränderung auf dem Verkäufermarkt stattfindet. Marktbeobachter erkennen derzeit drei Tendenzen. Erstens: In gewissen Regionen wie am Zürichsee sind die Preise zu hoch und die Leute beginnen, an anderen Orten zu suchen. Zweitens: Verkäufer werden bei den Preiserwartungen enttäuscht, weil in bestimmten Regionen ein Überangebot besteht.

Drittens: Institutionelle Investoren platzieren grosse neue Überbauungen und konkurrieren ältere Liegenschaften, die zum Verkauf stehen. Diese müssen entweder billiger werden oder den Ausbaustandard erhöhen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Der derzeitige Anlagenotstand und die tiefen Zinsen dürften insbesondere die Tendenzen zwei und drei in den kommenden Monaten und Jahren noch verstärken.