Nach einem gigantischen Finanzskandal steht der Zahlungsanbieter Wirecard vor der Pleite. Angesichts eines 1,9 Milliarden Euro großen Lochs in der Bilanz meldete Wirecard am Donnerstag Insolvenz wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung an. Es werde geprüft, ob auch Insolvenzanträge für Wirecard-Töchter gestellt werden müssen, teilte der Konzern mit. Es ist einer der größten Pleiten der Bundesrepublik und das erste Mal in der mehr als 30-jährigen Geschichte des Leitindex Dax, dass ein Dax-Mitglied kollabiert. Die Aktien stürzten nach einer vorübergehenden Aussetzung des Handels um knapp 80 Prozent auf 2,50 Euro ab.

Wirecard hatte in den vergangenen Jahren angeblich ein rasantes Wachstumstempo hingelegt und im September 2018 die Commerzbank aus dem Dax verdrängt. Zu Hochzeiten kostete die Aktie 200 Euro, doch die Geschichte vom erfolgreichen Fintech aus Deutschland erweist sich nun als Illusion. Zwar sah sich Wirecard seit der Gründung vor zwei Jahrzehnten immer wieder mit Vorwürfen der Bilanzfälschung konfrontiert, doch erst vergangenen Woche brach das Kartenhaus zusammen: Die Wirtschaftsprüfer von EY verweigerten das Testat für die Bilanz des vergangenen Jahres, als sich herausstellte, dass Bestätigungen über Treuhandkonten in den Philippinen offensichtlich gefälscht waren. Die dort angeblich liegenden 1,9 Milliarden Euro gab es in Wirklichkeit wohl nie.

Die Gläubigerbanken versuchten sich in den vergangenen Tagen ein Bild davon machen, wie viel des angeblichen Wirecard-Geschäfts tatsächlich existiert und ob sich ein gesunder Kern der Firma retten lässt. Schnell machte sich Ernüchterung breit. Ein Großteil der Umsätze existiere anscheinend nur auf dem Papier, die Kosten seien dagegen korrekt ausgewiesen, sagte ein Insider. "Es gibt keinen Weg, dass sie ihre Schulden von insgesamt 3,5 Milliarden Euro aus dem gesunden Kerngeschäft zurückzahlen können."

Nun müssen die Gläubiger hoffen, möglichst viel Geld im Insolvenzverfahren zu retten. Doch die Chancen scheinen gering. "Das Geld ist weg", hieß es aus einer Bank. "In einigen Jahren werden wir vielleicht ein paar Euro zurückerhalten, aber wir werden den Kredit jetzt abschreiben." Auch aus zwei anderen Banken hieß es, der Kredit werde abgeschrieben. Fraglich sei, was von Wirecard verwertet werden könne. Wettbewerber könnten vielleicht die Kunden, zu denen renommierte Firmen wie Aldi, Ikea oder die Fluggesellschaft KLM gehören, auf ihre Plattform herüberziehen. Die Wirecard-Technologie bräuchten sie wohl nicht.

Bafin steht massiv in der Kritik

Die Finanzaufsicht BaFin, die erst spät gegen Wirecard vorgegangen ist, steht massiv in der Kritik. "Bei der Finanzaufsicht müssen Köpfe rollen", sagte der Linken-Finanzpolitiker Fabio de Masi. "Der Insolvenzantrag von Wirecard ist ein Fiasko für den Finanzplatz Deutschland." Ins gleiche Horn stieß der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz. "Dass ein Dax-Konzern innerhalb kürzester Zeit als Börsenstar in die Insolvenz schlittern konnte, wirft ein schlechtes Licht auf den gesamten Standort Deutschland", sagte Bayaz. "Besonders die BaFin und Abschlussprüfer müssen umfassend erklären, warum diese Entwicklung zu keinem Zeitpunkt vorhergesehen und verhindert werden konnte."

Bei der Wirecard AG selbst, gegen die Großinvestoren bereits Klagen eingereicht hatten, dürfte nicht mehr viel zu holen sein. Anders könnte das bei dem Wirtschaftsprüfer EY sein, der jahrelang die Bilanzen von Wirecard testiert hatte. Erste Anwaltskanzleien werben bereits für Sammelklagen. Von EY war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

Die Staatsanwaltschaft München ermittelt bei Wirecard wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Marktmanipulation. Auch die Insolvenz von Wirecard schaue sich die Behörde an. "Wir werden alle in Betracht kommenden Straftaten prüfen", sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Sie hat bereits den ehemaligen Konzernchef Markus Braun, der fast 20 Jahre an der Spitze von Wirecard stand, im Visier. Nach einer Nacht in Haft kam er am Dienstag gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro auf freien Fuß. Auch Ex-Vorstand Jan Marsalek, der das Unternehmen an der Seite von Braun rund 20 Jahre lang geprägt hat und sich nun möglicherweise auf den Philippinen aufhält, steht im Fokus der Strafverfolger.

(Reuters)