Zudem dürfte der jüngste Kursanstieg des Euro die Währungshüter umtreiben. Von EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die inzwischen mehr als ein Jahr im Amt ist, erwarten Investoren nach der Ratssitzung am Donnerstag daneben Auskunft über den Stand der grossen Strategie-Überprüfung - der ersten seit 18 Jahren. Den Leitzins, der bereits seit März 2016 auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent liegt, dürfte die Europäische Zentralbank voraussichtlich nicht antasten.

Corona-Krise und vielen Unsicherheiten

"Nach einem turbulenten ersten Jahr schaut es so aus, als ob die EZB unter Präsidentin Lagarde allmählich zurechtkommt und ihren neuen modus operandi findet", meint Anatoli Annenkow von der französischen Grossbank Societe Generale. 2020 war von der Corona-Krise und vielen Unsicherheiten wie dem endgültigen Brexit geprägt. Und auch in den ersten Wochen des neuen Jahres haben die Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und die Sicherung günstiger Finanzierungsbedingungen weiter oberste Priorität für die EZB.

"Ihre Hauptsorge wird sein, dass steigende Virus-Zahlen und der langsame Start der Impfungen bedeuten, dass Beschränkungen über das erste Quartal hinaus bestehen bleiben", erläutern die Experten des britischen Analysehauses Capital Economics. Denn dann würde sich die wirtschaftliche Erholung verzögern. Bislang steht die EZB laut Lagarde aber trotz neuer Massnahmen zur Eindämmung des Virus-Geschehens in vielen Ländern zu ihren Konjunkturprognosen für das laufende Jahr. "Ich denke, unsere letzten Projektionen im Dezember sind immer noch sehr klar plausibel", sagte sie erst vergangene Woche auf dem Digitalforum "Reuters Next".

Die EZB hatte im Dezember ihre Konjunkturhilfen kräftig ausgeweitet. Unter anderem wurde das Pandemie-Anleihenkaufprogramm PEPP um 500 Milliarden Euro auf ein Volumen von nunmehr 1,85 Billionen Euro aufgestockt. Die Käufe wurden zudem bis mindestens Ende März 2022 verlängert. Commerzbank-Ökonom Michael Schubert erwartet deshalb am Donnerstag keine neuen geldpolitischen Schritte. "In der Regel nutzt der Rat nach dem Beschluss umfangreicher Massnahmen die nachfolgende Sitzung dazu, die Angemessenheit der Schritte rückblickend noch einmal zu bestätigen", sagt der Experte.

Experten bringen Zinssenkung ins Spiel

Für viel Diskussionsstoff könnte aber der erneute Kursanstieg des Euro sorgen. Denn dies kommt für die EZB in Zeiten der Corona-Krise und einer Inflationsrate, die im Dezember schon den fünften Monat in Folge negativ war, zur Unzeit. Allein seit Anfang November legte der Euro zum Dollar rund vier Prozent zu. Die designierte neue US-Finanzministerin Janet Yellen hat laut einem Zeitungsbericht gleichwohl durchblicken lassen, dass sie keinen weichen Dollar anstrebt.

Laut Ruben Segura-Cayuela, Ökonom bei der Bank of America, könnte die EZB bei einem anhaltenden Höhenflug der Währung erneut die Zinsen senken. "Zwar zweifeln wir die Effektivität einer jeden möglichen Senkung für die Währung zu diesem Zeitpunkt an und viele innerhalb des EZB-Rats tun das ebenfalls, aber mit wenig verbleibenden Optionen kann dies als Kompromiss immer wieder auf den Tisch", erklärt der Experte.

Auf der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss dürfte Lagarde auch zum Stand des grossen Strategiechecks befragt werden. Societe-Generale-Experte Annenkow rechnet damit, dass die Notenbank darauf abzielt, bis zum Sommer zu einer einvernehmlichen Position im EZB-Rat zu gelangen. "Die erwartete Neufassung des Inflationsziels als ein symmetrisches von um die zwei Prozent herum sollte nicht kontrovers sein oder grosse Auswirkungen auf die Märkte haben", meint der Ökonom. Viele Experten halten das aktuelle mittelfristige Ziel einer Inflation von "unter, aber nahe zwei Prozent" für nicht leicht verständlich. Die EZB verfehlt diese Marke ausserdem mittlerweile bereits seit Frühjahr 2013.

(Reuters)